# taz.de -- Die Schüsse auf John F. Kennedy: Zweifel an der offiziellen Version | |
> Zum 50. Todestag von John F. Kennedy haben Verschwörungstheorien um den | |
> Präsidentenmord in Dallas wieder Hochkonjunktur. | |
Bild: Der Moment, nachdem die Schüsse fielen, nachgestellt in Oliver Stones Fi… | |
WASHINGTON taz | Ein halbes Jahrhundert nach dem Präsidentenmord stimmt | |
erstmals auch ein US-Außenminister in den Chor jener ein, die nicht an die | |
offizielle Version glauben. John Kerry äußert in einem Fernsehinterview | |
„ernste Zweifel“ daran, dass Lee Harvey Oswald allein handelte, als er John | |
F. Kennedy in Dallas erschoss. Möglicherweise, so spekuliert der | |
Außenminister, sei Oswald von Kuba oder der Sowjetunion beeinflusst worden. | |
Doch mehr will er zu dem Thema nicht sagen. | |
Aus dem Inneren des Kennedy-Clans verlautet Ähnliches. „Ich denke, dass ich | |
es nicht weiß“, sagt die Demokratin Kathleen Kennedy Townsend über die | |
Todesumstände ihres Onkels. Ins Detail will auch sie nicht gehen. Lieber | |
will sie in die Zukunft schauen. | |
Die Zweifel an der offiziellen Geschichtsschreibung über den Mord vom 22. | |
11. 1963 sind an der Spitze des politischen Establishment der USA | |
angekommen. An der Basis waren sie ohnehin von Anfang an stark. | |
Kaum sind die Schüsse auf den winkenden Präsidenten, der in dem offenen | |
Wagen neben seiner Frau und vor dem Governor von Texas und dessen Gattin | |
saß, auf der Dealey Plaza in Dallas verhallt, kommen die ersten | |
Verschwörungstheorien auf. Vergeblich versuchen der US-Kongress und der | |
neue Präsident Lyndon B. Johnson dagegenzuhalten, indem sie das Kapitel des | |
Mordes von Dallas schnell schließen. | |
Schon im Frühherbst 1964 liegt der Bericht der „Warren-Kommission“ vor, die | |
den Mord für den US-Kongress untersucht hat. Johnson hat die Kommission zur | |
Eile gedrängt. Im Inneren der Kommission bestimmen Militärs und | |
Geheimdienstler den Ton. Darunter der von JFK nach der Invasion der | |
Schweinebucht gechasste ehemalige CIA-Chef Allen Dulles. | |
Ihr Abschlussbericht besagt, dass Oswald sämtliche Schüsse auf JFK | |
abgegeben und ohne Komplizen gehandelt habe. Widersprechende | |
Augenzeugenberichte und ballistische Ungereimtheiten kommen darin nicht | |
vor. Und auch die Tatmotive des 24-jährigen Oswald werden nicht klar. | |
## Der Mörder wird ermordet | |
Oswald selbst hatte keine Gelegenheit, sich zu äußern. Denn weniger als | |
zwei Tage nach dem Präsidenten ist auch er tot. Er ist von einem halben | |
Dutzend Polizisten auf der Wache in Dallas umgeben, als Nachtclubbetreiber | |
Jack Ruby sich von hinten auf ihn stürzt und ihn erschießt. | |
Der 35. Präsident ist der vierte in der Geschichte der USA, der eines | |
gewaltsamen Todes stirbt. Vor ihm sind Abraham Lincoln (1865), James | |
Garfield (1881) und William McKinley (1901) im Amt ermordet worden. Doch | |
kein einziger Präsidentenmord in den USA bleibt so nachhaltig in der | |
Debatte wie der letzte. | |
JFK verkörpert alle möglichen Veränderungen im Weißen Haus. Er ist der | |
jüngste Präsident. Seine Frau Jacqueline hat Kultstatus. Er ist der erste | |
Katholik. Und der erste Präsident, der sich ungezwungen vor Kameras und | |
Mikrofonen bewegt. Was seinen Mord umgehend zu einem globalen Ereignis | |
macht, ist, dass die USA im Jahr 1963 eine Supermacht sind und die Welt | |
sich im Kalten Krieg befindet. | |
In den knapp drei Jahren seiner Amtszeit ist es zu mehreren schweren | |
internationalen Krisen gekommen: Die von der CIA organisierte gescheiterte | |
Kuba-Invasion in der Schweinebucht ist die erste davon. | |
## Der Dritte Weltkrieg droht | |
Sie führt zu einem Zerwürfnis zwischen dem Weißem Haus und dem | |
Geheimdienst. In der Raketenkrise mit der Sowjetunion scheint ein dritter | |
Weltkrieg wochenlang nur einen Knopfdruck entfernt. In Berlin entsteht die | |
Mauer. Und in Vietnam laufen US-amerikanische Kriegsvorbereitungen. | |
Zum 50. Jahrestag hat jene komplizierte Gemengelage erneut Hochkonjunktur. | |
15 Jahre nach der Warren-Kommission hat es eine zweite Morduntersuchung im | |
Kongress gegeben. Anfang der 90er Jahre dann sind unter Eindruck der Fragen | |
des JFK-Films von Oliver Stone zusätzliche Dokumente freigegeben worden. | |
Aber die Bücherwelle verebbt nicht. In den vergangenen Jahrzehnten sind | |
Tausende JFK-Bücher erschienen, die fast alle von Männern verfasst wurden. | |
Und in diesem Jahr sind mehrere Dutzend weitere hinzugekommen. Sie handeln | |
von dem verbrannten originalen Autopsiebericht. Sie versuchen, den Weg der | |
Kugeln zu rekonstruieren, von denen eine zunächst durch den Präsidenten | |
hindurchgeschossen und dann den vor ihm sitzenden texanischen Governor John | |
Connally verletzt haben soll. Und sie suchen weiter nach den Hintermännern, | |
die es offiziell nie gegeben hat. | |
## Fidel Castro war es nicht | |
Buchautor Philip Shenon holt Kuba aus der Schusslinie. Er beschreibt ein | |
bislang unbekanntes Treffen zwischen einem Mitglied der Warren-Kommission | |
und Fidel Castro auf einer Yacht. Dabei versichert der kubanische | |
Staatschef, gegen den JFKs Regierung zahlreiche Mordkomplotte geschmiedet | |
hat, dem US-Amerikaner seine „Bewunderung“ für JFK und bestreitet jede | |
Beteiligung an dem Mord. | |
In einem anderen Buch versucht ein ehemaliger Mitarbeiter der | |
Warren-Kommission, Howard Willens, den Verdacht der Mafia-Connection zu | |
entkräften und erneut die Gültigkeit der Arbeit seiner Kommission zu | |
belegen. Dagegen schreibt der zuvor überhaupt nicht | |
verschwörungstheoretische Kennedy-Historiker Robert Dallek jetzt, dass der | |
größte Gegner des ermordeten Präsidenten nicht Kommunisten, sondern dessen | |
eigene Generäle und Dienste gewesen seien. | |
Die US-Fernsehsender füllen unterdessen ihre Programme schon seit Mitte des | |
Monats mit Dokumentarfilmen und Fiktionen über JFK, in denen die Suche nach | |
Drahtziehern kaum vorkommt. Man beschränkt sich darauf, die Lust nach | |
persönlichen Geschichten zu bedienen. | |
## JFK und Oswald | |
Die zweiteilige Serie „American Experience: JFK“ etwa erzählt nochmals die | |
Geschichte vom Kennedy-Clan. „Killing Kennedy“, das auf einem Buch von Bill | |
O’Reilly basiert, Moderator beim rechtskonservativen TV-Sender Fox, zeigt | |
indes die letzten Lebensjahre von JFK und Oswald als Parallelgeschichten. | |
Der strahlende JFK wird hier mit einem Verlierertypen kontrastiert. | |
Beide Männer werden ungefähr gleichzeitig zum zweiten Mal Vater. Aber der | |
ehemalige US-Marine und Kommunist Oswald, der vorübergehend in der | |
Sowjetunion gelebt hat, bevor er mit seiner russischen Frau in die USA | |
zurückkommt, scheitert sowohl privat als auch beruflich. In dem Film hat | |
Oswald die alleinige Verantwortung für die Mordtat. Doch warum er sie | |
verübt hat, bleibt ebenso offen wie die Frage, warum die US-Geheimdienste, | |
die Oswald kannten, nichts unternommen haben, um die Tat zu verhindern. | |
Jene 59 Prozent der US-BürgerInnen, die laut einer Umfrage von AP weiterhin | |
an der offiziellen Version zweifeln, werden sich von solchen Filmen mit | |
human touch nicht beeindrucken lassen. Viele Zweifler sind zwar bereit, in | |
Oswald zumindest einen – von möglicherweise zwei – Mordschützen zu sehen. | |
Doch hinter ihm vermuten sie weitere Verschwörer. | |
## Havanna, Moskau oder CI? | |
Dabei gehen ihre Verdachtsmomente in unterschiedlichste Richtungen. Wenn es | |
nicht Havanna und Moskau sind, dann der CIA oder andere US-Geheimdienste. | |
Vielleicht ist es der FBI oder die Mafia oder der JFK-Nachfolger Johnson. | |
Auch ein paar alte Männer, die in Dallas dabei waren, haben in den letzten | |
Monaten neue Geschichten in die Debatte geworfen. So hat Robert McClelland, | |
jener Arzt, der den schwer verletzten Präsidenten im Krankenhaus in Empfang | |
nahm, erklärt, dass JFKs Kopf Einschüsse aus zwei verschiedenen Richtungen | |
gehabt habe. Das ist Wasser auf die Mühlen jener, die schon immer von einem | |
zweiten Schützen ausgegangen sind. | |
Wenn Fragen nach solchen Details in den Diskussionssendungen im Fernsehen | |
auftauchen, antworten die Moderatoren schlicht und einfach: „Die ganze | |
Wahrheit werden wir nie erfahren.“ | |
21 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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