# taz.de -- Beate Zschäpe vor Gericht: Die Versteinerte | |
> Der NSU-Prozess ist in Gang gekommen. Aber die Hauptangeklagte Beate | |
> Zschäpe bleibt undurchschaubar – auch weil sie beharrlich schweigt. | |
Bild: Typische Situation: Beate Zschäpe im Gespräch mit ihren Verteidigern. | |
MÜNCHEN taz | Seit 19 Tagen bietet sich vor dem Oberlandesgericht in | |
München das gleiche Ritual. Fotografen und Kamerateams haben sich im Saal A | |
101 zwischen den mit hellem Holz furnierten Bänken postiert und warten auf | |
die Angeklagten. | |
Rechts von der Richterbank geht eine Türe auf. Fast gelassen betreten Beate | |
Zschäpe und ihre vier mutmaßlichen Helfer, begleitet von Polizisten, den | |
Raum. Kameras klicken, Blitzlicht erhellt den Raum. Mit schnellem, | |
federndem Schritt geht die Hauptbeschuldigte im Verfahren gegen den | |
„Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) zur Anklagebank, dreht das | |
blasse, runde Gesicht weg, blickt nicht in die Objektive. | |
In ihr „Gefühlsleben“ möchte sie keinen Einblick gewähren, schrieb Zsch�… | |
dem inhaftierten Gesinnungskameraden Robin Sch. in einem Brief, der an die | |
Öffentlichkeit gelangte. Beherrscht tritt sie auf. Kaum an der Anklagebank | |
angekommen, verschränkt die 38-Jährige die Arme vor der Brust und dreht den | |
Kameras den Rücken zu. | |
Ihre drei Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm stellen | |
sich schützend um sie, beginnen ein Gespräch. Zschäpe redet, lächelt. | |
Blendet man den Ort der Szenerie aus, sie könnten auch bei einer | |
Gartenparty zusammenstehen. | |
Diese Frau, der der Bundesanwalt vorhält, zehn Morde, zwei Bombenanschläge | |
mit vielen Verletzen und fünfzehn Banküberfälle mitgetragen und „abgetarnt… | |
zu haben, wirkt nicht verunsichert. Ist sie wirklich die überzeugte | |
Rechtsextremistin, für die man sie hält, sind Reue und Scham nicht zu | |
erwarten. | |
Weder Trauer noch Bestürzung war bisher wahrzunehmen. Im Gegenteil: Oft | |
schien sie geradezu amüsiert von dem, was andere über sie berichteten. Ohne | |
eine Miene zu verziehen, hörte sie dem Bundesanwalt bei der | |
Anklageverlesung zu, der ihr vorhält, durch Mord- und Sprengstoffanschläge | |
ihre nationalsozialistisch geprägten völkisch-rassistischen Vorstellungen | |
von der Erhaltung der deutschen Nation zu verwirklichen. | |
Als einziger Überlebender der NSU-Kerngruppe mit Uwe Mundlos und Uwe | |
Böhnhardt wird ihr eine Mittäterschaft bei allen Taten vorgeworfen. Wird | |
sie für schuldig befunden, erwartet sie lebenslange Haft mit anschließender | |
Sicherungsverwahrung. | |
Als die Bekenner-DVDs des NSU-Trios gezeigt wurden, in dem die Opfer | |
verhöhnt und die Taten verherrlicht werden, beugte sie sich tief über ihre | |
Computertastatur, um den Bildern auf der Leinwand nicht folgen zu müssen. | |
Nicht mal der Klang ihrer Stimme ist bekannt, denn die mutmaßliche | |
Rechtsterroristin verweigert die Aussage. | |
## Nur Umrisse schimmern durch | |
Jedes Wort, das Zschäpe seit dem 8. November 2011, an dem sie sich bei der | |
Polizei in Jena stellte, mit einem Polizisten wechselte, jede Geste, jeder | |
Gesichtsausdruck sind deshalb nun von Bedeutung. Akribisch berichten die | |
Beamten, die Zschäpe trafen, vor Gericht und versuchen in stundenlangen | |
Befragungen jedes noch so kleine Detail zu erinnern. Das Bild, das | |
entsteht, lässt trotzdem nur Umrisse erahnen. | |
„Ich bin die, die Sie suchen“, sagte Zschäpe damals bei der Polizei Jena. | |
Dort, in der thüringischen Stadt, in der sich die gelernte Malergehilfin | |
und Gemüsegärtnerin in der Kameradschaftsszene der 90er Jahre | |
radikalisierte, endete ihr dreizehnjähriges Leben in der Illegalität. | |
Ruhelos und übernächtigt soll Zschäpe gewesen sein, berichtete der | |
Kriminalbeamte, der sie später auf der Wache in Zwickau in Empfang nahm. | |
Bereits damals verweigerte sie die Aussage. In seinem Dienstzimmer habe er | |
mit ihr und einer weiteren Beamtin die Zeit bei etwas zu essen und einer | |
Zigarette überbrücken wollen, erklärte er. | |
## Auf der Flucht | |
Vier Tage war sie damals unterwegs – auf der Flucht. Nun fand sie sich in | |
einem Trainingsanzug der Polizei wieder, nachdem man ihr in Jena die | |
Kleidung für die Spurensicherung abgenommen hatte. „Mein Eindruck war, dass | |
sie sich in dieser Kleidung nicht wohl gefühlt hat“, sagt der Ermittler. | |
„Und dass sie froh war, dass die Sache nun zu Ende sei.“ | |
Sie sei ein „Omakind“ gewesen, erzählt sie dem Beamten. Zur Mutter habe sie | |
ein schlechtes Verhältnis gehabt. Dann seien die beiden Uwes in ihr Leben | |
getreten. Sie wurden zu ihrer Familie. Von ihren eigenen politischen | |
Aktivitäten redete sie nicht. Nur, dass die beiden Männer sie nie zu etwas | |
gezwungen hätten. | |
In dem Brief an Robin Sch., der in Haft ist, weil er einen tunesischen Mann | |
mehrfach angeschossen hat, wird deutlich, dass sie sehr selbstbewusst mit | |
Männern umgehen kann. Kokett verhöhnt sie ihren Briefpartner als Gottes | |
vermeintliches „Geschenk an die Frauenwelt“. Sich selbst bezeichnet sie als | |
„Schokoschnäuzchen“. Ihre Gesinnung schimmert nur einmal durch: Die | |
Baggersprüche mancher Südländer seien das Hinterletzte für sie, wie sie | |
schreibt. | |
## Keine Selbstbelastung | |
Ebenso wie auch andere Beamte nach ihm gibt dieser Ermittler zu Protokoll, | |
er habe den Eindruck gehabt, dass Zschäpe aussagen wollte. Vertraute sie | |
sich bei dieser Gelegenheit den Beamten noch auf naive Weise zutraulich an, | |
tritt sie bei späteren Gesprächen überlegter auf. Zu Themen, die sie | |
belasten könnten, äußert sie sich nicht mehr. Was sie aber wiederholt, ist, | |
dass sie sich nicht gestellt habe, um nicht auszusagen. | |
Ihr sei klar gewesen, dass man eines Tages auffliegen werde, erzählt sie | |
einem Beamten, der sie per Hubschrauber zu der Vorführung beim | |
Bundesgerichtshof nach Karlsruhe begleitet. Sie sei niemand, „der nicht zu | |
seinen Taten stehe“, sagte sie. Als sie auf der Fahrt von der JVA Köln in | |
ein Gefängnis nach Gera mehrere Stunden mit zwei BKA-Beamten im | |
abgedunkelten Polizei-VW-Bus zubringt, wiederholt sie ihre Aussageabsicht. | |
„Sie wollte das eigentlich, insbesondere als es ihrer Großmutter schlecht | |
ging, um sich bei ihrer Großmutter zu entschuldigen“, sagte der Polizist | |
vor Gericht. Es seien aber ihre Anwälte, die ihr davon abraten, sich zu | |
erklären. Ist diese Frau also wirklich die eitle Terroristin, als die sie | |
derzeit erscheint? Eine Frau, die sehr genau wusste, was sie tat, und dafür | |
auch eine Erklärung hat? Vielleicht ist sie von dem Wunsch, auszusagen, | |
mittlerweile aber auch abgerückt. | |
## In Kooperation mit Radio Lora München | |
5 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
Andreas Speit | |
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