# taz.de -- Mietenkampf in Kreuzberg: Wir bleiben alle – draußen | |
> Im Februar wurde die Kreuzberger Familie Gülbol zwangsgeräumt. Jetzt will | |
> ein Bündnis dafür sorgen, dass ihre Wohnung „nicht neuvermietbar“ wird. | |
Bild: "Liebe "Anwohner*innen". Der Aufruf in der Lausitzer Straße. | |
Der Zettel ist schlicht gehalten. „Liebe Anwohner*innen“, steht darauf. | |
„Wir wenden uns heute erneut an Euch mit der Bitte um Unterstützung.“ Es | |
gehe um die Wohnung der Gülbols, vor fünf Monaten geräumt, nun in | |
Renovierung. Man wolle dafür sorgen, dass diese „nicht neuvermietbar ist“. | |
An diesem Beispiel, heißt es, könne man zeigen, „dass wir uns und unsere | |
Nachbar*innen nicht weggentrifizieren lassen“. Es folgt der Aufruf: „Keine | |
Verwertung zwangsgeräumter Wohnungen!“ | |
Vielfach hängt der Zettel an Wänden und Hauseingängen in der Lausitzer | |
Straße in Kreuzberg. In der dortigen Hausnummer 8 wurde im Februar die | |
fünfköpfige Familie Gülbol zwangsgeräumt. 16 Jahre hatte sie im Haus | |
gewohnt. Dann war ihr gekündigt worden, weil sie eine Mieterhöhung um fast | |
100 Euro angefochten und nicht gezahlt, später fällige Nachzahlungen nicht | |
fristgerecht überwiesen hatte. Mehrere hundert Menschen hatten noch | |
versucht, die Räumung mit Sitzblockaden zu verhindern. Doch die | |
Gerichtsvollzieherin kam über den Nebeneingang, vor dem Haus sicherten mehr | |
als 800 Polizisten die Räumung ab. | |
Der neuerliche Widerstandsaufruf kommt vom Bündnis „Zwangsräumungen | |
verhindern“, das bereits im Februar Proteste organisierte. Am Beispiel der | |
Lausitzer Straße 8 wolle man erreichen, so die Gruppe, dass „diejenigen, | |
die in unseren Wohnungen nichts als ihre Profite sehen, zukünftig | |
erhebliche Probleme haben werden, mit ihren menschenfeindlichen Methoden | |
durchzukommen“. An die Anwohner wird appelliert, bekanntgewordene | |
Besichtigungstermine oder „andere Aktivititäten zur Neuvermietung“ dem | |
Bündnis zu melden. | |
Was mit den Informationen passiert, bleibt offen. Man werde dafür sorgen, | |
heißt es nur, „dass sich Verwertungsinteressen im Kiez nicht weiter | |
ausbreiten“. Genannt wird auch die Adresse und Telefonnummer des | |
Vermieters, bei dem man sich beschweren könne. | |
## Der Vermieter schweigt | |
Der Vermieter hatte sich schon vor der Räumung nicht zum Fall Gülbol | |
geäußert. Auf taz-Anfrage schweigt er auch jetzt. Der Aufruf sei nicht | |
bekannt, sagt eine Mitarbeiterin nur. Ansonsten: „Keine Stellungnahme“. | |
Die Gülbols waren nach der Räumung in die Wohnung der Eltern im gleichen | |
Haus gezogen. Noch heute steht der Name Gülbol zweimal am Klingelschild. | |
Eine Klingel führt seit Februar ins Leere. Aktuell war die Familie nicht zu | |
erreichen. Im Haus berichten Bewohner von Bauarbeiten in der geräumten | |
Wohnung, Böden würden abgeschliffen. Er sehe den Aufruf „wohlwollend“, sa… | |
ein Nachbar. „Die Räumung hat hier alle im Haus verunsichert. Was passiert, | |
wenn bei einem selbst mal was ist?“ Auf den Vermieter ist man nicht gut zu | |
sprechen, namentlich will ihn aber niemand kritisieren. Kaum ansprechbar | |
sei er, heißt es, ihm gehe es wohl um Profite. „Der zieht seine Sache | |
durch“, sagt der Anwohner. Ein anderer betont, „dass hier alle hinter den | |
Gülbols stehen“. Den Aufruf des Bündnis finde er gut. Auch eine Frau mit | |
Kinderwagen aus der Nachbarschaft versichert: „Wenn ich was mitbekomme, | |
sag‘ ich denen Bescheid.“ | |
## Vorbild Liebig 14 | |
Für den Aufruf gibt es ein Vorbild: das frühere Hausprojekt Liebig 14 im | |
Friedrichshain, im Februar 2011 mit einem Polizeigroßeinsatz geräumt. Dort | |
wollten Autonome Neumieter abschrecken, allerdings deutlich rabiater. Noch | |
während der Sanierung wurde der Dachstuhl verwüstet und angezündet. Später | |
flogen Farbbeutel und Steine, Autos von Neubewohnern wurden die Scheiben | |
eingeschlagen. „Wer dort einzieht“, hieß es in einem Bekennerschreiben, | |
„wird sich unglücklich machen“. | |
Dabei hatte der Eigentümer vorgesorgt: Eigens hatte er den Eingang des | |
Eckhauses von der Liebig in die Rigaer Straße verlegt und die Wohnungen | |
über diese Adresse annonciert. Letztlich mit Erfolg: In einem | |
Immobilienportal wird das Haus heute als „vollvermietet“ ausgewiesen. | |
Für die Lausitzer Straße 8 sind noch keine Annoncen und Konditionen für den | |
Neubezug bekannt. Wäre sie Interessentin für die Wohnung, sagt aber eine | |
Mitarbeiterin des Stadtteilzentrums gleich nebenan, würde sie schon gerne | |
von der Vorgeschichte wissen. „Und wüsste ich sie, würde ich da wohl kaum | |
einziehen.“ | |
24 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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Berlin | |
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