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# taz.de -- Lidokino: Die Sprache der Folter
> Über einen, der weiß, was Rhetorik ist und wie er sie zu seinem Vorteil
> einsetzt: Errol Morris' Dokumentarfilm „The Unknown Known“ über Donald
> Rumsfeld.
Bild: Selbstdarsteller: Donald Rumsfeld 2006 in Nicaragua.
Zum ersten Mal laufen Dokumentarfilme im Wettbewerb der Mostra: „The
Unknown Known“ von Errol Morris und „Sacro GRA“ von Gianfranco Rosi.
Morris’ Film erlebte am Mittwoch seine Premiere; in seinem Mittelpunkt
steht der ehemalige US-amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld.
„The Unknown Known“ mischt ausführliche, effektvoll montierte
Interviewsequenzen mit Archivmaterial, dazu kommen zahlreiche Nahaufnahmen
der Memos, die Rumsfeld im Laufe seiner Karriere angefertigt hat, die
Kamera fährt an einzelnen Sätzen entlang, verharrt bei markanten Begriffen,
bei handschriftlichen Ergänzungen, sie gibt sich alle Mühe, den Text
wirkungsvoll in Szene zu setzen. Ein dramatisch-treibender Score möchte sie
darin unterstützen.
Eines wird dabei überdeutlich: Rumsfeld weiß, was Rhetorik ist und wie er
sie zu seinem Vorteil einsetzt. Obwohl er 81 Jahre alt ist, spricht er
geschmeidig und überzeugend, und das war nicht anders, als er in der
Regierung von George W. Bush den Posten des Verteidigungsministers
innehatte.
Mehrmals zeigt Morris Archivaufnahmen von den Pressekonferenzen, die
Rumsfeld vor und nach dem Beginn des Irakkriegs gab, sobald die Fragen der
Journalisten kritischer werden, macht er kleine Witzchen, gibt er Sentenzen
zum Besten oder spricht in Analogien, und dabei verliert sich der kritische
Impuls der Frage.
## „Der Mangel an Beweisen ist kein Beweis für den Mangel“
Als ein Journalist mehr über die fehlenden Beweise für
Massenvernichtungswaffen im Irak wissen möchte, bringt Rumsfeld einen
Chiasmus in Stellung: „Der Mangel an Beweisen ist kein Beweis für den
Mangel.“ Eine Journalistin insistiert: Saddam Hussein habe doch gerade
öffentlich erklärt, dass er weder über Massenvernichtungswaffen noch über
Verbindungen zu al-Qaida verfüge. „Und Abraham Lincoln war ein kleiner
Mann“, kontert Rumsfeld mit einem feinen Lächeln im Gesicht. Lincoln war
1,93 Meter groß. Er legt eine effektvolle Pause ein, bevor er fortfährt:
Hussein habe schon immer gelogen. Warum solle man ihm jetzt glauben?
Heute, da die Geschichte von den Massenvernichtungswaffen als Lüge enttarnt
ist, könnten sich solche Sätze gegen Rumsfeld selbst wenden. Aber „The
Unknown Known“ bleibt zurückhaltend, der Film fasst den Mann in seinem
Zentrum zart an.
Morris hakt zwar nach, bisweilen sind seine Fragen aus dem Off zu hören,
doch er bringt seinen Protagonisten nie in Bedrängnis. So muss man die
Risse in Rumsfelds Rhetorik selber finden, was wiederum durch den
allgegenwärtigen Score erschwert wird und auch durch Rumsfelds souveräne
Körpersprache. Wie ein Lächeln, eine Handbewegung, ein Stirnrunzeln wirken,
darüber ist sich der Mann stets bewusst.
Morris’ Methoden der filmischen Effektmaximierung stören gewaltig, aber
instruktiv ist „The Unknown Known“ trotzdem – vor allem dann, denn der Fi…
zu analysieren versucht, wie sich die Sprache während der Präsidentschaft
von George W. Bush verändert hat.
Einmal erläutert Rumsfeld die zahlreichen Begriffsverschiebungen jener
Jahre, dass man nicht mehr von Kriegsgefangenen spreche, sondern von
irregulären Kombattanten, und er erklärt die Begriffsliste, mit der die
Verhörmethoden in Guantánamo oder Abu Ghraib beschrieben werden.
Eingriffe in die Sprache, das legen diese Szenen nahe, haben Konsequenzen
im politischen und militärischen Handeln. Je euphemistischer man über
Folter spricht, umso besser sind die Voraussetzungen dafür, dass sie sich
zutragen kann.
4 Sep 2013
## AUTOREN
Cristina Nord
## TAGS
Donald Rumsfeld
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