| # taz.de -- Umweltverschmutzung: Die Dinge aus der Tiefe | |
| > Schnapsflaschen, Fahrräder, erstickte Hunde in Plastiktüten: Richard und | |
| > Waldemar fischen Müll aus der Spree und den Berliner Innenstadtkanälen. | |
| Bild: Und die Flasche, wo landet die? | |
| Richard Ranachowski schüttelt den Kopf. „Die Menschen sind richtige | |
| Schweine!“ Kaum hat für ihn und seinen Kollegen Waldemar Gutjar der | |
| Arbeitstag begonnen, fischen sie schon alte Schuhe und aufgequollene | |
| Essensreste aus dem Wasser. Auf dem Landwehrkanal in Höhe des | |
| Paul-Lincke-Ufers stehen die beiden Männer auf der „Barbara“ und hantieren | |
| mit langen Mistgabeln, Zangen und Körben. Die „Barbara“ ist zwar ein acht | |
| Meter langer Motorkatamaran, erinnert aber eher an ein Floß. Es stinkt nach | |
| nassem Holz, die ganze Fläche des Katamarans steht voll mit Mülltonnen, | |
| Einkaufswagen und Gitterbehältern. | |
| Was die Straßenreiniger zu Lande, sind Richard und Waldemar für die Spree | |
| und die Kanäle in der Innenstadt. Sie räumen vor allem das auf, was nicht | |
| in den Plastiksäcken der Straßenreiniger landet: Müll, der von der Straße | |
| ins Wasser geweht oder von Leuten mutwillig hineingeworfen wurde. Weil das | |
| in der gesamten Stadt pro Jahr 450 Tonnen sind, wird die Entsorgung auf | |
| drei Unternehmen aufgeteilt, die für die Abschnitte Innenstadt, West und | |
| Südost verantwortlich sind. | |
| Rund 600.000 Euro gibt die Stadt jedes Jahr für das Einsammeln des Mülls | |
| aus. „Am dreckigsten sind im Stadtzentrum der Landwehrkanal, der Neuköllner | |
| Schifffahrtskanal und der Rummelsburger See“, berichtet Marion Neumann, | |
| Sprecherin der Senatsverwaltung für Umwelt und Stadtentwicklung. | |
| ## 50 Tonnen Müll im Monat | |
| Richard und Waldemar arbeiten für die Wrobel GmbH. Das Unternehmen für | |
| Wasserbau hat bis zum Beginn des zweiten Quartals 2013 die Verantwortung | |
| für die Gewässer der Innenstadt übernommen. Dazu gehören unter anderem die | |
| Spree, der Neuköllner Schifffahrtskanal, der Landwehrkanal, der | |
| Charlottenburger Verbindungskanal und der Westhafenkanal. „Auf dem | |
| Landwehrkanal zwischen der Oberschleuse in Kreuzberg und der Unteren | |
| Schleuse am Zoologischen Garten findet man den meisten Müll“, weiß Thomas | |
| Wrobel aus jahrelanger Erfahrung. „Da müssen die Arbeiter einmal pro Woche | |
| ran.“ | |
| In den Sommermonaten, wenn viele Menschen zum Grillen und Trinken an den | |
| Ufern sitzen, werden monatlich bis zu 50 Tonnen Abfall aus dem Wasser | |
| gefischt. Manchmal sind die zehn Müllcontainer der „Barbara“ auf dieser | |
| Route schon nach wenigen Stunden voll. Dann legt der Katamaran an einer für | |
| einen Lkw zugänglichen Stelle an und wird von einem Mitarbeiter entladen. | |
| Der vorsortierte Müll wird entweder kompostiert oder zur Müllabfuhr | |
| gebracht. | |
| Richard und Waldemar sind seit sieben Jahren Kollegen. Richard ist der | |
| Steuermann an Bord. Vor 20 Jahren, als er noch in Polen lebte, war er | |
| Seemann, sein Arbeitsplatz die Ostsee. Jetzt sitzt der 62-Jährige, der fast | |
| nie seine dunkle Sportsonnenbrille abnimmt, in einer provisorisch | |
| gezimmerten Führerkabine und lenkt gemütlich den 15-PS-Katamaran durch den | |
| Landwehrkanal. Er pfeift fröhlich vor sich hin, während Waldemar Ausschau | |
| nach Müll an der Wasseroberfläche hält. | |
| Es ist kurz vor acht Uhr morgens, trotz Sonne ist es noch frisch, | |
| zwischendurch nieselt es immer wieder. Waldemar trägt über seinem Blaumann | |
| eine dicke Jacke, auf dem Kopf ein Käppi. Mit seinen Arbeitshandschuhen | |
| umfasst er die Reling. Wenn er Müll im Wasser oder an der Uferbefestigung | |
| entdeckt, winkt er Richard und wartet, bis der nahe genug herangefahren | |
| ist. | |
| Wie die Straßenreiniger hat auch Waldemar eine Zange, um den Müll | |
| aufzugreifen. Es ist jedoch nicht einfach, die schwimmenden Gegenstände vom | |
| Boot aus zu erwischen. An einer etwa vier Meter langen Holzstange haben die | |
| Arbeiter deshalb mit dicken Bändern einen Fahrradkorb befestigt. „Damit | |
| kann ich gut Plastiktüten, Laub oder Flaschen einsammeln“, erklärt | |
| Waldemar. | |
| Er beugt sich weit über die Reling, um den Müll einzusammeln, und müht sich | |
| ab, die Beute aufs Schiff zu wuchten, ohne mit der langen, schweren Stange | |
| am Geländer hängen zu bleiben. Dann sortiert er den Müll in die | |
| verschiedenen Behälter: Flaschen in den Einkaufskorb, Sondermüll in den | |
| Metallkorb, Plastik in die eine Tonne, Restmüll in die andere. Oft findet | |
| er auch Kleidungsstücke, Rucksäcke oder Taschen. | |
| Wenn sich die Gegenstände mit Wasser vollgesogen haben, wird die Arbeit auf | |
| dem Müllboot zum Knochenjob. In solchen Momenten wünscht sich Waldemar | |
| manchmal, schon Rentner zu sein. „In der Ukraine, wo ich herkomme, wäre ich | |
| schon seit einem Jahr in Rente und könnte mich ausruhen“, sagt er mit einem | |
| Lachen. „Wir sind zufrieden mit unserem Job“, erklärt Richard, „aber | |
| manchmal ist die Arbeit wirklich undankbar.“ Auf dem Boot gibt es keine | |
| Toiletten, und nur die Steuerkabine ist überdacht. „Außerdem sind die Leute | |
| wirklich unverschämt“, beschwert sich Richard, „manchmal werfen sie extra | |
| etwas ins Wasser, um uns dabei zuzuschauen, wie wir es rausholen. Dann | |
| lachen sie uns aus.“ | |
| Er wundert sich oft, warum so viele Leute Zeit haben, tagsüber am Ufer zu | |
| sitzen oder dort spazieren zu gehen. „Ich habe mein Leben lang immer | |
| gearbeitet. Haben die denn gar nichts zu tun?“ Richard ist froh, dass seine | |
| Kinder einen angeseheneren Job gefunden haben. „Mein Sohn hat studiert und | |
| leitet jetzt zwei Kleiderfabriken“, erzählt er stolz. | |
| An der Uferbefestigung am Halleschen Tor finden Richard und Waldemar einen | |
| kaputten Fernseher. Zu zweit hieven sie das Gerät aufs Boot. Ein paar Meter | |
| weiter steht ein Sofa am Ufer. „Das nehmen wir auf dem Rückweg mit“, ruft | |
| Richard seinem Kollegen aus der Bootskabine zu. | |
| Normalerweise werden sperrige Abfälle zweimal im Jahr mit einem speziellen | |
| Räumungsschiff eingesammelt. Es hat ein Unterwassergestänge, mit dem es | |
| gegen Gegenstände stößt, die unter Wasser schwimmen. Dann hält das Schiff | |
| an, und der Sperrmüll wird mit einem Bagger aus dem Wasser geholt. Wenn es | |
| der Bagger nicht schafft, müssen manchmal zusätzlich Taucher für die | |
| Bergung engagiert werden. „Bei so einer Tour finden wir immer zig | |
| Fahrräder, Mopeds, Autoreifen, Kinderwagen – das kann man sich gar nicht | |
| vorstellen“, sagt Richard. Der meiste Sperrmüll in den Gewässern werde von | |
| Bürgern dort versenkt, um sich um die Kosten für die ordnungsgemäße | |
| Entsorgung zu drücken. Manche Gegenstände, wie zum Beispiel Tresore, würden | |
| nach Straftaten einfach ins Wasser geschmissen. | |
| An diesem Dienstag sind die schmutzigsten Abschnitte der Route die | |
| Kottbusser Brücke und der Urbanhafen. Dort, wo sich bei gutem Wetter viele | |
| Menschen zum Grillen und Trinken treffen, brauchen Richard und Waldemar für | |
| die Säuberung am längsten. Bier-, Wein- und Schnapsflaschen füllen jetzt | |
| die Einkaufswagen an Bord. Waldemar findet die Kadaver einer Ratte und | |
| eines Vogels. Mit einer Schaufel holt er die steifen, aufgeblähten Körper | |
| aus dem Wasser und schmeißt sie in eine Tonne. | |
| Richard und Waldemar sind Schlimmeres gewohnt. Manchmal finden sie in | |
| Plastiksäcken erstickte Hunde. „Ein unvorstellbarer Gestank“, erzählt | |
| Richard, „aber am schlimmsten ist es, wenn wir eine Leiche finden.“ Das ist | |
| Richard in seiner siebenjährigen Dienstzeit auf dem Müllboot schon dreimal | |
| passiert, zuletzt im April im Urbanhafen. Damals wollten die beiden | |
| Arbeiter einen Rucksack aus dem Wasser ziehen. Dabei kamen Haare an die | |
| Oberfläche. „Da wussten wir: Das ist ein Mensch“, erinnert sich Richard. In | |
| einem solchen Fall rufen die zwei Kollegen die Polizei. „Rausholen müssen | |
| wir die Körper zum Glück nicht.“ | |
| 19 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Madeleine Hofmann | |
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