# taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Das Buch als Vollrausch | |
> Florian Weber ist ein Sportfreund Stiller. Er kann vom Fußball nicht | |
> lassen und findet in einem irren Roman Platz für Lars Lunde. | |
Bild: Rasender Autist: So sieht Illustrator Kai Büschl Webers Romanfigur Loche… | |
Als würde ein Sprachbehinderter unsere Hausnummer sagen.“ Da macht sich | |
einer über sich selbst lustig. Joseph Schmidt hat sich „LL11“ zwischen die | |
Schulterblätter tätowieren lassen, steht zwar dazu, findet es aber auch | |
selbst irgendwie blöd. „LL“ steht dabei für Lars Lunde. Der Däne hat fr�… | |
mal, Ende der 1980er Jahre, für den FC Bayern gespielt – mit der | |
Rückennummer elf. „Lars Lunde ist mein ewiger Lieblingsspieler“, meint | |
Joseph Schmidt. „Er war für mich zu seiner aktiven Zeit der Inbegriff von | |
Kraft und Schönheit.“ Lars Lunde? | |
Das war doch dieser notorische Dribbler, der immer den Ball angeschaut hat | |
und dabei vergessen hat, wo das Tor steht. Wenn Lunde bei einem Heimspiel | |
im Olympiastadion wieder mal eine seiner zahlreichen sogenannten | |
todsicheren Torchancen getötet hatte, dann war das Raunen aus dem Betonrund | |
im Münchner Norden noch auf dem Marienplatz zu hören. Inbegriff von Kraft | |
und Schönheit? Einen solchen Lunde-Fan kann es gar nicht geben. Das hat | |
sich einer ausgedacht. | |
Florian Weber war es. In seinem Roman [1][„Grimms Erben“] kommt dieser | |
Lunde-Jünger vor, den sein Hamburger Vater Joseph genannt hat, weil ihm | |
Sepp Maier, Deutschlands Katze von Anzing, mal spontan geholfen hat, als er | |
mit seinem Auto auf der B300 bei Geisenfeld liegen geblieben war. Eine | |
Fußballgeschichte? Verwunderlich wäre das nicht bei diesem Autor. Weber ist | |
Schlagzeuger der Sportfreunde Stiller, die ganz viele Songs gemacht haben, | |
die ganz nah am Fußball sind, und deren „54, 74, 90, 2006“ getrost als | |
stadiontauglich bezeichnet werden kann. Ein Fußballroman also, wie Webers | |
Erstling, dessen Titel sich anhört, als hätte man ihn irgendwann schon | |
einmal gehört: „You’ll Never Walk Alone“? Nein, keine Fußballgeschichte. | |
## Folgenreiches Kragenplatzen | |
Viel irres Zeug hat Weber da zusammengeschrieben, und man darf es ruhig als | |
gewagt bezeichnen, wenn in einem Buch, dessen Story im 2. Weltkrieg mit der | |
Flucht eines gewissen Ignaz Buchmann über die Mauer in das schon fast ganz | |
zerstörte Warschauer Ghetto hinein beginnt, ein Lars Lunde vorkommt. Bis | |
Warschau war der Deserteur gelaufen, ja, gelaufen, um die Manuskripte der | |
Märchen, die er geschrieben hat, zu einem Drucker zu bringen – womit | |
geklärt wäre, warum der Name Grimm im Romantitel vorkommt. Im Ghetto wird | |
er dann von veritablen SS-Ärschen als Jude gefangen und taucht erst am Ende | |
des Romans wieder auf, dessen große Mitte von einem Autisten bespielt wird, | |
der immer das Gleiche anzieht, lieber liest als redet, Jazzmusik liebt und | |
mit Bäumen spricht. | |
Von seinen Nachbarn und Kollegen wird er gehasst und drangsaliert, so | |
lange, bis ihm der Kragen platzt und er gnadenlos zurückschlägt. Irgendwann | |
kreuzigt er einen bösen Bengel und heftet ihn mit Klebeband an das Brett | |
eines Basketballkorbs. Die alte Nachbarin, die ihn immer nur verflucht, | |
bindet er an einen Rollstuhl; er schiebt an und lässt sie einen Anhang | |
runtersausen. Weber beschreibt auch das Geräusch beim Bersten der alten | |
Gebeine. So geht es weiter, bis Locher als Monster im ganzen Landstrich | |
verschrien ist und gesucht wird. | |
Gefunden wird er schließlich eher per Zufall von diesem Hamburger | |
Grafikerbürschchen mit der LL11-Tätowierung, diesem Joseph Schmidt, der im | |
Bierrausch eine sehr bayerische Wirtin im Oberland vögelt, im Pilzrausch | |
glaubt, dass er zum Mörder geworden ist, und die irre Geschichte am Ende | |
doch zusammenführt. Einen literarischen Vollrausch hat Florian Weber da | |
fabriziert, bierernst, saublöd und todtraurig in einem – ganz bestimmt und | |
Gott sei Dank kein Lars-Lunde-Buch. | |
In einem solchen wäre gewiss auch Uli Hoeneß vorgekommen, der sich 1988 als | |
Manager des FC Bayern München so rührend um den bei einen Verkehrsunfall | |
schwer verletzten Dänen gekümmert hat und ihn sogar als Mitbewohner in | |
seiner Hütte aufgenommen hat, obwohl dieser gar nicht mehr in München unter | |
Vertrag stand. Gewiss, auch eine interessante Geschichte, aber sicher nicht | |
so irr wie Webers Radikalroman. | |
18 Apr 2013 | |
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## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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