# taz.de -- US-Comic-Legende Will Eisner: Wiedersehen mit einem Klassiker | |
> Der Carlsen Verlag bringt die US-Comic-Legende Will Eisner neu heraus. | |
> Der vorliegende erste Band versammelt die drei Alben "Ein Vertrag mit | |
> Gott", "Lebenskraft" und "Dropsie Avenue". | |
Bild: Szene aus "Ein Vertrag mit Gott". | |
Will Eisner ist US-amerikanische Comicgeschichte. Mit seiner 1940 | |
gestarteten Serie "The Spirit" befand er sich an der Schaltstelle zwischen | |
formaler Experimentierfreude und avancierter Pulperzählung. Seine von Film | |
Noir inspirierten Settings legten die ersten Weichen zur Modernisierung des | |
Superheldengenres. Erst spät veröffentlichte der 1917 geborene die | |
erzähltheoretischen Basiswerke "Comics & Sequential Art" (1985 ) und | |
"Graphic Storytelling" (1995). Sie deklinierten Eisners Agenda des | |
grafischen Erzählens durch. 2005 starb er. | |
Nun erscheinen auf Deutsch seine Mietshausgeschichten "Ein Vertrag mit | |
Gott". Er schuf sie in den 1970er-Jahren. Es sind Milieustudien des | |
Subalternen, speziell des migrantisch-jüdisch-amerikanischen Milieus im New | |
York der 1920er- bis 1950er-Jahre, mit denen er außerdem erstmals den | |
Begriff Graphic Novel lancieren sollte. | |
Die nun beim Carlsen Verlag aufgelegte Eisner-Bibliothek zeugt von einem | |
gebotenen Verständnis der Klassikerpflege. Der vorliegende erste Band | |
versammelt die drei Alben "Ein Vertrag mit Gott", "Lebenskraft" und | |
"Dropsie Avenue", die, neben der autobiografischen Erzählung "Zum Herzen | |
des Sturms" und seiner Auseinandersetzung mit dem modern-antisemitischen | |
Urmythos, der Protokolle der Weisen von Zion, in "Das Komplott", sein | |
Hauptwerk bilden. Das Vorwort aus Eisners Feder und eine umfangreiche | |
Werkbetrachtung von Andreas C. Knigge geben der Edition überdies einen | |
angemessen bibliophilen Anstrich. | |
Ihrer Struktur nach sind die Geschichten Novellen. In allen vier | |
Erzählungen aus "Ein Vertrag mit Gott", die in der Bronx der 30er-Jahre | |
angesiedelt sind, zwingt eine unerhörte Begebenheit die Figuren in eine | |
Notlage, aus der sie sich nicht mehr befreien können: Ein Rabbi, dessen | |
Tochter gestorben ist, wendet sich traumatisiert vom Glauben ab und | |
zerbricht an der Realität der Immobiliensyndikate; ein arbeitsloser, aber | |
talentierter Straßensänger erweckt in einer abgehalfterten Operndiva die | |
Hoffnungen auf ein gemeinsames Comeback und geht an seinem Alkoholismus | |
zugrunde; ein mürrischer, einsamer Hausmeister wird von einem Kind in den | |
Suizid getrieben; eine Gruppe von Pärchen schafft es während des Urlaubs | |
nicht, die Hemmungen der Bürgerlichkeit abzulegen, und kehrt entsprechend | |
desillusioniert in den Bronx-Alltag zurück. | |
Ein moralisierender Duktus fehlt. Aber stets ist klar, dass das Leid der | |
Figuren stellvertretend im Kleinen abbildet, was sie im Großen zur Ohnmacht | |
zwingt. Eisner erzählt von überflüssigen Menschen, die im Bewusstsein ihrer | |
Austauschbarkeit jeden Anflug der Revolte hilflos gegen sich selbst | |
richten. Die Geschichten sind ambivalent, uneindeutig ist die Schuld für | |
die oftmals grausigen Taten. In der größtenteils wortlosen Geschichte "Der | |
Super" um einen Hausmeister etwa begegnet uns dieser zunächst als | |
grobschlächtiges Ekel, der einen fragenden Mieter aggressiv einschüchtert. | |
Für das Gefühl der Beklemmung braucht Eisner kein Dekor, lediglich ein paar | |
Striche symbolisieren die Wand, an die er den Mieter drängt. Nachdem der | |
Hausmeister später von einem diebischen Mädchen in den Hinterhof gelockt | |
wird, um von den empörten Anwohnern fälschlich als Triebtäter identifiziert | |
zu werden, nimmt die Architektur der Gebäude erdrückende Formen an. Nur | |
wenige Striche skizzieren seine Verzweiflung und die Entscheidung zum | |
Selbstmord - die ganze Universalität des Leids im schwarzweißen, | |
karikaturesken Strich, Kongruenz aus Form und Inhalt. | |
Die Art, wie durch die Verweigerung alles visuell Pompösen und plotimmanent | |
Eindeutigen umso präziser der Leserblick auf die Gewalt des Lebens | |
gerichtet wird, bietet ein perfektes Studium darin, wie einzigartig die | |
Bildsprache des Comics die abgründigsten Themen zu kommunizieren weiß. | |
Will Eisner: "Ein Vertrag mit Gott". Aus dem Englischen von Carl Weissner. | |
Carlsen, Hamburg 2010, 508 Seiten, 36 € | |
20 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Sven Jachmann | |
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