| # taz.de -- Kritik an Kassenplänen: AOK will Turbo-Therapie belohnen | |
| > Mit Zusatzvergütungen für Fachärzte und Therapeuten will die AOK | |
| > Niedersachsen das Warten auf Therapieplätze verkürzen und besonders kurze | |
| > Behandlungen belohnen. Die Therapeutenkammer ist skeptisch. | |
| Bild: Dass Patienten schnell einen Therapeuten brauchen ist in Niedersachsen un… | |
| HANNOVER taz | Wartezeiten von über zwölf Wochen allein für ein | |
| Erstgespräch beim Psychotherapeuten, über 17 Wochen bis zum Beginn einer | |
| Behandlung, das ist in Niedersachsen die Regel. Die Krankenkasse AOK will | |
| gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KV) diese | |
| Wartezeiten durch ein neues Versorgungsprojekt mit Sonderprämien für Ärzte | |
| und Therapeuten verkürzen. Haus- und Nervenärzteverbände loben das | |
| Vorhaben. Die Psychotherapeuten allerdings wehren sich. | |
| Innerhalb von 14 Tagen soll bei AOK-Versicherten mit Depression oder dem so | |
| genannten Burn-out eine Behandlung beginnen, so sehen es die Pläne der | |
| Kasse vor. Der Ablauf: Hausärzte mit einer Zusatzausbildung behandeln | |
| Leichterkrankte selbst. Schwerwiegendere Fälle werden an teilnehmende | |
| Psychotherapeuten und Fachärzte vermittelt. | |
| Schließen Therapeuten und Fachärzte einen sogenannten AOK-Vertrag ab, | |
| müssen sie zusichern, mindestens drei AOK-Patienten in Behandlung | |
| aufzunehmen. Die Kasse zahlt dafür Zusatzvergütungen von bis zu 114 Euro | |
| pro Patient für Haus-, 175 Euro für Fachärzte und 250 Euro an | |
| Psychotherapeuten. Zehn Millionen Euro will die AOK Niedersachsen in dieses | |
| nach eigenen Angaben bundesweit einmalige Modell investieren. | |
| Die Resonanz ist allerdings verhalten. Der ursprünglich für Sommer geplante | |
| Start ist auf Oktober verschoben. Statt landesweit soll das Projekt dann | |
| nur in den Regionen Braunschweig, Oldenburg und Osnabrück beginnen. 600 | |
| Teilnehmer gibt es bisher, vornehmlich Haus- und Fachärzte. Bei | |
| Psychotherapeuten stößt das AOK-Projekt auf Skepsis: Nur 39 der knapp 1.600 | |
| niedersächsischen Therapeuten mit Kassensitz haben zugesagt. | |
| Grundsätzlich, heißt es von Niedersachsens Psychotherapeutenkammer, begrüße | |
| man einen schnelleren Zugang zu Behandlungen. Den wolle man aber nicht nur | |
| Versicherten einer einzelnen Krankenkasse ermöglichen, sondern allen, sagt | |
| Geschäftsführerin Susanne Passow. | |
| Für „berufsethisch bedenklich“ hält man bei der Kammer vor allem die | |
| sogenannte Stabilisierungspauschale: 50 Euro Bonus winken Therapeuten, wenn | |
| sie die Behandlung von Depressions- oder Burn-out-Patienten binnen zehn | |
| Sitzungen abschließen und die Patienten danach sechs Monate nicht mit der | |
| gleichen Diagnose erneut behandelt oder krank geschrieben werden. „Unser | |
| Ziel ist, dass die Patienten nachhaltig gesund bleiben“, sagt Passow, „eine | |
| Depression ist aber in Ultrakurz-Behandlungen von zehn Sitzungen nicht zu | |
| heilen.“ Zudem vermittle die Prämie den Eindruck, ohne finanzielle Anreize | |
| würden Therapien unnötig in die Länge gezogen. | |
| Die Psychotherapeutenkammer vermutet vielmehr ein Sparmodell: Zielgruppe | |
| sind ausschließlich Erwerbstätige mit Anspruch auf Krankengeld, die wegen | |
| Burn-outs oder Depressionen arbeitsunfähig sind – eine „besonders | |
| kostspielige Patientengruppe“ für die AOK, wie Geschäftsführerin Passow | |
| betont. | |
| Die AOK selbst räumt das sogar ein: Um 120 Prozent seien die Tage, an denen | |
| Erwerbstätige wegen psychischer Erkrankungen ausfielen, seit 1994 | |
| gestiegen, erklärt Niedersachsens AOK-Vorstandsvorsitzender Jürgen Peter. | |
| 2012 war jeder zehnte Arbeitsunfähige in Niedersachsen psychisch erkrankt. | |
| Mit dem Projekt wolle man jetzt vor allem das „nicht hinnehmbare | |
| Versorgungsdefizit“ und die langen Wartezeiten auf Behandlungen beenden, | |
| sagt er. | |
| Nach einem Jahr Laufzeit werde das Vorhaben evaluiert und möglicherweise | |
| auch auf andere Patientengruppen ausgeweitet. Sollten sich Schieflagen | |
| zeigen, werde man das Projekt auch bei den Behandlungszeiten „anpassen“, | |
| versichert Peter. Die Kritik am 50-Euro-Erfolgsbonus für die | |
| Zehn-Sitzungs-Kurztherapien aber weist er zurück. Wenn sechs Monate nach | |
| der Behandlung keine erneute Arbeitsunfähigkeit oder Therapiebedürftigkeit | |
| vorliege, „hat das Modell nach unserer Auffassung gewirkt“, sagt er. Auch | |
| bei der KV beteuert Sprecher Detlef Haffke, er glaube nicht, „dass Ärzte | |
| oder Therapeuten wegen der Prämie eine Behandlung nicht weiter führen, | |
| obwohl es medizinisch sinnvoll wäre“. | |
| 28 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Teresa Havlicek | |
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