# taz.de -- Kolumne Kulturbeutel: Die dritte Disziplin | |
> John Irving schreibt Romane und manchmal über das Ringen. Mit dem | |
> sogenannten Gewichtmachen hatte er nie Probleme. | |
Bild: Klassischer Sport: antike Ringer | |
Ein Faktor, der mein Gewicht beeinflusste, war das Bier.“ Ein wahrer Satz, | |
werden sich viele denken, die sich in diesen Wochen des Fastens vor Ostern | |
vorgenommen haben, erst mal auf ihr geliebtes Feierabendgesöff zu | |
verzichten. Geschrieben hat ihn John Irving, der US-amerikanische | |
Romanfabrikant („Gottes Werk und Teufels Beitrag“, Witwe für ein Jahr“, | |
„Letzte Nacht in Twisted River“), in seinem Erinnerungsbuch „Die imaginä… | |
Freundin – vom Schreiben und Ringen“, das Irene Rumler für den | |
Diogenes-Verlag übersetzt hat. | |
Darin erzählt Irving, wie er, der miese Schüler und Legastheniker, zum | |
Schreiben kam und wie er nicht vom Ringen lassen konnte, obwohl er nie der | |
beste Mattensportler war. In den Tagen, in denen der Rauswurf des Ringens | |
aus dem Olymp des Sports diskutiert wird, gilt Irving als so etwas wie der | |
gute und vor allem [1][intellektuelle Geist dieses Sports]. | |
Wenn es in seinen Erinnerungen um Ringen geht, ist indes wenig von Geist | |
die Rede – es geht um den Körper und nicht selten um Körpergewicht. Denn | |
neben dem Freistilringen und der griechisch-römischen Variante des Sports | |
gibt es noch eine dritte Disziplin, die jeder beherrschen muss, der auf die | |
Matte will: das Gewichtmachen. Schwitzen und Hungern musste auch Irving in | |
seiner Zeit als Ringer in der Schulmannschaft von Exeter oder später an der | |
Uni in Pittsburgh. | |
Er schreibt das auf, als hätte es ihm nie größere Probleme bereitet, sich | |
vor dem Wiegen unter das Limit für die jeweilige Gewichtsklasse zu hungern. | |
Irving erzählt von einer Nacht in einem Wohnheim, in dessen Treppenhaus | |
jede Menge Ringer hoch- und runterrennen, um genug rauszuschwitzen vor dem | |
wichtigen Wettkampf am nächsten Tag. Das liest sich gut und wirkt, auch | |
weil es sich in der Militärakademie West Point abspielt, ein wenig schräg, | |
aber weil Irving nichts, aber auch gar nichts auf seinen Sport kommen | |
lassen möchte, soll niemand etwas schlimm finden an dem für viele Ringer so | |
brutalen Gewichtmachen. | |
Irvings Buch ist schwärmerische PR für den Ringersport. Sogar das | |
Kampfrichterwesen weiß er in den höchsten Tönen zu besingen, und als er in | |
Iowa Dan Gable kennenlernt, den Olympiasieger im Leichtgewicht von 1972, | |
ist das für ihn mindestens ebenso wichtig wie seine ersten Begegnungen mit | |
seinem literarischen Ziehvater Kurt Vonnegut. Hätten die IOC-Oberen „die | |
imaginäre Freundin“ gelesen, sie hätten gewiss nicht den Daumen gesenkt, | |
als es um die olympische Zukunft dieser Sportart geht. | |
## Auch in Hollywood wird gerungen | |
Die Highschool- und Uni-Wettkämpfe, die Ringereltern, das Training mit | |
harten, aber immer ehrlichen Coaches, die kleinen und großen Arenen, die | |
dreckigen oder sauberen Matten, die Irving beschreibt, sie haben es auch in | |
so manchen Pennälerfilm aus Hollywood geschafft. Neben all den Baseball-, | |
Footballmovies, anhand deren das Erwachsenwerden amerikanischer Jungs | |
erzählt wird, gibt es tatsächlich auch ein paar Ringerfilme. Da kommt das | |
Raufen nach Regeln nicht immer so gut weg wie bei Irving. In der | |
schrecklichen 80er-Jahre-Schnulze „Crazy for you – Liebe auf der | |
Ringermatte“ ist das Gewichtmachen ein zentrales Motiv. | |
Der 18-jährige Louden Swain sucht den Sinn des Lebens nicht nur in der | |
Liebe zu einer älteren Frau, sein größtes Ziel ist der Sieg über den schier | |
unbezwingbaren Superringer Brian Shute. Um gegen den kämpfen zu können, | |
hungert er sich zwei Gewichtsklassen runter, was ihn körperlich und | |
seelisch immer mehr zermürbt. Nasenbluten wird sein ständiger Begleiter. Am | |
Ende gewinnt er, Hollywood sei Dank, den Kampf, der auf [2][YouTube] in | |
voller Länge zu sehen ist und in Ringerkreisen als wahres Schmankerl gilt. | |
Einen besser inszenierten Kampf wird man so schnell nicht wieder drehen. | |
Auch im entscheidenden Ringen um sein Selbstbewusstsein als werdender Mann | |
fängt irgendwann die Nase des tapferen Louden zu bluten an. Hungern für den | |
Sport ist eben doch etwas anderes als Fasten fürs Gewissen. Wer ein paar | |
Bier weglässt, dem wird schon nicht gleich das Blut aus der Nase laufen. | |
21 Feb 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.nytimes.com/2013/02/16/opinion/how-wrestling-lost-the-olympics.h… | |
[2] http://www.youtube.com/watch?v=pLlRdgpQxfA | |
## AUTOREN | |
Andreas Rüttenauer | |
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