| # taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Antifaschistischer Polithooligan | |
| > Der Straßenkampf für einen anderen Fußball – das fasziniert auch in | |
| > Deutschland linke Fans. Gewaltexzesse sind dabei nur selten Thema. | |
| Bild: Die Fans von Arsenal Kiew, Antifaschisten? | |
| Rechte Schlägerbanden jagen schwule Männer und vermöbeln sie. Die Behörden | |
| schauen weg. Die Brutalos fühlen sich im Recht – nicht erst seit es die | |
| neuen Gesetze gibt, mit denen die Jugend vor denen geschützt werden soll, | |
| für die Homosexualität einfach nur normal ist. | |
| Viele winken ab. Sie haben Russland aufgegeben. Putin eben. Über den | |
| Präsidenten wird trotz allem gerne gelacht, vor allem wenn es wieder neue | |
| Fotos gibt, die den Potentaten mit nacktem Oberkörper zeigen. Böses Land, | |
| regiert von einem lächerlich fiesen Diktator. | |
| Und die Opposition? Auch da wollen viele nicht allzu genau hinschauen. Was | |
| Alexej Nawalni, derzeit der Lieblingsoppositionelle westlicher Medien, über | |
| Kaukasier sagt, möchte man lieber ausblenden. Was er mit ihnen am liebsten | |
| machen würde, will sich wohl niemand vorstellen. | |
| Man hätte so gerne einen Hoffnungsträger, einen Typen, der will, dass in | |
| Russland alles genauso wird wie im Westen, einen, der es schafft, all die | |
| Nazis und Nationalbolschewiken, die in den großen Städten des Landes um die | |
| Vorherrschaft auf den Straßen kämpfen, zu marginalisieren. | |
| ## Ein widerliches Buch | |
| Gut 100 Menschen, die sich in der vergangenen Woche im finsteren | |
| Veranstaltungskeller einer Kneipe in Neukölln eingefunden haben, scheinen | |
| sich sicher zu sein, endlich jemanden aus Russland gefunden zu haben, den | |
| sie vorbehaltlos unterstützen können: Piotr Silaev. Gebannt verfolgen sie | |
| die Lesung aus seinem Buch „Exodus“, das der 1985 geborene Silaev unter dem | |
| Namen DJ Stalingrad veröffentlicht hat und das gerade in der Übersetzung | |
| von Friederike Meltendorf bei Matthes und Seitz auf Deutsch erschienen ist. | |
| Es ist ein widerliches, gewaltverherrlichendes Buch, in dem so viel | |
| gesoffen wird, dass einem vom Lesen schon schlecht wird, in dem so viel | |
| Blut fließt, dass einem bei der Lektüre beinahe der ganze Körper wehtut. Es | |
| ist die Geschichte eines Schlägers. Doch daran will sich kaum einer stören. | |
| Die Zuhörer bei der Lesung sind Fans des Protagonisten. Denn der schlägt | |
| die Richtigen. Er ist ein Nazivermöbler. | |
| Das war Silaev auch, bevor er in Finnland politisches Asyl beantragt hat. | |
| Sein Leben, über das er am Abend der Lesung erzählt, hat viel gemein mit | |
| dem des Erzählers von „Exodus“. Das schmächtige Kerlchen, das da im weiß… | |
| Hemd auf der Bühne sitzt, ist vor nicht allzu langer Zeit noch durch die | |
| ehemaligen Sowjetrepubliken getourt, um Antifaschisten bei ihrem Kampf | |
| gegen die Polizei und Nazis zu unterstützen. | |
| ## Wahnwitziger Straßenkampf | |
| In den Erläuterungen zu seinem Text schreibt er, dass Arsenal Kiew und | |
| Partizan Minsk die einzigen Klubs in den Postsowjetländern sind, deren Fans | |
| sich als Antifaschisten bezeichnen. Silaev ist mit ihnen in die Schlachten | |
| gezogen. Er schildert, wie einem das Auge ausgedrückt wird, „Minsk City | |
| 2006“. | |
| Der wahnwitzige Straßenkampf für einen anderen Fußball fasziniert auch in | |
| Deutschland viele linke Fans. Als der selbst verwaltete Klub Partisan Minsk | |
| im März durch Deutschland tourte, wurden die Gäste aus Weißrussland für | |
| ihren Kampf gegen die dominierende rechtsradikale Fankultur in ihrer Heimat | |
| bewundert. Die damit verbundenen Schlägereien und Gewaltexzesse waren dabei | |
| nur selten ein Thema. Gewalt wurde als Lösung akzeptiert. | |
| Bei Silaev wird sie verherrlicht. Irre Typen vagabundieren durch seinen | |
| Text und prügeln alle Spießer windelweich. Es ist ein Loblied auf | |
| antifaschistische Hooligans, das Schlachtengemälde eines Politkriegs, in | |
| dem verkommene Typen, die sich der Autor in die Öfen von Auschwitz wünscht, | |
| aufeinander eindreschen. „Am Anfang waren wir nur zu zehnt“, erinnert sich | |
| Silaev an die Anfänge seines antifaschistischen Kampfs. „Jetzt sind wir | |
| Tausende.“ Was das für Russland wohl bedeuten mag? | |
| 29 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Rüttenauer | |
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