# taz.de -- Debatte Wahlkampf: Streitet euch! | |
> Müde Kanzlerkandidaten, harmoniesüchtige Wähler und zahme Parlamentarier: | |
> Der deutschen Politik fehlt es an Leidenschaft. Mehr Misstöne müssen her. | |
Bild: Na so wild auch wieder nicht: Prügelei im Parlament in Südkorea (Archiv… | |
Was am Ende hängen bleibt, ist die Debatte um den von den Grünen | |
vorgeschlagenen Veggie Day und bunte Hintern, was traurig und peinlich | |
zugleich ist, nicht nur, weil die bunten Hintern von den Republikanern auf | |
Plakate gedruckt wurden. | |
Außerdem bleiben noch: das Gefühl, gelangweilt zu sein, und die Frage, ob | |
man denn ausreichend informiert ist. Ob es tatsächlich sein könne, dass es | |
kaum etwas gab, worüber man nachdenken, mit Freunden streiten, diskutieren | |
hatte können, oder ob man schlecht zugehört hat, nicht begeistert genug | |
gewesen war. | |
Vielleicht haben die einen aber auch nicht genug begeistert. Dass Politiker | |
Phrasen dreschen – vor, nach, während des Wahlkampfs und auch zwischendrin | |
– ist selbstverständlich nicht neu. Dass die Politiker, auch die | |
öffentlichkeitserfahrenen wie die Bundeskanzlerin, oder der, der angeblich | |
ihren Job übernehmen möchte, obwohl man ihm das nicht so recht abnehmen | |
wollte in den vergangenen Wochen, aber plötzlich stammeln, einander mitten | |
im Wahlkampf manchmal beinahe hofieren und dabei manchmal so wirken, als | |
würden sie selbst vor Langeweile beinahe einschlafen, das ist neu. | |
Wer nicht alt genug ist, um an Willy Brandt zurückzudenken, wird sich | |
zumindest – fast sehnsüchtig – an Gerhard Schröder erinnern. Dem passiert… | |
im Wahlkampf zumindest amüsante Fehler wie „Frauen und das ganze Gedöns“. | |
Was ist los? Trauen sie sich nicht? Oder ist die Harmoniesucht so groß? Und | |
wenn Letzteres der Fall ist, ist es die der deutschen Wähler, die in ihrer | |
großen Mehrheit schon immer in der Großen Koalition die beruhigende Lösung | |
sahen? Oder die der Politiker selbst? | |
Heutzutage verhält man sich, auch diejenigen auf der politischen Bühne, die | |
hoch hinaus wollen und uns, unser Land führen sollen, heutzutage verhalten | |
wir uns alle politisch korrekt und sind anderen Meinungen gegenüber so | |
tolerant, dass wir vorsichtshalber lieber die Klappe halten. Eine | |
Krankheit, die um sich greift. So toll sind wir, so offen für andere | |
Meinungen, dass wir lieber gar nichts sagen. Vor lauter Harmoniestreben | |
wird nicht gestritten, erst recht nicht: mit Leidenschaft argumentiert, | |
dabei mit den Händen gewedelt, die Stimme variiert, sich aufgeregt gar – es | |
könnte ja den Mitmenschen auffallen, dass man eine Meinung hat (wenn man | |
sie denn hat, aber das ist eine andere Frage). | |
## Harte Worte im Bundestag | |
Politikverdrossenheit wird den Bürgern vorgeworfen, über Wahlbeteiligung | |
macht man sich Sorgen. Politikverdrossen wirken aber spätestens seit diesem | |
Sommer die Politiker selbst. Als könnten sie sich für ihre eigenen Inhalte | |
nicht begeistern, als wüssten sie – schlimmstenfalls – nicht, was ihre | |
eigenen Inhalte sind. Früher ging es im Bundestag auch sprachlich zur | |
Sache: „Übelkrähe“, „Mini-Goebbels“, „Dreckschleuder vom Dienst“,… | |
da, Franz Josef Strauß wiederholte gern: „Irren ist menschlich, aber immer | |
irren ist sozialdemokratisch.“ | |
Heute wartet man vergeblich auf druckreife Sprüche, vielleicht, weil keiner | |
genau weiß, was die Sache ist, um die man sich streiten könnte. Ein | |
bisschen Euro-Rettung, ein wenig Mindestlohn, und selbst die | |
vielversprechende NSA-Affäre verpufft im Nu. | |
Die Wahlkampfstrategie der SPD beschränkt sich augenfällig darauf, die | |
Opponenten in ein schlechtes Licht rücken zu wollen, eine Strategie, die | |
zwar fragwürdig ist, aber sich per definitionem bestens für markante und | |
fiese Sprüche sowie Schlagzeilen eignet. Stattdessen wiederholte Peer | |
Steinbrück im Kanzlerkandidaten-TV-Duell wie ein Mantra, dass das Land | |
„Richtung und Richtlinien“ brauche, was, nun ja, geradezu dafür | |
prädestiniert ist, die Zuschauer aus ihren Polstermöbeln zu reißen und mit | |
Tränen der Begeisterung in den Augen und erhobener Faust „Ja, genau!“ rufen | |
zu lassen. | |
## Eine Steilvorlage für Merkel | |
Währenddessen antwortet Angela Merkel auf die Frage, ob ihr Herausforderer, | |
der sogar in der Öffentlichkeit geweint hatte, ihr in den vergangenen | |
Wochen leidgetan habe – eine Steilvorlage, denkt sich der Zuschauer und | |
freut sich auf ihre Reaktion –, nein, das habe Peer Steinbrück nicht nötig. | |
Ja, wir haben uns alle lieb, sind zivilisiert, höflich und tolerant. Da | |
wünscht man sich als Zuschauer beinahe Berlusconi auf die internationale | |
Politikbühne zurück, den konnte man zumindest noch mit Leidenschaft hassen. | |
Bei dieser Bundestagswahl wird nicht eine Partei, auch nicht ein | |
Kanzlerkandidat, erst recht aber nicht eine Vision gewählt, sondern einfach | |
das geringste Übel. | |
Sieht so aus, als hielten sich die am 22. September zur Wahl Stehenden | |
streng an Helmut Schmidt, der sagte: „Wer eine Vision hat, der soll zum | |
Arzt gehen.“ | |
Zum Arzt wollen sie offenbar genauso wenig wie an die Regierung. | |
3 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Lena Gorelik | |
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