# taz.de -- Barcelona in der Krise: Früher war vor drei Jahren | |
> Die katalanische Metropole sei die schönste Stadt der Welt, zumindest im | |
> Sommer. Das sagen viele ihrer Bewohner. Es bleibt ein Sehnsuchtsort, | |
> trotz der Krise. | |
Bild: Da, wo die Mieten steigen: Raval, Barcelona. | |
Ein träger Nachmittag, die Parkbänke und Cafés sind voll besetzt. Die | |
unerbittliche Sonne hat kalte Schweißfilme auf den Stirnen derer | |
hinterlassen, die noch nicht in den feierabendlichen Schatten geflüchtet | |
sind. Die allgemeine Sitzhaltung, eine Symbiose aus Mensch und | |
Sitzgelegenheit, wirkt trotz der Versenkung wie eine Aneignung des | |
öffentlichen Raums. | |
In Barcelona ist das tiefenentspannte Residieren in der Öffentlichkeit | |
zentraler Bestandteil des alltäglichen Savoir-vivre. Um teilzuhaben, setze | |
ich mich auf den letzten freien Platz eines Cafés in El Clot, eines der | |
ältesten Viertel im Nordosten. Sensibilisiert vom tiefschwarzen Café Solo, | |
dem spanischen Espresso, dessen Stärke der Intensität des öffentlichen | |
Lebens in nichts nachsteht, lausche ich den Umweltgeräuschen. | |
Diffuses Rauschen einer nahen Hauptstraße und spanische Sprachmelodien, | |
dazwischen vereinzelte Möwenschreie. Anscheinend suchen auch die Vögel | |
einen Ort der Ruhe, fern der massentouristischen Hektik der Ramblas, der | |
von Souvenirständen, Franchise-Imbissen und Taschendieben eroberten | |
Vorzeigepromenade im Stadtzentrum. | |
Es ist die Entdeckungslust, die mich in das traditionelle Viertel führt, | |
aber auch der Drang, die körperliche Ertüchtigung des Wochenendes | |
auszukurieren. Diese hatte im Club Sala Instinto mit einem mitreißenden | |
DJ-Set der lokalen Techno-Künstlerin Adriana López begonnen und fand ihren | |
Abschluss beim All-In-Records-Labelshowcase im intimen Macarena Club, in | |
dem ich mich von der infektiösen Tanzlust der Stadtbewohner überzeugen | |
konnte. | |
Von der ersten Party erfuhr ich nur wenige Stunden zuvor von Gerard López, | |
im Plattenladen Discos Paradiso in einer kleinen Seitengasse im In-Viertel | |
El Raval gelegen. Eingerahmt von pakistanischen Gemüsehändlern ist Discos | |
Paradiso eine der letzten Pilgerstätten für Liebhaber von gepflegtem House | |
und UK Dubstep in Barcelona. „Früher haben wir hier tolle Partys | |
veranstaltet. Dort, wo du sitzt, war das DJ-Pult“, erzählt Gerard im | |
Hinterraum des Ladens. | |
Früher war vor drei Jahren, als der in Barcelona geborene DJ zusammen mit | |
Arnau Farres den Laden eröffnete. „Heute ist das hier hinten nur noch ein | |
Warenlager,“ sagt Gerard López. Es gab Probleme mit den Behörden. Außerdem | |
könne sich „fast niemand mehr Platten leisten“, sagt er. | |
In Spanien ist ein gutes Drittel der Bevölkerung unter 35 heute arbeitslos. | |
Auch die Clubszene habe sich dadurch in den letzten Jahren stark gewandelt. | |
Es gebe nur noch wenige gute Locations, so López, wie etwa den Moog und den | |
Nitsa Club. „Die meisten Clubs sind sehr kommerziell geworden und gehen | |
beim Booking keine Risiken mehr ein.“ | |
## Domestizierter Hedonismus | |
Einst waren kollektiv organisierte Partys am Strand und in Galerien der | |
Motor der alternativen Clubkultur. Doch seitdem die Stadt mit dem 2009 | |
erlassenen „Ley de Civismo“ selbst Freiheiten wie das Trinken in den | |
Straßen verbieten ließ, hat sich vieles verändert. Dennoch sei „es hier | |
immer noch besser als in vielen anderen Städten Spaniens“, meint Gerard | |
López. Auch wenn die Domestizierung des öffentlichen Lebens schmerzhaft für | |
das hedonistische Barcelona ist, in den Altstadtgassen ist auch heute nach | |
Mitternacht noch jede Menge los. | |
Wenige Meter vom Laden Discos Paradiso entfernt begegnet man einer | |
beeindruckenden Architektur aus gotischen Kirchen, katalanischen | |
Jugendstilgebäuden und postmodernen Monumenten wie dem MACBA, dem Museum | |
für Zeitgenössische Kunst. Es wirkt trotz des futuristischen Looks inmitten | |
der mittelalterlichen Bausubstanz wie ein Fremdkörper. | |
Am angrenzenden Plaça dels Angels, wegen des spiegelglatten | |
Kopfsteinpflasters ein beliebter Skateboard-Treff in Europa, sieht man | |
abends mit Jutebeuteln bepackte Soldaten, pakistanische Bierdosendealer, | |
US-Rucksacktouristen und Studenten der nahen philosophischen Fakultät, die | |
ihre alkoholischen Getränke routiniert vor den patrouillierenden | |
Polizeistreifen der Guardia Civil verstecken. | |
Dass die katalanische Metropole zu einem kulturellen Brachland werden | |
könnte, befürchten derzeit dennoch viele Künstler. Der Fotografin Marta | |
Dellate zufolge sei die Stadt mittlerweile auf eine einzige | |
Touristenattraktion geschrumpft, „alles geordnet und sauber“. | |
## Arm, aber sexy | |
Der in Barcelona geborene Eduard Pou vom überdrehten Free-Jazz-Core-Duos | |
ZA! schimpft über die steigenden Mietpreise, wodurch sich Künstler keine | |
Räume mehr für Gigs oder Ausstellungen leisten könnten. „Es gibt einen | |
Widerspruch zwischen der mangelnden Ambition der Leute, die Geld haben, und | |
denen, die etwas auf die Beine stellen wollen, es sich aber nicht leisten | |
können,“ ergänzt der Sänger Papa DuPau. | |
Dennoch können sich beide nicht vorstellen, anderswo zu leben. Sie | |
schwärmen von den in Öl getränkten Tapas im Morryssom. Oder der von | |
Freunden betriebenen Bar Heliogàbal in Gràcia, in der täglich Bands | |
auftreten. | |
Wenig weiter steht auf einem von Linksautonomen besetzten Haus in bunten | |
Lettern: „centro social“. Beim Thema Gentrifizierung verweigern die | |
Anwesenden freundlich die Aussage, betonen aber, dass bei ihnen jeder | |
willkommen sei, um hier kostenlos zu übernachten. | |
Für die in Barcelona geborene Regisseurin Marina Monsonís, die zusammen mit | |
Rasmus Sievers „La ultima calle“, einen Film über die Gentrifizierung im | |
Stadtteil Barceloneta drehte, begann das Übel mit dem | |
Stadterneuerungsprogramm im Rahmen der Olympischen Spiele 1992. Die am | |
stärksten betroffenen Viertel seien El Raval, Born und El Poble Sec | |
gewesen. | |
## Es bleibt ein Ort der Sehnsucht | |
„In Raval änderte sich alles mit der Eröffnung der MACBA 1995“, sagt Mari… | |
Monsonís. „Danach ist das Viertel immer populärer geworden, und die | |
Vermieter kündigten den Alteingesessenen mit den günstigen Mietverträgen.“ | |
Heute müssten wiederum viele ihre Eigentumswohnungen verlassen, da sie | |
aufgrund der Krise ihre Kredite nicht mehr bedienen können. | |
Doch trotz allem bleibt die Stadt mit ihrem architektonischen Charme, dem | |
warmen Klima und den unprätentiösen Bewohnern ein Ort der Sehnsucht, für | |
Künstler, Studenten und Touristen aus aller Welt. Bassmusic-Produzent Luis | |
Garbán aka Cardopusher aus Venezuela und sein DJ-Kollegen Nehuen erzählen | |
in der 33/45-Bar davon. Für Nehuen, der aus Argentinien hierher emigrierte, | |
eröffnete die Stadt „eine neue Welt“. | |
Die beiden Südamerikaner fühlen sich der lokalen Szene verbunden und | |
betreiben das Label Classicworks. Selbst wenn viele ihrer Freunde | |
mittlerweile in Berlin wohnten, käme ein Umzug für sie nicht infrage. „Der | |
Sommer hier ist so schön, und wenn es nur darum geht, sich am Strand zu | |
treffen und Gras zu rauchen“, sagt Nehuen. | |
Alles also eine Frage der Perspektive. Im Café in El Clot ist die Sonne nur | |
noch eine Reflexion der gegenüberliegenden Hauswand. Die Frequenz des | |
sepiafarbenen Lichts vermischt sich mit dem Rhythmus der Gespräche und dem | |
sonoren Verkehrsrauschen. Die subtilen Interferenzen, die daraus entstehen, | |
entsprechen dem gewonnenen Eindruck dieser Tage. Es sind die kleinen | |
Haarrisse in der vermeintlich glatten Oberfläche der Stadt sowie der | |
unauflösbare Widerspruch aus Nostalgie und Gegenwartsversessenheit, die | |
Barcelona zu einer der lebenssüchtigsten Metropolen Europas machen. | |
12 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Philipp Rhensius | |
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Uli Hoeneß | |
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