| # taz.de -- Wahl im Libanon: Vom Müllprotest ins Parlament | |
| > Am 6. Mai wählt der Libanon ein neues Parlament – zum ersten Mal seit | |
| > neun Jahren. Neue Parteien wollen im festgefügten System einen Platz | |
| > erobern. | |
| Bild: Viele junge Leute haben den Glauben in die politischen Eliten des Landes … | |
| Beirut taz | „Die etablierten Parteien haben nichts für den Libanon getan. | |
| Schau dir doch die ganzen Probleme an: Der Müll, die Stromausfälle, die | |
| Korruption.“ Jihad Harb steht auf dem Dorfplatz vor der Kirche von Bcharré, | |
| einer Kleinstadt im Norden des Libanon. Er ist Wahlkampfmanager der jungen | |
| Partei Sabaa, die sich als Alternative zu den etablierten politischen | |
| Kräften im Libanon präsentiert. | |
| Die Leute von Sabaa sind unterwegs mit ihrem türkis-violetten Wahlkampfbus. | |
| Auf einem kleinen Tisch haben sie ihr Wahlprogramm ausgelegt, außerdem ein | |
| Fotoalbum über die jüngste Australien-Reise ihres Kandidaten. Nicht viele | |
| Leute interessieren sich dafür. Die Gegend ist eine Hochburg der | |
| etablierten maronitisch-christlichen Quwaat Al Lubnaniyya (Libanesische | |
| Kräfte). | |
| Am kommenden Sonntag wählt Libanon zum ersten Mal seit neun Jahren ein | |
| neues Parlament. In der Zwischenzeit haben die Parlamentarier ihr Mandat | |
| dreimal verlängert und die ursprünglich für Mai 2013 angesetzten Wahlen | |
| immer wieder verschoben. Als Begründung verwies man zuerst auf den Krieg im | |
| Nachbarland Syrien. Später spielte auch eine Rolle, dass sich die | |
| politischen Lager nicht auf ein neues Wahlgesetz einigen konnten. | |
| Dass sich nun etwas am Machtgefüge im Libanon ändern wird, glauben die | |
| wenigsten. Es dürfte zu einer Neuauflage der nationalen Einheitsregierung | |
| unter Premierminister Saad al-Hariri kommen, an der alle konfessionellen | |
| Lager des multireligiösen Landes beteiligt sind. | |
| ## Kleinere Parteien mit Kandidaten aller Konfessionen | |
| Und trotzdem ist bei diesen Wahlen etwas anders: Zum ersten Mal treten | |
| kleinere Parteien an, die Kandidaten aus allen Konfessionen vereinen. Die | |
| meisten entwickelten sich aus den „You Stink“-Protesten von 2015, als sich | |
| der Abfall in den Straßen Beiruts türmte und Zehntausende gegen die | |
| Müllkrise auf die Straße gingen. Die Partei Beirut Madinati (Meine Stadt | |
| Beirut), die 2016 bei den Kommunalwahlen überraschend 40 Prozent der | |
| Stimmen bekam, tritt nicht an. Aber ein Teil ihrer Aktivisten haben mit | |
| LiBaladi (Für mein Land) eine neue Partei gegründet, die sich mit Sabaa und | |
| 10 weiteren Gruppierungen zum Bündnis Kuluna Watani (Wir alle sind unsere | |
| Heimat) zusammengeschlossen hat. | |
| Das ist die Folge von Frustration. Viele junge Leute haben den Glauben in | |
| die politischen Eliten des Landes längst verloren und kritisieren die | |
| jahrzehntelange Misswirtschaft, die Korruption und die konfessionellen | |
| Grabenkämpfe. Auch im Wahlkampf ist dieser Wandel zu spüren: Anders als | |
| 2005 und 2009 geht es nicht mehr nur um die großen politischen Fragen, wie | |
| die Rolle der schiitischen Hisbollah-Miliz oder die Beziehungen zu Syrien, | |
| sondern auch um soziale und wirtschaftliche Themen. | |
| Neu ist bei diesen Wahlen auch das Wahlgesetz, das im Juni 2017 vom | |
| Parlament beschlossen wurde und zum ersten Mal ein Element der | |
| Verhältniswahl einführt. Offiziell soll es den Einzug kleinerer Parteien | |
| erleichtern, die im zuvor geltenden Mehrheitssystem keine Chance hatten. | |
| Doch auch das neue Gesetz birgt Hindernisse für kleinere Parteien: Die | |
| Sperrklausel etwa liegt in manchen Wahlbezirken bei 20 Prozent. | |
| „Dieses Gesetz wurde hinter verschlossenen Türen von ein paar Vertretern | |
| der politischen Klasse ausgearbeitet. Es gab keine wirkliche Debatte | |
| darüber, weder im Parlament, noch mit der Zivilgesellschaft“, sagt Sami | |
| Attalah vom Lebanese Center for Policy Studies in Beirut. Zudem sehe das | |
| neue Gesetz weder eine Frauenquote vor, noch die Einsetzung einer | |
| unabhängigen Wahlkommission. | |
| ## Religiöser Proporz bleibt | |
| Auch den geltenden religiösen Proporz, basierend auf einem Zensus aus dem | |
| Jahr 1932, lässt das neue Gesetz unangetastet: eine Hälfte der 128 | |
| Parlamentssitze sind für die unterschiedlichen christlichen Konfessionen | |
| reserviert, die andere Hälfte für muslimische (und drusische) Abgeordnete – | |
| obwohl Christen im Libanon nur noch rund ein Drittel der Bevölkerung | |
| stellen. | |
| In jedem der 15 Wahlbezirke des Landes ist eine bestimmte Anzahl an | |
| Parlamentssitzen zu vergeben, die einer Konfession zugeordnet sind. Im | |
| christlich geprägten Ostbeirut (Beirut-I) sind es drei armenisch-orthodoxe, | |
| ein armenisch-katholischer, ein maronitischer, ein griechisch-katholischer | |
| und ein Minderheitensitz. Im muslimisch geprägten Westbeirut (Beirut-II) | |
| stehen sechs sunnitische, zwei schiitische, ein drusischer, ein | |
| griechisch-orthodoxer und ein protestantischer Sitz zur Wahl. | |
| So bleiben die Hürden für nichtetablierte Kräfte sehr hoch. Yorgui Tayrouz | |
| von LiBaladi kandidiert im Bezirk Beirut-I für den armenisch-katholischen | |
| Sitz. „2009 hatten wir nur die Wahl zwischen Pech und Schwefel. Aber bei | |
| den diesjährigen Wahlen gibt es eine echte politische Alternative“, sagt | |
| der 33-Jährige. An diesem Abend hat seine Partei zu einem | |
| Social-Media-Event im Badaro-Viertel in Beirut geladen, live auf Facebook | |
| gestreamt. | |
| Viele kleinere Parteien nutzen die sozialen Medien für ihren Wahlkampf. | |
| Denn für Sendezeit im Fernsehen verlangen die TV-Stationen horrende Summen. | |
| „Für 300.000 US-Dollar bekommt man ein Paket mit einen Auftritt in | |
| Frühstücksfernsehen, 2 Kurzberichte in den Nachrichten und einen Auftritt | |
| in einer Abendtalkshow“, erklärt Marwan Maalouf, einer der Initiatoren der | |
| You-Stink-Bewegung von 2015. Solche bezahlten Fernsehauftritte werden auch | |
| nicht als Wahlwerbung kenntlich gemacht. | |
| Yorgui Tayrouz ist überzeugt, dass das Kuluna Watani-Bündnis der aus der | |
| Zivilgesellschaft entstandenen Kleinparteien mindestens 9 Sitze ergattern | |
| wird. Doch diese Einschätzung teilen nicht viele. „Das Problem der | |
| zivilgesellschaftlichen Parteien ist, dass sie nicht lokal verwurzelt sind, | |
| vor allem in den ländlichen Gegenden“, sagt Aktivist Maalouf. „Deswegen ist | |
| ihre Taktik falsch. Anstatt mit chancenlosen Kandidaten in möglichst vielen | |
| Bezirken anzutreten, hätten sie sich auf die Orte konzentrieren sollen, in | |
| denen wirklich eine Chance besteht.“ | |
| 5 May 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Jakob Farah | |
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