# taz.de -- Kolumne Blicke: Jesusfuckenchrist. Hoffnungslos. | |
> In der Ewigstudi-Kneipe starrt jeder für sich in seinen Apple. Dafür | |
> stören die Studis nicht, und man kann sich in Ruhe Geschichten vom Krieg | |
> erzählen lassen. | |
Die Krise dauerte an, und auch ich bekam einfach keinen Wind in die Segel. | |
Regelmäßig nach der Arbeit tauchte ich in einer Ewigstudi-Kneipe unter, um | |
mir drei große Helle einzuverleiben und Players zu paffen, ein bisschen wie | |
der späte Gottfried Benn; nur, dass die Blicke der mich umgebenden Menschen | |
nicht wie in den 1950ern auf den Fernseher oben links in der Ecke gerichtet | |
waren: Jeder starrte schön für sich in seinen Apple. | |
Aber so störten sie wenigstens nicht, die Studierenden - immerhin war Carl | |
bei mir. Ich hatte ihn vor Jahren kennen gelernt, als ich für ein Buch über | |
seinen Freund Jörg recherchierte; und als ich nach der Geburt meines Sohnes | |
das erste Mal wieder ausging, war es zu einer Lesung von ihm. Ich kam zu | |
spät, die Volksbühne war schon total überlaufen. Aber Carl als lässiger, | |
geschäftstüchtiger Typ hatte gesagt: "Wenn so viele das hören wollen, dann | |
mache ich die Show eben um 22 Uhr nochmal!" | |
Nun erzählte er von New York 1968, von Warhol und Vietnam, von Beat und APO | |
"Was schreien sie in Berlin? ,USA-SA-SS'? Die SA sitzt im Kanzlerbungalow. | |
Schon vergessen? Ihr Nullinger. Penetranter geht's doch gar nicht. Und was | |
hier an der Macht ist, dagegen ist die SS ein Karnickelzüchterverein." Das | |
fand ich ein bisschen hart, und Carl meinte, klar, das waren meine | |
Wahnvorstellungen damals - Kiesinger war auch gar nicht in der SA, nur 1933 | |
in die NSDAP eingetreten. "Na dann", sagte ich. "Eben", sagte Carl. | |
"Hör mal, was mir Hank damals schrieb: ,Gestern habe ich nicht nur auf der | |
Rennbahn verloren, sondern ich bin auch noch im Wohnzimmer! Barfuß! In | |
einen Dosenöffner reingetreten! Ich kann nicht mal erfolgreich ein Zimmer | |
durchqueren! Auf Schritt und Tritt sucht das Unglück meine Nähe! Ich bin | |
ein Gezeichneter!' Und jetzt nimm mal dagegen den Vorvater alles | |
studentischen Protestierens in diesem wunderbaren Land: ,Der städtische | |
Guerillero ist der Organisator schlechthinniger Irregualarität als | |
Destruktion des Systems der repressiven Institutionen.' Jesusfuckenchrist. | |
Hoffnungslos." | |
## Die Drogen waren 68 besser | |
Ich konnte nicht widersprechen und nichts ergänzen. Also schwiegen wir und | |
begannen die Stapel der gerade frisch aufgelegten Verlagsvorschauen für | |
2012 durchzublättern. Wie sie einen alle anstarrten, diese Schriftsteller! | |
Forsch, romantisch, auf der Höhe der Zeit! | |
Carl hatte seine dicke Brille abgenommen und hing Verwünschungen murmelnd | |
über den bunten Seiten, über Ausdrücken wie "Die perfekte Gratwanderung | |
zwischen Komödie und Drama", "Ein Buch für Leser und Liebhaber | |
charmant-schräger Geschichten, bei denen Lachen und Weinen ganz nah | |
beieinanderliegen", "In dem, was ich sage, enthalten zu sein - dieses | |
Bedürfnis habe ich. Das ist meine Utopie". | |
"Da haben wir 68 in New York aber bessere Drogen gehabt", sagte Carl. Und | |
musste los. Sein Blick zu mir war tröstlich: "Eisern durchhalten!" "Grüß | |
Hank", sagte ich. "Der ist tot", sagte Carl. "Aber mach dir nichts draus - | |
ich bin ja auch nicht da. Nur mein neues Buch." Carl Weissner lächelte. Die | |
Studis hatten von alledem nichts mitbekommen. | |
6 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Ambros Waibel | |
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