| # taz.de -- Kennedy-Besuch in Berlin: Richtig rostrotes Haar | |
| > Vor 50 Jahren kam John F. Kennedy nach Berlin. Der Sender Freies Berlin | |
| > berichtete sieben Stunden lang live. Unser Autor hat die Bilder | |
| > angesehen. | |
| Bild: John F. Kennedy am 26. Juni 1963 bei seiner historischen Rede vor dem Rat… | |
| BERLIN taz | Am Ende kommt man zu einem Beschluss: Der RBB (Rundfunk | |
| Berlin-Brandenburg) sollte nachts – es gab da mal einen großen Erfolg mit | |
| endlosen S-Bahn-Fahrten – unkommentiertes Nachrichtenmaterial senden, für | |
| die Schlaflosen ein idealer Meditationsstoff. | |
| „Am schönsten ist doch das Warten.“ Der Flughafen Tegel, damals nur die | |
| leere Fläche des Flugfeldes und ein paar Baracken, wo sie herumstanden, | |
| Willy Brandt und der schildkrötenhafte Bundeskanzler Adenauer, der junge | |
| Walter Scheel und der junge Rainer Barzel und Egon Bahr. Ein windiger Tag. | |
| Ausgiebig zeigt die Kamera die anfliegende Präsidentenmaschine. Wie sie | |
| landet. | |
| Und dann ist er da, der berühmte junge Mann, und es beginnt ein schwer | |
| verständliches Hin- und Herlaufen. Die Ehrenformationen der französischen, | |
| britischen und amerikanischen Streitkräfte müssen abgeschritten werden. | |
| Richtig, wir befinden uns ja im französischen Sektor Berlins, und der | |
| uniformierte Herr an der Seite des Präsidenten, das ist der französische | |
| Stadtkommandant. Richtig, die alliierten Stadtkommandanten übten die | |
| eigentliche Herrschaft über die ehemalige Hauptstadt des Deutschen Reichs | |
| aus. | |
| ## Kennedy spricht frei | |
| Erst nach dem militärischen Zeremoniell spricht der Präsident. Dann der | |
| Regierende Bürgermeister. Kennedy, so scheint es, spricht frei; Willy | |
| Brandt liest ab. | |
| Er schaut dick aus – wie alle deutschen Politiker – im Gegensatz zu dem | |
| jungen Präsidenten und dem alten General Clay, der später immer wieder | |
| extra umjubelt wird von den begeisterten Westberlinern und das mit Winken | |
| und verlegenem Lächeln quittiert. Er hatte ja 1948 die Luftbrücke für die | |
| blockierte Teilstadt organisiert. | |
| Dann ist ein anderer dicker Mann im Bild, Harald Karas, ein verdienter | |
| Moderator des Westberliner Fernsehens, onkelhaft vertrauenerweckend, mit | |
| einem dicken Ring am kleinen Finger. Mittels einer handgemalten Karte und | |
| eines Stöckchens erläutert er die Tour des Präsidenten durch Westberlin. | |
| Die Kongresshalle; das Brandenburger Tor; der Checkpoint Charlie; das | |
| Rathaus Schöneberg (wo die Westberliner Stadtregierung residiert); die | |
| Freie Universität; das US-Hauptquartier. Dann flink zurück nach Tegel und | |
| zur Abschiedszeremonie. | |
| ## Im offenen Wagen durch die Stadt | |
| Ja, der Präsident fährt im offenen Wagen durch die Stadt, links neben ihm | |
| Brandt, links neben Brandt Adenauer, die Westberliner jubeln und winken an | |
| den Straßenrändern. Man sieht das unweigerlich im Licht der Zukunft: dass | |
| er vier Monate später, links neben ihm Jackie, in einem solchen offenen | |
| Wagen erschossen wird. | |
| Ich habe den Präsidenten damals bei seiner Rede auf dem Römer in Frankfurt | |
| gesehen (die Freundin wünschte es dringend), und mir blieb sein rotes Haar | |
| in Erinnerung, richtig rostrotes Haar. Man kannte ihn doch nur von | |
| Schwarz-Weiß-Bildern. | |
| Der dicke Herr Karas hatte auch vertrauenerweckend erklärt, wie das | |
| Fernsehen die Tour aufzeichnet, durch fixe Kameras an gewissen | |
| Knotenpunkten und durch „drahtlose Kameras“, die ihre Bilder an | |
| „Relais-Stationen“ funken. Toll. Das Fernsehen präsentierte sich selbst | |
| sogleich als Akteur neben den Politikern. | |
| Der Präsident schaut ernst, ja grimmig. Er lächelt und winkt, eine knappe, | |
| standardisierte Geste, die militärisch anmutet. Ja, der Präsident war | |
| Kriegsteilnehmer, schwer verwundet. Vermutlich trägt er wieder sein | |
| Korsett; die hochgezogenen Schultern wirken schmerzhaft verkrampft. | |
| ## Ansturm vor dem Rathaus Schöneberg | |
| Aber er steigt schwungvoll die Treppe des Holzgerüsts hinauf, von dem man | |
| am Checkpoint Charlie nach Ostberlin hinüberschauen kann. An der Leipziger | |
| Straße stehen Ostberliner Bürger und schauen ruhig-neugierig her, von | |
| keinen Vopos kujoniert. Hier hört man auch Reste eines Off-Kommentars, und | |
| dass im Übrigen das Material bei der Wiederaufführung im Zeughaus Kino in | |
| Berlin ohne den gewohnten Textschleim zu apperzipieren ist, man lernt es | |
| erst recht zu schätzen. | |
| Die Massen vor dem Rathaus Schöneberg bilden das sprichwörtliche Meer. Ihre | |
| Bereitschaft zum Jubeln scheint unbegrenzt, und die „Kennedy“-Rufe bewegen | |
| ihn immer wieder zu einem amüsierten, auch dankbaren Lächeln. Die berühmte | |
| Rede ist im Gestus wie im Inhalt kriegerisch. Nach ein paar amerikanischen | |
| Sätzen hört (und sieht) man immer wieder den Übersetzer, einen korrekten | |
| Herrn mit Brille, der einen öligen und gleichzeitig schmetternden Sound | |
| pflegt. | |
| Wir befinden uns auf einer Insel der Freiheit. Ringsum regiert der Feind | |
| und lauert auf Gelegenheiten zum Angriff. Wir dürfen uns über seine | |
| Absichten keine Illusionen machen. Aber die Insel ist mit den Vereinigten | |
| Staaten von Amerika innig verbunden … | |
| Die Lage war verzwickt. Die Westmächte hatten zwei Jahre zuvor den Mauerbau | |
| hingenommen – was wäre die Alternative gewesen? Dass die Rote Armee | |
| Westberlin besetzt? Aber der Mauerbau schien die Schwäche und | |
| Unentschlossenheit der Westmächte zu bekräftigen. „Wann fällt die Mauer?�… | |
| fragt vorwurfsvoll ein Transparent vor dem Rathaus Schöneberg. Der | |
| Präsident weiß es nicht zu sagen. | |
| Die aggressive Wiedervereinigungspolitik Adenauers war stecken geblieben. | |
| Die Entspannungspolitik, „Wandel durch Annäherung“, den dann der | |
| Bundeskanzler Brandt verfolgte, lag verhüllt in der Zukunft. | |
| ## Vor der Freien Universität | |
| Der offene Wagen fuhr dann zur Freien Universität nach Dahlem, vorneweg die | |
| ganze Zeit eine Kavalkade „weißer Mäuse“, wie man sie nannte, | |
| Motorradpolizisten in weißen Uniformjacken. Anhaltender Jubel – er war ja | |
| ein Star, der junge Präsident. | |
| Den Massen bereitete es Vergnügen, ihren Star zu feiern, darin feierten sie | |
| sich selbst – ein Mechanismus, den man gerade an den Popstars erlernte. | |
| Ängstlichkeit erfüllt die Massen, dass womöglich doch noch die Sowjetunion | |
| Westberlin übernimmt. | |
| Sie schienen mir etwas weniger enthusiastisch, die FU-Studenten, aber | |
| massenhaft traten auch sie in Erscheinung. Die Professoren präsentierten | |
| sich in den sprichwörtlichen Talaren, und die Studenten störten sich noch | |
| nicht an dem Muff darunter, dem Muff von tausend Jahren. Allerdings liest | |
| der Rektor die Urkunde, die den amerikanischen Präsidenten zum akademischen | |
| Ehrenbürger macht, in toto auf Latein vor. | |
| Der Präsident hält vor der Universität eine richtige Universitätsrede. Er | |
| verweist darauf, dass die Vereinigten Staaten Gelehrte zu ihren Gründern | |
| zählen; er feiert die Universität als Ort der Freiheit – die USA wirkten | |
| großzügig mit am Aufbau der FU als Gegengründung zur stalinistischen | |
| Humboldt. | |
| ## Studenten stören sich nicht an Muff | |
| Der Präsident erläutert Truth, Justice and Liberty als Grundprinzipien der | |
| Bildung – die Studenten applaudieren. Was sie vier Jahre später gegen ihre | |
| Universität, die Bundesrepublik, den Spätkapitalismus und den | |
| amerikanischen Imperialismus in höchster Wut vorzubringen haben, nichts | |
| deutet jetzt und hier darauf hin. | |
| Ganz in der Nähe der FU siedelte ja das Hauptquartier der Berlin Brigade, | |
| und der Präsident muss vor dem Abflug seinen Leuten seine Reverenz | |
| erweisen. In mir kam Nostalgie auf, ja, dort lag das amerikanische Dorf, | |
| wie häufig ist man auf der Clayallee hindurchgefahren, um zur FU zu | |
| gelangen, zur Gelehrsamkeit, zur Revolte … | |
| Was die Ermordung Kennedys zum Aufstand der sechziger Jahre beigetragen | |
| hat, ich neige dazu, das Ereignis zu überschätzen. Aber gewiss existiert | |
| ein Zusammenhang. Die grimmige Miene, das gelungene Lächeln, das | |
| militärische Winken, der Handgriff, mit dem er den Haarschopf wieder aus | |
| der Stirn schiebt, der versteifte Gang: Man erwartete ja so viel von ihm – | |
| und dann war der Kopf mit dem rostroten Haar zerschossen. | |
| Das Berliner Zeughauskino zeigt die siebenstündige | |
| Live-Fernsehberichterstattung des Berlinbesuchs von John F. Kennedy am | |
| Mittwoch ab 10.30 Uhr. Info unter: [1][www.dhm.de/kino] | |
| 26 Jun 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.dhm.de/kino | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Rutschky | |
| ## TAGS | |
| Kennedy | |
| Michael Rutschky | |
| Michael Rutschky | |
| Nelson Mandela | |
| Willy Brandt | |
| USA | |
| John F. Kennedy | |
| Barack Obama | |
| Barack Obama | |
| Barack Obama | |
| Barack Obama | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| In Erinnerung an Michael Rutschky: Hilfe gegen die Irren | |
| Nachruf auf einen Freund und anregenden Autor, Kritiker der Kritiker, der | |
| die Wirklichkeit mit Wohlgefallen betrachtete. | |
| Tagebücher eines Publizisten: „Ich nehme den Wildtopf Diana“ | |
| Die Tagebücher des Essayisten Michael Rutschky bieten ein großartiges | |
| Sittenbild der westdeutschen Intelligenz in den frühen achtziger Jahren. | |
| Freudenfeste: Hitler, Mandela, Mauerfall | |
| Es gibt Augenblicke der Freude, die bleiben eingebrannt in die Erinnerung. | |
| Mandelas Besuch in Deutschland etwa. Oder auch der Tag, an dem Hitler | |
| starb. | |
| Arte-Doku zum 100. Brandt-Geburtstag: Willy Cool, irgendwie | |
| Eine Arte-Doku weist Willy Brandt seinen Platz als | |
| 1970er-Jahre-Lifestyle-Ikone im Pop-Art-Style zu. Eine Idee hat der Film | |
| aber nicht. | |
| 50 Jahre nach dem JFK-Attentat: Ein Mord und seine Folgen | |
| Vor 50 Jahren wurde der amerikanische Präsident John F. Kennedy erschossen. | |
| Wie hat seine Ermordung die USA verändert? Ein Blick zurück. | |
| Die Schüsse auf John F. Kennedy: Zweifel an der offiziellen Version | |
| Zum 50. Todestag von John F. Kennedy haben Verschwörungstheorien um den | |
| Präsidentenmord in Dallas wieder Hochkonjunktur. | |
| Antwort auf Obamas Rede: Seien Sie mutiger, Herr Präsident | |
| Mit Spannung erwartet, hat Barack Obama am Mittwoch in Berlin eine hübsche | |
| Rede gehalten. Wir hätten gerne etwas mehr gehört. Eine Replik. | |
| US-Präsident Obama spricht in Berlin: „Etwas informeller sein“ | |
| In Berlin geben sich Bundeskanzlerin Merkel und US-Präsident Obama betont | |
| informell. Obamas Rede zündet nicht. | |
| Obama: Alles nur zur Sicherheit | |
| Fenster müssen geschlossen bleiben, Straßen werden gesperrt. Was halten | |
| Menschen davon, die noch in der Sperrzone unterwegs sind? | |
| Die Wahrheit: Welcome, Mr. President | |
| In Berlin wird der 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der | |
| ehrenwerte Barack Obama, eine beachtliche Rede halten. | |
| Sonntaz-Streit: Braucht Obama Deutschland? | |
| Nächste Woche kommt Barack Obama zum Staatsbesuch nach Berlin. Vor dem | |
| Brandenburger Tor wird der US-Präsident eine Rede halten. Warum? |