| # taz.de -- Prozess in München: Der Kronzeuge des NSU | |
| > Holger G. belastet seine ehemaligen Kameraden schwer. Vor Gericht erzählt | |
| > er die Geschichte einer enttäuschten „Freundschaft“. | |
| Bild: Immer hinter dem Aktendeckel: Holger G., der Kronzeuge im NSU-Prozess. | |
| MÜNCHEN taz | Sie kennen sich seit 24 Jahren – mehr als ihr halbes Leben. | |
| Holger G. und Ralf Wohlleben waren einmal gute Freunde. 1989 begegneten sie | |
| sich in ihrer Heimatstadt Jena. G. war damals 15 Jahre alt, Wohlleben ein | |
| Jahr jünger. Teil der rechten Szene waren sie da noch nicht. | |
| Im „Winzerclub“ in Jena-Winzerla trafen sie sich zum ersten Mal: Wohlleben, | |
| Böhnhardt, Beate Zschäpe, die damals mit Böhnhardt zusammen war, und Uwe | |
| Mundlos, zu der Zeit Zschäpes „Ex“. 1996 waren sie ein Kreis von etwa zehn | |
| Personen. Mit Böhnhardt war G. schon befreundet, bevor er Wohlleben kennen | |
| lernte. | |
| Gemeinsam gründeten sie die Gruppe „Nationaler Widerstand Jena“ (NWJ), | |
| verteilten „Spuckis“ mit der Aufschrift „Bratwurst statt Döner“, waren | |
| später im „Thüringer Heimatschutz“ aktiv, der militant agierte. Die Gruppe | |
| diskutierte darüber, „gewalttätige Aktionen“ zu verüben, wie G. aussagte. | |
| Doch mit Wohlleben will er gegen Gewalt gewesen sein. | |
| Zschäpe soll mit Mundlos und Böhnhardt zwischen 2000 und 2007 zehn Morde | |
| begangen und zwei Sprengstoffanschläge verübt haben. Schon vor dem Weg in | |
| den Untergrund seien sie „Macher“ gewesen, und G. war stolz mit dem Trio | |
| „freundschaftlich verbunden“ zu sein: „Unser Verhältnis war von | |
| Freundschaft, Vertrauen, gemeinsamen politischen Ansichten und Loyalität | |
| geprägt“, sagte er. | |
| Heute sitzen G. und Wohlleben gemeinsam mit Zschäpe und zwei weiteren | |
| mutmaßlichen Helfern vor dem Münchner Oberlandesgericht. G. wird | |
| Unterstützung einer terroristischen Vereinigung in drei Fällen zur Last | |
| gelegt. Wohlleben ist wegen Beihilfe zum Mord in sechs Fällen angeklagt. | |
| ## Belastende Aussagen für Wohlleben | |
| Es war G.s Aussage, die den Blick der Ermittler auf Wohlleben als | |
| mutmaßliche Schlüsselfigur der NSU-Unterstützer lenkte. Wie ist es zu | |
| erklären, dass der große, blonde Mann mit den Segelohren, der Böhnhardt so | |
| ähnlich sah, dass dieser unerkannt mit seinem Pass durchkam, seinen | |
| ehemaligen „Freund“ nun so schwer belastet? | |
| Sicher ist: Er profitiert von der Kronzeugenregelung, die Strafmilderung | |
| verspricht. Seit seinem Geständnis befindet er sich im | |
| Zeugenschutzprogramm. Eine der belastenden Aussagen für Wohlleben und | |
| Carsten S.: die Beschaffung der Ceská CZ 83 über den Jenaer Szeneladen | |
| „Madley“. Dort soll S. in Rücksprache mit Wohlleben die Waffe, mit der das | |
| Trio mutmaßlich neun Morde beging, abgeholt haben. S. war laut G. zeitweise | |
| Wohllebens „rechte Hand“. | |
| Immer wieder bat Wohlleben G. um Hilfe für die drei Untergetauchten – | |
| obwohl dieser 1997 von Thüringen nach Niedersachsen gezogen war. Anfangs | |
| kam G. diesen Bitten offenbar gern nach. Um 1999 übergab er einem weiteren | |
| Kameraden 3.000 D-Mark für das Trio. Wie G. aussagte, hatte Wohlleben | |
| später mit einem weiteren Kameraden ein Solidaritätskonzert und einen | |
| „Baladenabend“ veranstaltet, um Geld für die Drei zu sammeln. | |
| Um 2000 versorgte er Böhnhardt mit einer neuen Identität. Auf Anweisung | |
| meldete G. seinen Reisepass als gestohlen, setzte für das Foto eine Brille | |
| auf, ließ sich einen Schnauzbart wachsen und übergab den neuen Pass in | |
| Zwickau an Zschäpe. Im Laufe der Jahre überließ er den Dreien auch seinen | |
| Führerschein, sowie eine ADAC-Karte. Mit dem Führerschein wurden mehrere | |
| Male Wohnmobile angemietet, darunter diejenigen, die der NSU bei sechs | |
| seiner Morde und beim Bombenanschlag in Köln 2004 benutzt haben soll. | |
| ## Angeblich unwissend übergab er die Waffe | |
| Zwischen 2001 und 2002 kam es zum Bruch mit Wohlleben. Eine erneute Bitte | |
| war der Grund: Weil Wohlleben vermutete unter Beobachtung zu stehen, bat er | |
| G., dem Trio in Zwickau einen Stoffbeutel zu übergeben. Dass sich in dem | |
| Beutel eine Waffe befand, will G. erst im Zug festgestellt haben. Damit | |
| hatte er offenbar nicht gerechnet. „Ich ging nicht davon aus, dass | |
| Wohlleben mich mit einer Schusswaffe im Zug fahren lässt.“ | |
| Zschäpe holte G. in Zwickau am Bahnhof ab. In der Wohnung der drei will G. | |
| seinem Ärger Luft gemacht haben – er fühlte sich hintergangen. „Das will | |
| ich nicht noch einmal für euch machen“, will er gesagt haben: „Ich will | |
| damit nichts zu tun haben.“ Die langjährige Freundschaft zu Wohlleben | |
| endete nach dem angeblichen Vertrauensbruch. | |
| Mit Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt aber traf G. sich weiter. „Ich habe | |
| damals den dreien nicht zugetraut, dass sie Menschen ermorden würden“, | |
| sagte er. „Im Nachhinein weiß ich natürlich, dass die drei mich mehrfach | |
| belogen haben.“ Ein Grund für seine Aussage bei der Polizei? Dreimal lud | |
| das Trio G. nach dessen Aussage zum gemeinsamen Urlaub ein. | |
| ## Zschäpe sei ein „gleichberechtigtes Mitglied“ | |
| Bei der Polizei wertete G. die Ferien als „Systemchecks“, da das Trio die | |
| Daten seiner Identität abfragte. Ob er sich nach dem Auffliegen des NSU im | |
| November 2011 auch von den dreien hintergangen fühlte? Immerhin belastet er | |
| auch Zschäpe durch seine Aussagen. „Sie war nach meiner Meinung | |
| gleichberechtigtes Mitglied“, sage er. | |
| Genau das ist es, was die Bundesanwaltschaft Zschäpe nachzuweisen sucht. | |
| Sie sei „durchsetzungsstark, kein Typ, der sich unterordnen würde“, | |
| schilderte G. die Hauptangeklagte. Bei seinen Besuchen seien Entscheidungen | |
| immer in Absprache mit Zschäpe getroffen worden. Bei der Waffenübergabe sei | |
| sie dabei gewesen. Auch habe sie „die Finanzen im Griff“ gehabt – und sie | |
| sei gewaltbereit. | |
| Um seinen 30. Geburtstag schließlich nahm G.s Leben offenbar eine neue | |
| Wendung. Ein Kumpel aus der Hannoveraner Kameradschaftsszene spannte ihm | |
| die Freundin aus. G. lernte eine neue Frau kennen, mit der er bis heute | |
| zusammen ist. Danach habe er sich von der rechten Szene gelöst. | |
| Auch wenn es an einem echten Ausstieg berechtigte Zweifel gibt, scheint | |
| sich G. nach 2004 verändert zu haben. Die drei verriet er dennoch nicht, | |
| obwohl er wusste, dass sie eine Pistole besaßen, die er übergeben hatte. | |
| Mundlos, so sagte G. aus, hatte ihm bei einem Besuch außerdem „stolz“ eine | |
| Pumpgun gezeigt. Die Sicherheitsämter hatte G. indes nicht wahrgenommen – | |
| obwohl sein Name und seine Telefonnummer auch auf einer Liste stand, die | |
| die Polizei 1998 in einer der Garage der drei fand - und dann nicht weiter | |
| beachtete. | |
| Erst 2011 sah er das Trio dann wieder. Der Reisepass war abgelaufen. Aber | |
| G. wollte den „alten Freunden“ zunächst nicht wieder helfen. Doch die | |
| machten Druck und überredeten ihn. „Wenn er gewusst hätte, dass die erste | |
| Passübergabe damals schon verjährt war, hätte er es nicht gemacht“, | |
| urteilte der Beamte. Holger G. aber tat es schließlich doch. | |
| In Kooperation mit [1][Radio Lora München]. | |
| 21 Jul 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://lora924.de/ | |
| ## AUTOREN | |
| Marlene Halser | |
| Andreas Speit | |
| ## TAGS | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| NSU-Prozess | |
| Holger G. | |
| OLG München | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Beate Zschäpe | |
| Beate Zschäpe | |
| NSU-Prozess | |
| Schwerpunkt Rechter Terror | |
| Aussteigerprogramm | |
| NSU-Prozess | |
| NSU-Prozess | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| „Kriegerin“ im ZDF: Das Beate-Zschäpe-Modell | |
| Die ZDF-Regietalente-Sommerreihe startet mit „Kriegerin“. Ein Film über die | |
| Neonaziszene, der aufklären will, aber doch nur eine einfache Deutung | |
| liefert. | |
| Zschäpes Nachbarn sagen aus: Die liebe „Diddl-Maus“ | |
| Mit erfundenen Geschichten für die Nachbarn tarnte Beate Zschäpe die NSU in | |
| Zwickau. Besonders die Männer waren wohl ganz verrückt nach ihr. | |
| NSU-Prozess in München: Gezielt und gelassen | |
| Im NSU-Verfahren zeigen Sachverständige die Brutalität der Ermordung von | |
| Enver Simşek auf. Die Täter fanden hier die Methode ihres Tötens. | |
| Studie zu NSU-Morden: Türkische Community misstrauisch | |
| TürkInnen in Deutschland glauben nicht daran, dass die Behörden die | |
| NSU-Morde hinreichend aufklären werden. Auch die Medien kommen in einer | |
| Studie schlecht weg. | |
| Extremismusexperte über Nazi-Aussteiger: „Raus allein reicht nicht“ | |
| Zwei Angeklagte im NSU-Prozess haben die rechte Szene verlassen. Wirklich? | |
| Nur ein glatter Bruch hilft, sagt der Leiter der Arbeitsstelle | |
| Rechtsextremismus und Gewalt. | |
| 23. Verhandlungstag im NSU-Prozess: Ein äußerst hilfsbereiter Aussteiger | |
| Der Angeklagte Holger G. will bereits 2004 aus der rechten Szene | |
| ausgestiegen sein. Doch er half dem NSU-Trio offenbar bis zuletzt. | |
| Nebenkläger beim NSU-Prozess: Wieder die dunkle Fahrradbekleidung | |
| Heftige Wortgefechte im NSU-Prozess: Nebenkläger halten einem Ermittler | |
| vor, im Mordfall Habil Kılıç nicht die richtige Spur verfolgt zu haben. | |
| NSU-Prozess in München: Blutige Pflanzen, umgestürzte Kübel | |
| Im NSU-Prozess wird der Mord an Enver Şimşek untersucht. Derweil taucht | |
| eine neue Quelle des Verfassungsschutzes auf. | |
| Beate Zschäpe vor Gericht: Die Versteinerte | |
| Der NSU-Prozess ist in Gang gekommen. Aber die Hauptangeklagte Beate | |
| Zschäpe bleibt undurchschaubar – auch weil sie beharrlich schweigt. |