# taz.de -- Journalismus-Projekt im Libanon: Gute News für das Camp | |
> „Campji“ heißt ein Projekt der Deutschen Welle. Die ReporterInnen | |
> berichten aus dem Beiruter Flüchtlingscamp Schatila. | |
Bild: Ein Blick ins Flüchtlingscamp Schatila: lehmige Wege, kleine Geschäfte … | |
Beirut taz | Auf dem Weg zur Redaktion von Campji muss man sich nicht nur | |
durchs Camp von Schatila bewegen. Sondern über lehmige Wege, die bei Regen | |
zu Schlammpisten werden, vorbei an blitzenden Mobilfunkgeschäften, aber | |
auch Karren ausweichend, die noch aus dem vorvorletzten Jahrhundert zu | |
stammen scheinen, und dabei aufpassen, dass die knapp über Kopfhöhe | |
verlaufenden und nur unzureichend isolierten Stromkabel nicht ihre Energie | |
ausgerechnet auf dem eigenen Schädel entladen. | |
Vom Gewühl auf den Straßen muss man sich auch noch ein enges Treppenhaus | |
hinaufkämpfen, durch eine Traube von Müttern mit Säuglingen, die in einer | |
Klinik von Ärzte ohne Grenzen warten, und eine Etage höher vorbei an den | |
etwas älteren Kindern, die aus den Klassenräumen der Schule der von | |
syrischen Refugees gegründeten NGO Basmeh & Zeitooneh strömen. | |
Dann erst, ein zweites Treppenhaus wieder abwärts gehend, wird es etwas | |
ruhiger. Und man gelangt zu den zwei Räumen, in denen die Redaktion von | |
Campji ihre Videos schneidet, sie auf die Plattformen von Facebook und | |
YouTube stellt, aber auch neue Themen bespricht und sich parallel in Form | |
von Workshops weiterbildet. | |
## Bevölkerung ohne Stimme | |
„Etwa ein Dutzend junge Leute zwischen 17 und 25 Jahren arbeiten bei uns. | |
Eine erste Generation haben wir seit November 2016 ausgebildet. Es sind | |
Jugendliche und junge Erwachsene aus Schatila. Wir bringen ihnen bei, wie | |
man eine gute Geschichte findet, sie entwickelt, Drehs organisiert, das | |
Material schneidet und veröffentlicht. | |
Mit einer zweiten Gruppe, jungen Refugees aus der Bekaa-Ebene, arbeiten wir | |
seit ein paar Monaten“, erzählt Lina Abdelaziz, die Chefredakteurin und | |
Projektleiterin. Abdelaziz, deren Vater Palästinenser und die Mutter | |
Libanesin ist, hat unter anderem für das irakische Fernsehen gearbeitet. | |
Sie berichtete vom Krieg im Libanon, aus den palästinensischen Camps und | |
über irakische Flüchtlinge in der Region. Jetzt ist die TV-Journalistin | |
hier in Schatila, einem ehemals palästinensischen Camp. Die ursprüngliche | |
Einwohnerzahl hat sich durch den Zuzug vieler Kriegsflüchtlinge aus Syrien | |
von etwa 20.000 Personen auf aktuell 50.000 mehr als verdoppelt. | |
Es ist eine Bevölkerung, die selbst keine Stimme hat. Als | |
Kommunikationsmittel im Camp fallen vor allem die Graffiti, die | |
Märtyrerplakate und die teilweise erstaunlich frisch wirkenden Poster vom | |
längst verstorbenen Palästinenserführer Jassir Arafat auf. Es sind | |
Botschaften des Kampfes. Wie repräsentativ diese Haltung für die | |
Bevölkerung ist, bleibt weitgehend unerforscht. Wenn Abgesandte westlicher | |
Medien ins Lager kommen, werden die PLO-Insignien gern als visuelles | |
Lokalkolorit mitgenommen, und dann meist durch Elendsgeschichten ergänzt. | |
„Es ist aber nicht alles Elend hier. Wir wollen diesen Klischees | |
entgegenwirken“, meint Abdelaziz. „Ich liebe Schatila. Jede Ecke hier sagt | |
mir etwas Besonderes. Und ich will vor allem die jungen Leute zu Wort | |
kommen lassen, um die sich sonst keine Zeitung, kein Medium kümmert“, | |
erklärt Samih. Samih ist 19 Jahre alt. | |
Er stammt aus Yarmouk bei Damaskus – einem Camp, das als Bastion des | |
„Islamischen Staates“ traurige Berühmtheit erlangte – und hält sich seit | |
2013 in Schatila auf. Dass er einmal sagen würde, er liebe Schatila, hätte | |
er sich bei seinem Eintreffen nicht träumen lassen. „Es war hart. Du | |
musstest kämpfen, um dich durchzusetzen. Jeden Tag, auch in der Schule, | |
egal, ob es Syrer oder Palästinenser waren“, erzählt er. | |
## Geschichten aus dem Alltag | |
Samih berichtet von einem jungen Tänzer und Sänger, der im Lager die | |
Tradition des Dabke-Tanzes aufrechterhält und sie weitergeben will durch | |
seine Auftritte. Aber auch von einem alten Fischer, der sich seit dem | |
libanesischen Bürgerkrieg nicht mehr aus dem Lager traute und der vor Sorge | |
ums tägliche Brot auch keine Zeit mehr hatte, um ans Meer zu fahren. „Wir | |
haben von ihm erfahren, sind mit ihm ins Taxi gestiegen, ans Meer gefahren | |
und haben das gefilmt“, sagt er. Als der alte Mann das Meer sah, habe er | |
geweint, sagt Samih noch. Das Video kann man auf der [1][Facebookseite von | |
Campji] sehen. | |
Bald wird dort auch das neue Projekt von Fatima veröffentlicht. „Ich zeige | |
eine Frau, Mutter von 10 Kindern, die immer nur Hausfrau war, jetzt aber | |
durch einen Schweibworkshop darauf gekommen ist, ihre eigenen Geschichten | |
aufzuschreiben und daraus ein Buch zu machen“, fasst die 17-Jährige, die | |
aus einem Ort im Großraum Damaskus stammt und seit vier Jahren mit ihrer | |
Familie als Flüchtling in der Bekaa-Ebene lebt, ihren Beitrag zusammen. | |
Die einzelnen Videoclips, teils Zweiminüter, teils aber auch acht Minuten | |
lang, haben meist Klickzahlen zwischen 5.000 und 10.000. Einzelne wurden | |
aber auch mehr als 40.000 Mal angesehen. „Viel Resonanz kommt natürlich aus | |
dem Camp. Campji ist schließlich auch als eine Form von Lokalzeitung | |
gedacht, die die Menschen unmittelbar zusammenbringt. Es kommen aber auch | |
immer mehr Besucher aus anderen arabischen Ländern hinzu. Campji strahlt | |
über Schatila hinaus“, meint Jens-Uwe Rahe, Regionalverantwortlicher für | |
den Nahen Osten der DW Akademie, die Campji ins Leben rief. | |
Die DW Akademie ist in ca. 50 Ländern weltweit aktiv, um journalistische | |
Projekte zu initiieren. „Unser Hauptzweck ist, Meinungsfreiheit zu fördern | |
und dazu beizutragen, dass Menschen gut informiert sind, eigene Haltungen | |
entwickeln und Medien kritisch nutzen und gestalten können“, erklärt Rahe. | |
Ein ähnliches Projekt wie Campji lancierte die DW Akademie bereits in | |
Nablus in den palästinensischen Autonomiegebieten. Erfolgreich ist nach | |
Angaben von Oliver Schilling, der die Projektkommunikation der DW Akademie | |
verantwortet, auch ein Projekt mit Exiljournalisten aus dem Südsudan, die | |
vom Flüchtlingscamp Kakuma in Uganda aus operieren. | |
„Perspektivisch soll Campji ab 2019 als unabhängige Struktur | |
funktionieren“, sagt Rahe. So lange läuft auch die Förderung, die durch das | |
Bundesentwicklungsministerium mit einer niedrigen sechsstelligen Summe pro | |
Jahr finanziert ist. Die Projektleiterin Lina Abdelaziz ist von der | |
Partnerorganisation Basmeh & Zeitooneh angestellt, sie sieht realistische | |
Chancen für die jungen Journalisten vor allem als Produzenten von | |
Videofootage für internationale Fernsehanstalten sowie als freie | |
Journalisten für Drehs in den Lagern. Die DW Akademie wiederum hofft, dass | |
die etablierten Standards von Recherche, Quellenklärung und Quellenschutz | |
langfristig für journalistische Qualität gerade auch im umkämpften Feld von | |
Krieg, Flucht und Vertreibung sorgen kann. | |
Samih zumindest schaut gegenwärtig noch nicht auf Jobs bei größeren | |
Sendern. Der junge Syrer mit palästinensischem Migrationshintergrund, der | |
derzeit im Libanon lebt, sagt: „Schatila ist meine Heimat. Von hier möchte | |
ich berichten.“ | |
29 Jan 2018 | |
## LINKS | |
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## AUTOREN | |
Tom Mustroph | |
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