# taz.de -- Beat-Literatur von Carl Weissner: Kamikaze Dream Machine | |
> Carl Weissner, Autor, Übersetzer und Literaturagent, machte die Beat | |
> Generation in Deutschland populär. Nun ist ein Buch mit seinen Storys | |
> erschienen. | |
Bild: Treffen britischer und us-amerikanischer Beatniks in London. | |
„Gegen 5 fing es an schiefzulaufen. Janis (Joplin) schmiss Cocktailgläser | |
durch die Gegend. Linda M. (aus der Manson Family) saß mit dem chinesischen | |
Koch in der Badewanne, fuchtelte mit einem Tranchiermesser & drohte sich | |
die Kehle durchzuschneiden, sobald er ihr zu nahe kam. Ferlinghetti kotzte | |
ins Goldfischglas & O’Gallagher schrie nach der Polizei.“ | |
Carl Weissner, von dem diese Szene aus einem schrägen Leben stammt, war | |
einer der letzten Überlebenden der Beat Generation. Im Januar 2012 ist er | |
mit 72 unerwartet gestorben. Die meisten kennen ihn nur als Übersetzer, | |
aber er hat auch großartige Prosa geschrieben, von der nun eine Auswahl | |
unter dem Titel „Eine andere Liga. Stories, bei denen man auf die Knie geht | |
und vor Glück in die Fußmatte beißt“ veröffentlicht wurde. | |
Die vielleicht beste Kurzgeschichte heißt „Last Exit to Mannheim“. Sie ist | |
1973 in der von ihm, Jörg Fauser und Jürgen Ploog herausgegebenen | |
Untergrundpostille Gasolin23 erschienen und liest sich wie Hunter S. | |
Thompson in seinen besten Zeiten. Carl Weissner, der sich 1966 für zwei | |
Jahre mit einem Fulbright-Stipendium in New York und San Francisco | |
herumtrieb, lässt da bereits keinen Zweifel daran, wie Literatur zu sein | |
hat. | |
Jedenfalls kein „Lindenblütentee und denaturierter Zwieback“, die er bei | |
der von Grass und der Gruppe 47 dominierten Nachkriegsliteratur | |
assoziierte, denn da gab es „kein Rülpsen mehr bei Tisch, keine fettigen | |
Finger, keine Kotzflecken in der Diele, keine verstopften Klos. Nie war | |
deutsche Dichtung so arm an Pep und Kalorien.“ | |
## Literatur aus der Gosse | |
Als Gegenentwurf hatte Weissner eine Literatur im Sinn, die in einem | |
existentielle Saiten zum Schwingen bringt, Literatur aus der Gosse, | |
Literatur von Leuten, die den Bodensatz des Lebens kannten, die wie sein | |
Freund Jörg Fauser jahrelang an der Nadel hingen und die schon mal ins Maul | |
der Hölle geguckt hatten, die Schreiben als Notwehr begriffen. | |
In den Sechzigerjahren erwarteten sehr viele junge Menschen mehr von | |
Literatur als moralische Erbauung, sie wollten eine Literatur, die ihre | |
Erfahrungen widerspiegelte. Carl Weissner fand sie bei Bukowski, Burroughs, | |
Warhol, J.G. Ballard, Ken Kesey, der Beat-Generation, die alle in seiner | |
persönlichen „Hall of Fame“ aufgelistet sind, und natürlich bei den | |
stilbildenden Chandler, Hammett und Ambler. | |
Die damals zahlreich aus dem Boden sprießenden und meist sehr kurzlebigen | |
Untergrundmagazine waren das Übungsfeld für diese Art von Literatur. | |
Weissner experimentierte früh mit der Cut-up-Methode, um lineare Denk- und | |
Lesegewohnheiten zu durchbrechen, als „Demontage der klassischen, d.h. | |
bürgerlichen Wirklichkeit. Der Erkenntnisgewinn jedoch ist bescheiden und | |
die kleinen stilistischen Fundstücke zufällig und selten von befremdlicher | |
Schönheit. | |
## Eine Lektüre hart an der Grenze | |
Weissner blieb nicht dabei stehen, schon allein deshalb nicht, weil er zum | |
Übersetzer seiner Freunde aus der amerikanischen Untergrundszene wurde, als | |
deren Agent er sich auch betätigte. Gelegentlich aber schrieb er, und das | |
auf einem Niveau, das jedem Vergleich mit seinen Vorbildern und Freunden | |
standgehalten hätte. In einigen Kurzgeschichten scheint auf, welchen Erfolg | |
Carl Weissner als Schriftsteller hätte haben können, hätte er den langen | |
Atem für ein Buch gehabt. | |
Aber Carl Weissner ging nie über eine „condensed story“ hinaus, und auch | |
wenn er seine späten Werke wie „Manhattan Muffdiver“ oder „Die Abenteuer | |
von Trashman“ als Romane titulierte, so waren auch sie aus Miniaturen, | |
Fragmenten, Einschüben und Fundstücken zusammengesetzt, genauso wie das in | |
diesem Buch zum ersten Mal veröffentlichte Stück „Tod in Paris“, das als | |
kollektive Arbeit unter Federführung Weissners zustande kam und bislang nur | |
auf englisch im Internet kursierte. | |
Manchmal liest sich das wie ein Zettelkasten, Zeitungsschnipsel, die | |
Weissner aufgefallen sind und die er manchmal nur zitiert, manchmal eine | |
kurze Meldung daraus bastelt. Darin geht es immer wieder um die großen, nie | |
enden wollenden Perversionen dieser Welt, um Gewalt, Elend, Dummheit, | |
Sadismus, Qual, Folter, um Selbstmordattentäter und die Sinnlosigkeit ihres | |
Tuns. | |
Eine Lektüre hart an der Grenze, aber mit jede Menge Realitätsgehalt. | |
Vielleicht waren das die Fingerübungen für den großen Roman, den Carl | |
Weissner plante, bevor ihm der Tod ins Handwerk pfuschte. | |
## Ästhetik einer Untergrundzeitschrift | |
Es hat eineinhalb Jahre gedauert, bis ein Buch aus seinem Nachlass | |
veröffentlicht wurde. Es enthält Bild-Collagen, Interviews, Geschichten, | |
Vorworte, Fotos ohne Legenden, Porträts von ihm (über Bukowski) und über | |
ihn (von Jürgen Ploog), ohne zeitliche Chronologie, ohne inhaltliche | |
Ordnung. Und das alles in verschiedenen Schrifttypen, manche Texte weiß auf | |
schwarz, manche zweispaltig, manche Texte auf englisch, manche übersetzt. | |
Warum das alles so gemacht wurde, ist nicht nachzuvollziehen, auch nicht, | |
warum man das Buch umdrehen muss, um „Tod in Paris“ lesen zu können. Schade | |
ist es zudem, dass Weissners großartiger Text über Jörg Fauser, der im | |
Rolling Stone erschienen ist, nicht in das Buch aufgenommen wurde. | |
Vermutlich wollte man den Charakter und die Ästhetik einer | |
Untergrundzeitschrift, in der viele Texte von Carl Weissner erschienen | |
sind, bewahren, aber das war keine gute Entscheidung, denn man hätte Carl | |
Weissner aus diesem mittlerweile und aus gutem Grund vergessenen Milieu | |
hervorheben können. | |
Eine sorgfältig editierte Ausgabe wäre besser gewesen, mit der mehr Leute | |
etwas anzufangen gewusst hätten als die üblichen Verdächtigen, bei denen | |
jede Literatur unter Generalverdacht gerät, die Erfolg hat oder | |
möglicherweise in den Literaturkanon aufgenommen wird. Genau das aber hätte | |
Carl Weissner verdient gehabt. | |
5 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Klaus Bittermann | |
## TAGS | |
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