| # taz.de -- Montez über sein Leben und Warhol: White Pussy und Bananen | |
| > Er spielte als Drag Queen in Avantgarde-Filmen der 1960er. Während der | |
| > Berlinale sprach der mittlerweile verstorbene Mario Montez mit der taz. | |
| Bild: Montez in „A Lazy Summer Afternoon with Mario Montez“. | |
| Dies Gespräch entstand im Februar 2012 in Berlin. Mario Montez erhielt | |
| damals am Rande der Berlinale einen Ehren-Teddy für sein Lebenswerk. Zum | |
| Gespräch mitgebracht hatte er den Filmemacher und Schwulenrechtsaktivisten | |
| John Heys, mit dem er 2011 einen Kurzfilm drehte und weitere Projekte | |
| plante. Im Laufe des mehr als anderthalbstündigen Gesprächs wurde deutlich, | |
| dass die Erinnerung an die 1960er Jahre voller Lücken und Widersprüche ist; | |
| mehr als einmal verhaspelte und widersprach sich Montez. | |
| taz: Herr Montez, erinnern Sie sich noch an Details Ihrer Zeit in New York, | |
| zum Beispiel als Sie das erste Mal in der Factory waren? | |
| Mario Montez: Ich erinnere mich noch ziemlich gut daran, als mich Jack | |
| Smith das erste Mal mit zu Warhol mitnahm, der mit mir ein paar | |
| Probeaufnahmen machen wollte. Ich packte zwei Kostüme und eine schwarze | |
| Perücke ein, borgte mir eine gelbe, perlenbesetzte Handtasche und packte | |
| alles in Einkaufstüten. Wir fuhren also zur Factory, und ich schminkte mich | |
| in diesem winzigen Badezimmer, in das gerade mal eine Person passte. | |
| Als ich mit meinem Make-up fertig war, machte Andy erste Aufnahmen von mir | |
| in einem schwarzen Kleid vor einer der silbern gestrichenen Backsteinwände. | |
| Ich tanzte zu „Tequila“ von den Champs vor einem seiner Blumenbilder. | |
| Danach nahm ich meine Katze White Pussy und meine Handtasche und legte mich | |
| auf die Couch. White Pussy lief dann aber davon. Also öffnete ich die | |
| Handtasche, holte eine Banane heraus und begann sie sehr langsam zu | |
| schälen. | |
| War Ihre berühmte Performance mit der Banane aus Andy Warhols Kurzfilm | |
| „Mario Banana“ also gar nicht geplant, sondern ein spontaner Einfall von | |
| Ihnen? | |
| Ja, denn Andy wusste davon nichts. Ich hatte dann mit der Banane einen | |
| regelrechten Trend begonnen. Kurz nachdem „Mario Banana“ fertig war, fing | |
| Warhol mit seinen Bananen-Drucken an und später sah ich die Banane dann auf | |
| dem Album-Cover von Velvet Underground. Der Film wurde ohne mein Wissen | |
| 1964 beim Los Angeles Film Festival gezeigt und gewann dort sogar einen | |
| Preis. Wegen des Titels „Mario Banana“ hatte mich Andy nie gefragt, was | |
| mich aber auch nicht überraschte. | |
| Ab wann nannten Sie sich eigentlich Mario Montez? | |
| In meinem Filmdebüt „Flaming Creatures“ 1963 nannte mich Jack Smith noch | |
| Dolores Flores, in Anlehnung an die Flamenco-Sängerin Lola Flores. Da ich | |
| aber die Schauspielerin Maria Montez, ihre Kostüme und ihren Schmuck | |
| vergötterte, wurde ich dann für immer zu Mario Montez. | |
| In den Filmen von Smith steckt viel Improvisation. Wie spontan verliefen | |
| die Dreharbeiten? | |
| Dinge wie mein Meerjungfrauen-Kostüm in „Normal Love“ hatten wir zusammen | |
| geplant. Trotzdem wusste ich nie genau, was für Pläne Jack genau hatte. Er | |
| hatte zwar immer Notizen, die ihm als Richtlinien für die Filme dienten, | |
| die zeigte er mir aber nie, und ein Drehbuch gab es auch nicht. Alles was | |
| ich wusste, ist, dass ich als Meerjungfrau von einem Wolfsmenschen | |
| attackiert werden würde, aber ich war nicht darauf vorbereitet, irgendwie | |
| darauf zu regieren. Ich wurde dann entführt, mehrmals fallen gelassen und | |
| vollkommen mit Schlamm beschmiert. Es wurde so wild, dass ich am Ende meine | |
| Perücke verlor, was aber nicht zu sehen ist. | |
| Das hört sich nicht unbedingt lustig an. Haben Ihnen die Dreharbeiten denn | |
| Spaß gemacht? | |
| Ja, ich habe das schon genossen. Nur zum Ende des Drehs wurden wir alle | |
| verjagt. Jemand schrie: „Verlasst sofort mein Grundstück!“ Denn wir drehten | |
| ohne Genehmigung auf einem Privatgrundstück in New Jersey. Also rannten wir | |
| alle schnell zum Auto zurück. Ich konnte ja allerdings in meinem Kostüm | |
| nicht sonderlich gut laufen. | |
| Sie sind Anfang der 1960er als eine der ersten Drag Queens bekannt | |
| geworden. Noch Jahre vor den Stonewall-Unruhen haben Sie damit | |
| Pionierarbeit geleistet, denn man konnte damals noch auf offener Straße | |
| verhaftet werden. Hatten Sie Angst – auch dass Ihre Familie herausbekommt, | |
| dass Sie Mario Montez sind? | |
| Damals brauchte man als Performerin auch in den Bars einen besonderen | |
| Ausweis von den Polizeibehörden, um auftreten zu können. Die hießen Cabaret | |
| Cards, sonst hätte man Strafen zahlen müssen oder wäre verhaftet worden, | |
| das stimmt. Ich wurde nie verhaftet, weil ich nie im Kostüm auf die Straße | |
| ging oder in Clubs auftrat. Meine Familie wusste nichts von Mario Montez | |
| und weiß es bis heute nicht. Sie haben mich auch nie danach gefragt. Eines | |
| Tages werden meine Neffen und Nichten vielleicht meinen Namen googeln und | |
| dann erstaunt sagen: „Oh, das ist ja mein Onkel!“ | |
| Heute wirken die Kreise der New Yorker Avantgarde und vor allem der Factory | |
| oft wie eine gesellschaftliche Utopie, in der Geschlechtergrenzen | |
| verschwammen. | |
| Das kann ich nicht bestätigen, weil ich nur zweimal in der Factory war und | |
| ich mich zudem immer von Drogen ferngehalten habe. Ich habe mich in dieser | |
| Szene kaum aufgehalten, weswegen ich auch nie richtig dazugehörte oder | |
| akzeptiert war. Ich war gewissermaßen der Langweiler. Für Drogen brauchte | |
| man zudem Geld, und das hatte ich nicht. Und selbst wenn ich es gehabt | |
| hätte, hätte ich keine gekauft. | |
| Ich habe gelesen, dass Sie beim Dreh von „Chelsea Girls“ irgendwann einfach | |
| das Set verlassen haben. | |
| Ja, denn die anderen haben sich über mich lustig gemacht. Viele der Leute, | |
| die Drogen nahmen, haben mich nicht ernst genommen. Als ich in meinem | |
| glamourösen Kostüm und geschminkt zum Set kam, nahmen die anderen das zum | |
| Anlass, Witze über mich zu machen. Einer von ihnen versuchte mich dann ins | |
| Bett zu ziehen, was ich aber nicht wollte. Dann ging ich einfach. Sie | |
| versuchten mich zurückzuholen, aber ich weigerte mich. | |
| „Chelsea Girls“ wurde damals als Doppelprojektion gezeigt und lief im | |
| Gegensatz zu den Filmen von Jack Smith öffentlich im Kino. Haben Sie den | |
| Film damals gesehen? | |
| Ich fand diese Idee der Doppelprojektion nicht gut, denn man wusste nie, wo | |
| man hingucken soll. Wie man sich auf zwei Filme gleichzeitig konzentrieren | |
| soll, habe ich bis heute nicht verstanden. Aber das fanden sie damals halt | |
| sehr kunstvoll. Ich habe „Chelsea Girls“ einmal gesehen und habe nach | |
| meinen Szenen sofort das Kino verlassen. | |
| Waren Sie je ein Fan von Warhol? | |
| Nicht wirklich. | |
| 1977 haben Sie dann New York für immer verlassen. Über die Gründe gibt es | |
| viele Gerüchte und Spekulationen. | |
| Ein Grund war, dass sich nie jemand bei mir gemeldet hat. Weder Andy Warhol | |
| noch Jack Smith. Bevor ich die Stadt verlassen habe, hatte ich eine schwere | |
| Grippe, und als ich dann wieder gesund war, ging ich zum Times Square und | |
| kaufte mir zwei Zeitungen – eine aus Miami und eine aus Orlando. Ich | |
| guckte, in welcher Stadt es mehr Jobangebote für Büroangestellte gab und in | |
| welcher Stadt die Mieten niedriger waren, und das war dann Orlando. Hinzu | |
| kam, dass es in New York zu der Zeit viele Stromausfälle gab. Im Winter gab | |
| es ständig Schneestürme und die Bevölkerung wuchs rasant. Kurzum, ich | |
| merkte, dass mir die Stadt einfach zu viel wurde. | |
| Durch den Dokumentarfilm „Jack Smith– The Destruction of Atlantis“ von Ma… | |
| Jordan sind Sie 2006 nach langer Pause wieder zurück in die Öffentlichkeit | |
| gekommen. Wie hat man Sie eigentlich ausfindet gemacht? | |
| Ich habe irgendwann begonnen, Mario Montez zu googeln. Ich stieß dann auf | |
| eine Anzeige: „Wo ist Mario Montez? Wer weiß, wo er ist? Bitte melden.“ | |
| Also rief ich Mary Jordan an, und sie kam dann nach Orlando, um meine | |
| Interviewszenen für den Film zu drehen. | |
| Haben Sie denn in Florida die kreative Arbeit in New York vermisst? Sie | |
| sind ja, seit Sie New York verlassen haben, bis zu Mary Jordons Film nicht | |
| mehr als Frau aufgetreten. | |
| Ich habe es ein bisschen vermisst, aber ohne den Film hätte ich mich | |
| wahrscheinlich nie wieder in Mario Montez verwandelt, auch nicht privat. | |
| Ich bin erst 2006 sozusagen wiedererwacht. | |
| Genießen Sie Ihr Comeback nach 30 Jahren? | |
| Oh ja, ich genieße es sehr. | |
| 17 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Toby Ashraf | |
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