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# taz.de -- Lidokino: Weltraumschrott im Anflug
> In Alfonso Cuaróns Film „Gravity" geht es im Weltall nicht gerade subtil
> zu. Doch der Streifen unterschätzt seine Zuschauer.
Bild: George, aus dem Boot grüßend: Clooneys Ankunft in Venedig.
Mittwoch Morgen, neun Uhr: Brillentest in der Sala Darsena. Auf der
Leinwand steht ein Bild aus „Gravity“, dem Film, der gleich den Kritikern
gezeigt wird und der am Abend die 70. Mostra internazionale d’arte
cinematografica eröffnet. Ein Astronaut rechts, ein Astronaut links, beide
in graublauen Raumanzügen, zwischen ihnen ein Teil eines Raumschiffs,
hinter ihnen hellblaue Weite.
Wenn man schon weiß, dass einer der beiden Astronauten von George Clooney
gespielt wird, kann man dessen markante Kinnlinie hinter dem Visier
ausmachen; Sandra Bullock, die die zweite Figur, die Ingenieurin Ryan
Stone, darstellt, ist nicht zu erkennen. Der Untertitel lautet: „Ricevuto,
Houston“. Roger, Houston.
Scharf wird das Bild erst, wenn man die klobige 3D-Brille aufsetzt. Per
Durchsage wird jeder, dessen Brille nicht funktioniert, dazu aufgefordert,
ein Handzeichen zu geben, Saaldiener brächten eine neue Brille an den
Platz. Das geschieht aber nicht, ratlos stehen diejenigen, deren Brillen
defekt sind, in ihren Sitzreihen.
Es dauert noch eine Weile, bis die Vorführung von Alfonso Cuaróns Film
beginnt – mit einer stillen, lange dauernden, aus dem All aufgenommenen
Einstellung auf einen Teil der Erde. Was eine blaue Schönheit! Auch die
ersten Minuten von „Gravity“ bleiben ruhig. Gedämpft sind die Stimmen der
Astronauten, die an der Außenhülle des Raumschiffes herumwerkeln, Kowalsky
(Clooney) hört Country-Musik und gibt Anekdoten zum Besten, schön sieht es
aus, wenn sich im Visier seines Helms ein Teil der Erde spiegelt. Man
meint, gut gelaunten Menschen bei der Arbeit zuzusehen, in einer langen,
eleganten Einstellung.
## Gut gelaunte Menschen
Doch schon kommt die Warnung, Weltraumschrott sei im Anflug, und mit der
Ruhe ist’s vorbei. Nicht nur, weil Cuarón, nachdem das Raumschiff havariert
ist, jede Gelegenheit nutzt, brennende, scharfkantige oder sonstige Teile
durchs All schießen zu lassen, einmal sogar, 3D macht es möglich, knapp am
Zuschauerauge vorbei, sondern auch, weil der Soundtrack so dräuend und
mächtig ist, dass der Film seine kontemplativen Anteile einbüßt. Was hätte
das werden können: Clooney und Bullock gleiten durch die Endlosigkeit,
durch das Nichts, allein und geworfen, den Tod als 99prozentige
Wahrscheinlichkeit vor Augen.
Doch anstatt dieser Verlorenheit Raum zu geben, setzt Cuarón lieber aufs
Spektakel und auf eine Art Computerspieldramaturgie. Kaum haben die Figuren
ein Problem bewältigt, kommt das nächste auf sie zu. Ist Ryan Stone mit
viel Mühe in ein russisches Sojus-Raumschiff eingedrungen, bricht drinnen
Feuer aus. Und so geht es weiter, von Level zu Level.
„Gravity“ ist einer jener Filme, die ihre Zuschauer unterschätzen. Wenn man
vom All aus sieht, wie die Sonne über der Erde aufgeht, ahnt man, dass
gleich eine Figur sagen wird: „Wie schön sind doch diese Sonnenaufgänge!“
Wenn ein Feuerlöscher aufdringlich in Szene gesetzt wird, weiß man, dass er
hinterher noch einmal eine Rolle spielen wird. Und wenn Ryan Stone voller
Resignation und Trauer ist, bewegen sich ihre Tränen als schwerelose
Kügelchen auf den Zuschauer zu. Wäre im Weltall nicht mehr Platz für
Subtilität?
28 Aug 2013
## AUTOREN
Cristina Nord
## TAGS
Film
George Clooney
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Venedig
Filmfestival
Kino
Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
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