# taz.de -- Die Wahrheit: Katzendämonen und Geisterzüge | |
> Ich weiß noch, dass wir abends im Parterre auf die verstorbenen Katzen in | |
> unserem Leben tranken und zwar so sehr, dass eine davon wiederkehrte. | |
Bild: Hat alle neun Leben schon verbraucht: Katzendämon im Geisterzug. | |
Die Frühlingswitterung war instabil, und dauernd fuhren Personenzüge durch | |
die Landschaft, die aus dem gemalten Hintergrund herauskamen. Ich mochte | |
damals nicht daran denken, was auf diese Weise in die Welt getragen wurde, | |
und ich möchte es auch jetzt nicht. Vieles spricht dafür, dass ich im | |
Bahnhofshotel logierte, mich aber oft in der Blockstelle aufhielt. | |
Die Tochter des Blockstellenwärters könnte mich ermuntert haben, im | |
Signalraum zu singen, doch finde ich diese Vorstellung ganz und gar | |
abwegig. Ich weiß noch, dass wir (sie und ich) abends im Parterre auf die | |
verstorbenen Katzen in unserem Leben tranken und zwar so sehr, dass eine | |
davon wiederkehrte. | |
„Das ist keine richtige Katze“, wandte die reichlich trunkene Tochter des | |
Blockstellenwärters ein, ich aber fragte mich, was es sonst sein sollte. | |
Immerzu schossen neue Personenzüge aus dem gemalten Hintergrund heraus, vom | |
reinen Hinsehen konnte einem jedes Talent vergehen. Mein Großvater, ein | |
Mann der Bahn, hatte in seinem Zimmer Eisenbahnzeitschriften gehortet, die | |
ich als Kind studiert hatte, um in meinem späteren Leben auf alles | |
vorbereitet zu sein, doch musste ich jetzt einsehen, dass es nichts genutzt | |
hatte. | |
Es schneite im Mai, und für die Züge fand ich keine Erklärung. Wenn ich am | |
Abend mein Hotelzimmer verlassen wollte, schrillte das Telefon, und eine | |
mysteriöse Stimme im Hörer informierte mich: „Geh jetzt bloß nicht hinaus! | |
Das sind keine richtigen Katzen!“ Damit bezog sich die Stimme auf das | |
entnervende Katzengeschrei, das allabendlich in der Landschaft herrschte. | |
Heute weiß ich: Es war die Tochter des Blockstellenwärters, die mich | |
freundlicherweise warnte. Offenbar wusste sie über diese Dinge mehr als | |
ich. | |
Überhaupt war sie mir geistig überlegen. Deshalb suchte ich ihre Nähe, | |
genau genommen ihren Schutz, doch nachts konnte ich nicht zu ihr. Wegen der | |
heulenden, kreischenden Dämonen, die im Freien ihr Unwesen trieben, saß ich | |
im Hotel fest. An Schlaf war nicht zu denken. | |
Um auf meinem Zimmer nicht dem Trübsinn zu verfallen, suchte ich die Bar im | |
Parterre auf, um einen anderen Hoteldauergast zu treffen, der ebenfalls | |
nicht schlafen konnte. Er machte den Eindruck eines demontierten, ja | |
auseinandergenommenen Mannes. Sein Aussehen war furchterregend, die Anzahl | |
der von ihm geleerten Flaschen wäre selbst für südafrikanische Verhältnisse | |
erschütternd gewesen. | |
Ich kannte ihn, er hielt sich in der Stadt auf, weil er zwischen zwei | |
erbittertst verfeindeten Gruppierungen vermitteln sollte. Mittlerweile | |
hatten ihn private Probleme befallen, es ging, wie er mir schilderte, um | |
eine außergewöhnlich verhängnisvolle Beziehung zu einer Dame, die | |
neuerdings im Konzertcafé Klingenberger auftrat. Diese setzte dem Mann | |
angeblich so zu, dass er keinen anderen Ausweg sah, als sich vor einen Zug | |
zu werfen. Ich rang die Hände, schleuderte auch die Arme empor und ließ | |
Klagelaute hören, doch half dies alles nichts. Draußen schrien die | |
Katzendämonen, und geisterhafte Züge rasten vorbei. | |
18 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Eugen Egner | |
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