# taz.de -- Schrottangler aus Eberswalde: Mit Geduld und schweren Magneten | |
> Sie fanden es öde, nur Fische zu angeln. Jetzt holen Devon Hoffmann und | |
> Leon Holub Altmetall aus Gewässern – und werden auf Social Media | |
> gefeiert. | |
Bild: Da zappelt was! Holub und Hoffmann fischen Altmetall aus dem Finowkanal i… | |
EBERSWALDE taz | Es gibt diese Geschichte über den Landwehrkanal in Berlin | |
und einen Typen, der sich das Bein brach, als er betrunken von einer Brücke | |
hineinsprang. War der Kanal nicht tief genug? Oder verletzte er sich noch | |
auf der Brücke? Nein, der Mann sprang glatt und gerade, aber landete auf | |
einer Waschmaschine. | |
Eine Waschmaschine hatten Devon Hoffmann und Leon Holub zwar noch nie an | |
der Angel. Dafür Tresore, Fahrräder, E-Roller, Campingstühle, Grills und | |
tonnenweise Undefinierbares, dem die Jahrzehnte im Wasser jegliche Form | |
genommen haben. Mit schweren Magneten angeln die beiden jedes Wochenende in | |
Berliner und Brandenburger Gewässern nach Schrott. | |
Dabei denken sie weniger an betrunkene Männer, die sich ihre Beine brechen | |
könnten, als an die Umwelt und die Fische, die die Metallkrümel für Futter | |
halten. Hoffmann, 18 Jahre alt, und, Holub, 19 Jahre alt, nennen sich | |
„Magnet for Future“. Im Internet haben sich die beiden mittlerweile | |
[1][eine kleine Fangemeinde aufgebaut]. | |
Darauf, sich einen Namen zu geben und ihre Funde online zu präsentieren, | |
wären sie anfangs gar nicht gekommen. „Aber uns sprechen einfach immer so | |
viele Leute an, die mehr übers Magnetangeln wissen wollen und wie man uns | |
unterstützen kann“, sagt Devon Hoffmann. | |
## Neugierige Ausflügler*innen halten an | |
Holub und Hoffmann stehen an diesem Samstagvormittag im Juli unter einer | |
alten Eisenbahnbrücke am Finowkanal in Eberswalde, gleiche Käppis, gleiche | |
Shirts, gleiche Arbeitshandschuhe. Das Platschen der Magnete hört man schon | |
von Weitem, wer sich nähert, bemerkt die Spotify-Songs aus der Bluetoothbox | |
und die Ausbeute des Tages am Wegesrand. Viele Ausflügler*innen | |
unterbrechen ihre Radtour, um die beiden Männer zu fragen, was sie da | |
treiben. | |
„Was macht ihr denn hier?“ „Na, das ist ja cool.“ „Was findet man den… | |
so?“ „Schlimm, was die Leute alles in den Kanal schmeißen.“ „Was war d… | |
Größte, das ihr je rausgeholt habt?“ „Kann man euch unterstützen?“ „… | |
euch wer eine Prämie?“ | |
Hoffmann und Holub beantworten jede Frage, als würde sie ihnen zum ersten | |
Mal gestellt. Sie freuen sich über das Interesse und das Staunen vieler, | |
wenn ihnen klar wird, dass der so idyllisch dahinfließende Kanal ohne | |
Wasser einem Schrottplatz gleichen würde. „Viele, die neugierig | |
stehenbleiben, helfen uns auch dabei, Sachen zu identifizieren“, sagt | |
Hoffmann. | |
Ein Mann weiß an diesem Samstag zum Beispiel, dass es sich bei einem der | |
großen schweren Funde nicht um einen Lampenschirm im Industrial Design | |
handelt, sondern um die Fassung eines alten Suchscheinwerfers. Wenn | |
Passant*innen nicht weiterwissen, hat garantiert jemand auf Instagram | |
die Antwort. Hoffmann und Holub posten Bilder aller Funde, fast 2.000 | |
Menschen haben ihren Kanal abonniert. Das Unterteil einer Sackkarre, | |
Bremsscheiben, Überreste einer Spitzhacke: „Irgendwer erkennt’s immer.“ | |
## Immer eine Brechstange für Notfälle im Gepäck | |
Ein lautes Klirren, das Geländer zittert. „Scheiße“, sagt Holub. „Das | |
musste passieren.“ Die beiden sind heute zum ersten Mal mit ihrem neuen | |
Magnetset unterwegs. Ihre alten Magnete konnten bis zu 480 Kilogramm | |
ziehen, die neuen fast anderthalb Tonnen. Holubs Magnet hängt jetzt am | |
unteren Teil des Geländers, gegen das er sich beim Angeln lehnt, er hätte | |
mehr Abstand lassen müssen beim Hochziehen seines Fangs. | |
Für solche Fälle haben sie eine Brechstange dabei. Holub geht auf die Knie | |
und versucht, seinen Magneten, der nur ein bisschen größer ist als ein | |
Puck, vom Fleck zu bewegen. Keine Chance. Ein Kanute paddelt heran, älterer | |
Herr, oberkörperfrei, mit Solarzellen und jeder Menge Handwerkszeug auf dem | |
kleinen Boot. Der Mann hebelt von unten, Holub von oben, nach gut fünf | |
Minuten kriegen sie ihn bewegt. „Un dat ohne Bier heut morgen“, sagt der | |
Kanute und ist so schnell wieder verschwunden, wie er auftauchte. | |
Die neuen, leistungsstärkeren Magneten haben sie vergünstigt bekommen. Im | |
Gegenzug tragen sie Basecaps mit dem Logo der Herstellerfirma und posten | |
Bilder ihrer Arbeitsgeräte auf Social Media. Magnetangeln ist | |
instagrammable, die Hersteller freut’s. | |
Sowieso gibt es mittlerweile eine ganze Community, die | |
öffentlichkeitswirksam nach Schrott fischt und sich gegenseitig | |
unterstützt. Wobei man unterscheiden müsse, sagen Holub und Hoffmann: | |
„Manche wollen wirklich die Flüsse saubermachen, andere suchen bloß nach | |
Waffen, alter Munition und irgendwelchen Kriegsüberbleibseln.“ Was darüber | |
hinaus am Magnet hängen bleibe, würde einfach am Ufer liegen gelassen oder | |
wieder reingeschmissen. | |
## Aufmerksamkeit ist der Lohn für ihre Arbeit | |
Demnächst sind Holub und Hoffmann mit einer sehr viel reichweitenstärkeren | |
Anglergruppe unterwegs, die es genauso ernst meint wie Magnet for Future. | |
Es sind „wirklich herzensgute Menschen“, sagt Holub. Von dem Auftritt in | |
deren Videos erhoffen sie sich, dass ihre Follower*innenzahl weiter | |
ansteigt. Aufmerksamkeit ist der Lohn für ihre Arbeit, finanziell bringt | |
ihnen das Magnetangeln nichts. | |
Wenn sich genug angesammelt hat, fährt Holubs Opa mit seinem Hänger zum | |
Schrottplatz. Das Geld, das er bekommt, darf er behalten. „Opa hat noch was | |
gut bei mir“, sagt Holub. | |
Vom Bürgermeister der Gemeinde Panketal gab’s für Holub und Hoffmann ein | |
anerkennendes Schulterklopfen und kostenlose Müllbeutel. Die beiden holen | |
nämlich nicht nur den Schrott aus den Flüssen, sondern sammeln auch Müll am | |
Uferrand auf. „Damit wir immerhin bei null rauskommen und nicht im Minus.“ | |
## Auch die Ausbildung machen sie gemeinsam | |
Holub und Hoffmann sind in Bernau und Panketal aufgewachsen und zusammen | |
auf die Oberschule gegangen. Jetzt machen sie auch ihre Ausbildung | |
gemeinsam: beide bei der Bahn. Leon im Sicherheitsdienst, Devon bei der | |
Zugreinigung. | |
Auch wenn ihr Name den Anschein erweckt: Mit Fridays for Future können | |
Devon und Leon nicht so viel anfangen. „Lieber weniger reden und einfach | |
machen“, sagen sie. Die Bewegung steckte gerade in ihren Anfängen, als | |
Holub und Hoffmann noch zur Berufsschule gingen. „Aber wir haben uns da | |
rausgehalten, irgendwie ist uns das zu widersprüchlich“, sagt Hoffmann. | |
„Die Plätze, auf denen demonstriert wird, sehen nachher schlimmer aus als | |
vorher, überall überquellende Mülleimer“, sagt Holub. Die beiden können | |
sich aber gut vorstellen, in der Zukunft Schulklassen zu besuchen und mit | |
Jugendlichen mal einen Vormittag lang angeln zu gehen. Um ganz praktisch zu | |
vermitteln, dass jeder ins Wasser geschmissene Kronkorken einer zu viel | |
ist. | |
Am Magnetangeln lieben sie die unmittelbaren Ergebnisse – und diesen | |
Endorphinschub, wenn sie merken, dass da etwas richtig Großes an der Angel | |
hängt. Dann fühlt es sich an, als hätte ein Hai zugebissen, den man jetzt | |
nur noch über den Grund des Gewässers manövrieren und dann hochziehen muss. | |
Ganz vorsichtig, denn er könnte sich verkeilen. Ist der Magnet erst einmal | |
ab, findet man im Wasser nur sehr schwer wieder, was einmal dranhing. | |
## Nach wenigen Würfen sind beide nass geschwitzt | |
„Nach Fischen angeln fand ich immer langweilig und sinnlos“, sagt Holub. | |
Stundenlang warten, bis etwas am Haken hängt, um es dann wieder | |
reinzuwerfen. Magnetangeln ist Action und körperlich anstrengend. Nach nur | |
wenigen Würfen sind die beiden voller Schlick und nass geschwitzt. Sie | |
angeln, bis sie nicht mehr können. | |
In zwei Stunden unter der alten Eisenbahnbrücke am Finowkanal haben sie so | |
viel rausgefischt, dass sie es allein in ihren Autos nicht transportieren | |
können. Leon Holubs Opa wird helfen müssen. Und das, obwohl sie schon | |
mehrere Male an genau dieser Stelle geangelt haben. Werden sie da nicht | |
manchmal wütend auf die Verschmutzer*innen? | |
Gegen Menschen, denen ihr Kram versehentlich in den Fluss gefallen ist, | |
hegen sie keinen Groll. Schraubenzieher, Gabeln, ein volles Gurkenglas, | |
Skateboards – kann passieren. „Aber Autoteile und alte Gießkannen, so was | |
landet natürlich vorsätzlich da drin“, sagt Hoffmann. Andererseits gibt es | |
nun mal Hürden, seinen Müll loszuwerden. Beim Schrottplatz braucht man sich | |
mit ein paar Einzelteilen gar nicht erst blicken zu lassen, beim | |
Wertstoffhof muss man manchmal draufzahlen. | |
Das rechtfertige natürlich keine Umweltverschmutzung. „Aber vielleicht | |
wissen manche Menschen wirklich nicht, wohin damit“, sagt Hoffmann. Als | |
Sisyphusarbeit sehen sie das Magnetangeln jedenfalls nicht. Am Ende des | |
Tages sind ein paar Quadratmeter eines brandenburgischen Gewässers von ein | |
paar Hundert Kilogramm Schrott befreit. „Es liegt immer noch sauviel drin, | |
aber eben weniger als vorher“, sagt Leon Holub. „Ist doch super.“ | |
6 Aug 2021 | |
## LINKS | |
[1] https://www.instagram.com/magnet_4_future | |
## AUTOREN | |
Leonie Gubela | |
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