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# taz.de -- Debatte syrische Flüchtlinge im Libanon: Syrer im Angebot
> Millionen Syrer sind auf der Flucht, viele stranden in Beirut. Ihnen zu
> helfen wäre einfach. Doch fast niemand kümmert sich um sie.
Bild: Syrer protestieren am Wochenende in Beirut
Der kleine Libanon mit seinen rund 4,2 Millionen EinwohnerInnen hat
offiziell über 500.000 syrische Flüchtlinge aufgenommen; die wirkliche Zahl
dürfte doppelt so hoch sein. Damit machen Syrerinnen und Syrer mittlerweile
fast ein Fünftel der Menschen im Libanon aus, trotzdem bleibt die
syrisch-libanesische Grenze offen. Deutschland hat sich – nach mehr als
zwei Jahren des Konflikts – zur Aufnahme von gerade mal 5.000 Flüchtlingen
durchgerungen.
Der Libanon hat bislang keine Flüchtlingscamps eingerichtet und bekommt
wenig internationale Flüchtlingshilfe. Wer hier ankommt, ist auf sich
selbst gestellt. Die meisten Flüchtlinge suchen sich eine Unterkunft dort,
wo sie irgendjemanden kennen. Viele kommen erst mal nach Beirut. Die
Ärmsten der Armen campieren auf Verkehrsinseln unter den Hochstraßen. Ihre
Habe in wenigen Plastiktüten verstaut, verbringen sie dort den Tag, einige
von ihnen stehen bettelnd mitten im dichten Straßenverkehr.
## Keine Arbeitsgenehmigung
Wer noch Erspartes hat, geht in die überfüllten Palästinenserlager Sabra
und Schatila. Viele Palästinenser quartieren sich bei ihren Familien oder
Freunden ein und vermieten ihre Wohnung an die Syrer, um ein wenig Geld zu
machen. Ein karger Raum, ohne Teppich, ohne alles, kostet dort 300 Dollar
im Monat – das Billigste, was man im teuren Beirut bekommen kann.
Mittlerweile haben sich fast 2.000 syrische Flüchtlingsfamilien, oft mit
bis zu zehn Mitgliedern, alleine hier registriert. Entsprechend klettern
die Preise weiter.
„Wir haben von Privatleuten ein Stück Land in der Bekaa-Ebene zur Verfügung
gestellt bekommen und geplant, wie man dort ein Flüchtlingslager einrichten
könnte“, berichtet Abu Khaled von der Hilfsorganisation Najda Now. „Wir
haben sogar die Zustimmung der örtlichen Verwaltung bekommen, aber
natürlich ist es wichtig, von Anfang an die Wasser- und Abwasserversorgung
zu regeln. Dafür bräuchten wir 30.000 US-Dollar, aber niemand will sie uns
geben, solange es kein Abkommen auf Regierungsebene gibt.“
Erschwerend kommt hinzu, dass der Libanon den SyrerInnen keine
Arbeitsgenehmigung erteilt. Viele arbeiten schwarz und nehmen in Kauf,
deutlich unter Tarif bezahlt zu werden. Das wiederum hat viele Libanesen
ihre Jobs gekostet. Seit der brutalen Niederschlagung der Aufstände durch
das Assad-Regime hat die Armut im Libanon deutlich zugenommen und damit
auch die Straßenkriminalität. Das wird alles auf die Syrer geschoben.
Ressentiments nehmen zu.
## Kein Platz in den Schulen
In der Folge gehen viele Flüchtlinge in besonders konservative Gegenden,
weil Menschen sich dort eher verpflichtet fühlen, anderen zu helfen. Andere
haben sich in einem stillgelegten Gefängnis in der Bekaa-Ebene
eingerichtet. In Saida, im Süden des Libanon, wohnen Hunderte Flüchtlinge
am Rande der Stadt in Betonrohbauten, die nur aus Zwischendecken und
Stützpfeilern bestehen. Im März habe ich diesen Ort besucht. Der eisige
Wind, der durch das Gebäude pfiff, wurde nur von dünnen Spanplatten und
Planen abgehalten, mit denen sich einzelne Familien kleine Bereiche
abgetrennt haben. Im Winter hatten sie nichts, um zu heizen. Die einzige
Kochgelegenheit war ein Stahlfass vor dem Gebäude, dem der beißende Gestank
verbrannten Mülls entströmte. Anderes Brennmaterial gab es nicht.
„Habt ihr von irgendjemandem Hilfe bekommen?“ fragten wir. „Eine
Organisation war so freundlich, uns die Planen zu geben. Und dort drüben
dürfen wir uns Wasser holen.“ Eine Frau mit einem Baby auf dem Arm deutete
auf einen anderen Rohbau hundert Meter entfernt, von dem gerade ein paar
Jungs Eimer herantragen. „Woher kommt ihr? Und wie habt ihr dort gelebt?“
Der Älteste des Lagers zuckt die Schultern: „Wir kommen aus dem Umland von
Homs. Dort ist die Situation Anfang 2013 so schlimm geworden, dass es
einfach nicht mehr ging. Ein paar Männer aus unserer Gegend waren hier auf
dem Bau beschäftigt, deshalb sind wir hierher genommen. Wir wollen uns
nicht beschweren, wir hatten auch zu Hause nicht viel. Hauptsache, wir sind
in Sicherheit.“ Ob die Kinder zur Schule gehen? Nein, für syrische
Flüchtlinge gibt es keinen Platz in libanesischen Schulen. „Kommt, trinkt
Kaffee mit uns“, laden sie uns ein. Die Situation hat ihre Gastfreundschaft
nicht geschmälert.
## Frauenhandel floriert
In Kairo ist die Situation für syrische Flüchtlinge nicht besser. So stellt
die seit Jahren in Ägypten lebende Journalistin Julia Gerlach fest:
„Syrische Frauen sind in Ägypten zum Mythos geworden. Selbst unser
Hausmeister träumt davon, sich eine zu nehmen, dabei hat er schon zwei
Frauen.“ Immer wieder ginge das Gerücht um, dass in dieser oder jener
Moschee Syrerinnen vermittelt würden, und wer sich dafür interessiert, hat
nicht das Gefühl, etwas Falsches zu machen. Das Einzige, was man bieten
können muss, ist ein Zimmer für die Heirat. Viele Ägypter können sich eine
Heirat mit einer Ägypterin nicht leisten – und reden sich jetzt ein, sie
täten den notleidenden Syrerinnen nur etwas Gutes. Immer wieder könne man
auf der Straße den Ausspruch hören: „Baschar, danke, dass du uns so viele
Syrerinnen schickst.“
Ganz so offensichtlich ist der Frauenhandel im Libanon nicht. Aber auch
hier kursieren viele Geschichten über Eheschließungen aus Not und von
Familien, die ihre Töchter verkaufen. Sexuelle Nötigung ist auch hier
salonfähig geworden. Mein libanesischer Kollege Haid Haid kommentiert: „Ich
habe viele Jahre für das UNHCR in Syrien mit irakischen Flüchtlingen
gearbeitet. Da gab es auch sexuelle Ausbeutung, aber Prostitution war
verpönt. Doch hier hat man dieser fürchterlichen Praxis zu sozialer
Akzeptanz verholfen.“
Auch wenn die Politik keine Antwort auf die große Syrien-Frage hat: Sie
sollte sich zumindest der humanitären Katastrophe stellen. Das heißt, sich
dafür einsetzen, dass mehr Staaten mehr Flüchtlinge aufnehmen. Und – um den
viel beschworenen Flächenbrand zu verhindern – endlich substanzielle
finanzielle Hilfe in die bedrängten Nachbarstaaten und die befreiten
Gebiete schicken.
15 Jul 2013
## AUTOREN
Bente Scheller
## TAGS
Flüchtlinge
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Beirut
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