| # taz.de -- In Erinnerung an Michael Rutschky: Hilfe gegen die Irren | |
| > Nachruf auf einen Freund und anregenden Autor, Kritiker der Kritiker, der | |
| > die Wirklichkeit mit Wohlgefallen betrachtete. | |
| Bild: Michael Rutschky, der das Lesen liebte, vor einer Bücherwand | |
| Für Fernreisen, als Sehnsuchtsgeschichten, hatte er keinen Sinn. Ich | |
| glaube, er pflegte sich auf seinen best buddy zu berufen und sagte: „Scheel | |
| findet ja, Sehenswürdigkeit als solche kann man sich in Bildbänden viel | |
| schöner angucken.“ Viel mehr liebte er das Nahe und damit das auch Ferne, | |
| Spaziergänge durch Berlin. | |
| Treffpunkt S Pankow, dann runter die Magistrale gen Alexanderplatz, dort in | |
| ein Restaurant unprätentiöser Art. Während der Stunden des Gehens bemerkte | |
| er dieses & das, ein Leser metropoler Zeichen. Und im Lokal erwähnte er, | |
| als ich ein Stück gebratenes Fleisch wählte: „Mein Vater sagte ‚Stiek‘�… | |
| also nicht „Stäik“, wie der kosmopolitisch Versierte das natürlich | |
| auszusprechen hat und der frische Nachkriegsdeutsche das noch nicht besser | |
| wusste, „aber das mit Gusto“. Und ließ noch fallen, dass Sterne-Restaurants | |
| eigentlich nur verkappte Schmuckläden wären: „So schön teuer alles, so isst | |
| man Juwelen.“ | |
| Rutschky war ein famoser Freund – und ein Begleiter selbst bei innerster | |
| Not. Gab en passant, ohne Gewese, eine Telefonnummer weiter auf die Frage, | |
| ob er eine psychoanalytische Adresse wüsste – um darüber dann nie wieder | |
| ein Wort der (falschen) Neugier zu verlieren. Lobte alles Uneitle und | |
| verspottete mal milde, mal ätzend alles, was gefallsüchtig, blöde, dümmlich | |
| oder einfach nur bescheuert war. | |
| Horst Lichter etwa, eine dieser grundsympathischen TV-Gestalten, wobei man | |
| einwenden durfte, dass es noch viel Schlimmeres gebe, denn der Lichter sei | |
| ein viel zu mickeriges Licht, als dass er Verdammung verdiente. Etwa die | |
| Riege der 3sat-Kulturzeit-Moderator*innen, die in so gut wie allem | |
| „kulturkritisch“ raunten, immer mit gebremster Unheiterkeit: „Kritik ist … | |
| der Grundmodus allen öffentlichen Redens, das ist Pathos mit Anspruch, und | |
| das nicht mal mit Charme.“ | |
| ## Nein, die Welt steht nicht am Abgrund | |
| Solche Rutschky-Sätze fielen oft. Therapeutisches Futter gegen die Irren | |
| der Zeit. Er war immer ein Kulturoptimist, er hätte niemals gegen alle | |
| Vernunft etwas behauptet, was einfach nur Geplapper gewesen wäre. Nein, die | |
| Welt steht nicht am Abgrund. Sie ist besser geworden. Sie wird jeden Tag | |
| besser. Diagnosen, dass es alles „zunehmend“ „immer schlimmer“ würde, | |
| kommentierte er mit einem höhnischen Kichern: „Das sind Erzählschemata, um | |
| sich den Blick auf die Welt einfach zu machen.“ Dass alles „zunehmend“ in | |
| die Krise gerate, dies zu sagen falle auf die Krisendiagnostiker selbst | |
| zurück: Sie fürchteten („ach, würden sie doch mal über sich reden, nicht | |
| über andere mit ihren sogenannten Krisen“) aus Wohlgefallen am zu | |
| Kritisierenden. | |
| Zur sogenannten Flüchtlingskrise sagte er nur, als wir gerade die | |
| Hermannstraße in Neukölln heruntergingen, überall nichts als | |
| multikulturelles Gewusel: „Ich befürchte gar nichts. Weil es alles gut | |
| wird. Heute weiß doch keiner mehr, wie entsetzlich fies und gemein die | |
| Flüchtlinge aus Ostpreußen in Westdeutschland behandelt wurden. Das braucht | |
| Zeit, aber es wird ein deutsches Erfolgsmodell – Integration durch und | |
| durch.“ Die Wirklichkeit mit Wohlgefallen betrachtet – das wird schon | |
| klappen. | |
| Von ihm lernte man, Amerika zu lieben und das Amerikanische in sich gleich | |
| mit. Erwähnte man, dass die Bundesrepublik dankbar sein müsse für die | |
| Kolonialisierung durch die USA seit dem Angriff in der Normandie 1944, | |
| lachte er auf seine manchmal scheue Art und sagte: Ja, das werden viele | |
| Deutsche den Amerikanern nie verzeihen. Gern stritten wir, ob Thomas Mann, | |
| dessen Romane er liebte, nicht ein verkappter Homo gewesen sei … Nein, | |
| schroffer Widerspruch gegen alle Offenkundigkeit, denn sei nicht jeder Mann | |
| mal in einen anderen Mann verliebt? | |
| Mit das Letzte, was er in diesen Tagen sagte, war etwas zum Aufsteigertum. | |
| Dieses sei weniger, fand er, ein Phänomen von Emporkommenswilligen, sondern | |
| allen Aufsteigern sei gemein, dass sie aus der Provinz herauswollten, aus | |
| der Enge und aus viel zu engen Nachbarschaften. Und apropos, die Ehe – er | |
| wird auch über seine Jahrzehnte mit seiner geliebten Frau Katharina | |
| gesprochen haben, aber generell: Ach, man könne sich mal ein Vierteljahr | |
| hassen, sich aus dem Weg gehen, aber am Ende liebe man den anderen doch. | |
| Trennungen – „wissen Sie, ich bin der Typ ‚husband‘“ – kamen nicht … | |
| Frage, er war treu, und extra immer dann, wenn es zählte. | |
| Keine Ahnung, wie es ohne ihn weitergehen soll – die Wortkombination „keine | |
| Ahnung“ liebte er, wenn er sie bei Jugendlichen hörte, „ihnen steht der | |
| Satz schön, mit ihm haben sie nämlich völlig recht“. Er fehlt ja jetzt | |
| schon, es ist wahnsinnig traurig. Nur dies: dankbar, ihn als Freund gewusst | |
| zu haben. | |
| 19 Mar 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
| ## TAGS | |
| Michael Rutschky | |
| Michael Rutschky | |
| Michael Rutschky | |
| Schwerpunkt Bundestagswahl 2025 | |
| Michael Rutschky | |
| Nelson Mandela | |
| Kennedy | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Nachruf auf Michael Rutschky: Ein Kulturoptimist ist gestorben | |
| Der Berliner Publizist und Autor Michael Rutschky ist tot. Auch mit der taz | |
| war der „Kulturoptimist“ eng verbunden. | |
| Tagebücher von Michael Rutschky: Alles erscheint so fern | |
| Eine weitere Folge von Michael Rutschkys Tagebuchaufzeichnungen: Der Band | |
| „In die neue Zeit“ handelt von der Zeit um die Wende. | |
| Vier Fragen an Michael Rutschky: „Merkel ist erstaunlich“ | |
| Schriftsteller Michael Rutschky im Kurzinterview: Was ist wirklich Phase | |
| bei der Wahl? Wie geht es danach weiter? Und wie ist das mit der FDP? | |
| Tagebücher eines Publizisten: „Ich nehme den Wildtopf Diana“ | |
| Die Tagebücher des Essayisten Michael Rutschky bieten ein großartiges | |
| Sittenbild der westdeutschen Intelligenz in den frühen achtziger Jahren. | |
| Freudenfeste: Hitler, Mandela, Mauerfall | |
| Es gibt Augenblicke der Freude, die bleiben eingebrannt in die Erinnerung. | |
| Mandelas Besuch in Deutschland etwa. Oder auch der Tag, an dem Hitler | |
| starb. | |
| Kennedy-Besuch in Berlin: Richtig rostrotes Haar | |
| Vor 50 Jahren kam John F. Kennedy nach Berlin. Der Sender Freies Berlin | |
| berichtete sieben Stunden lang live. Unser Autor hat die Bilder angesehen. | |
| Thomas Manns "Betrachtungen": Träum ich von Deutschland früh am Tag | |
| Die große Thomas-Mann-Ausgabe ist bei den "Betrachtungen eines | |
| Unpolitischen" angekommen - ein besonderer Band. | |
| US-Präsidenten als Napoleons Erben: Der Kaiser aus Amerika | |
| Obama ist würdiger Nachfolger Napoleons. Weil der im 19. Jahrhundert | |
| scheiterte, befinden wir uns seit 1945 innerhalb des amerikanischen | |
| Imperiums. Eine steile These zur Inauguration. |