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# taz.de -- Historiker über Kolonialverbrechen: „Umbenennung ist richtiger S…
> Für den Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer ist die Sache eindeutig: Ein
> ehrendes Andenken an „Kolonialhelden“ ist nicht angemessen, Reparationen
> schon.
Bild: Problematischer Patron: die inzwischen geschlossene Lettow-Vorbeck-Kasern…
taz: Herr Zimmerer, war es gut, die Hannoversche Lettow-Vorbeck-Allee in
Namibia-Allee umzubenennen?
Jürgen Zimmerer: Es ist richtig, Straßen, die an den deutschen
Kolonialismus erinnern, umzubenennen.
Wäre es nicht wichtig, über die Namen das Gedächtnis zu erhalten?
Natürlich. Aber wenn man die Namen beibehält, sollte man sie kommentieren.
Bei so einschlägigen Namen wie Lettow-Vorbeck, Dominik oder Wissmann ist
die Umbenennung der richtige Schritt – zumal sich zunehmend Deutsche,
insbesondere solche mit Migrationshintergrund im weitesten Sinne beleidigt
und verletzt fühlen durch diese Erinnerung an koloniale Akteure.
Wie steht es mit Denkmälern? Bei der Umwidmung der ehemaligen
Lettow-Vorbeck-Kaserne in Hamburg-Wandsbek bleiben die Reliefs mit den
Köpfen von Kolonialoffizieren wie Trotha und Lettow-Vorbeck erhalten.
Hier besteht das Problem, dass die Reliefs als Teil der Kaserne unter
Denkmalschutz stehen. Dass man unkommentiert in einem Von-Trotha-Haus
wohnen kann als Student der Bundeswehr-Universität, wie es im Moment noch
der Fall ist, ist hoch problematisch. Von Trotha war der für den Genozid
gegen die Herero und Nama verantwortliche General, von dem die ehemalige
Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) sagte, er würde
heute wegen Kriegsverbrechen an den Internationalen Strafgerichtshof in Den
Haag überstellt werden.
Von Lettow-Vorbeck hängt da ja auch ein Terrakottarelief. Können Sie
verstehen, dass dessen Nachfahren wegen der Umbenennung der Straße in
Hannover geklagt haben?
Ich kann verstehen, dass es für Nachkommen dieser kolonialen Akteure
schwierig ist, sich der historischen Realität zu stellen. Aber die Befunde
sind eindeutig. Lettow-Vorbeck war ja beispielsweise auch mit auf dem
Feldzug von Trothas in Südwestafrika.
Wofür steht Lettow-Vorbeck?
Berühmt geworden ist er als der einzige deutsche General, der im Ersten
Weltkrieg nicht besiegt wurde, indem er in Deutsch-Ostafrika und den
umliegenden Gebieten seinen äußerst verlustreichen, militärisch sinnlosen
Krieg geführt hat – gegen den Befehl seines Vorgesetzten, des Gouverneurs
Heinrich Schnee, der Lettow-Vorbeck wegen Hochverrats anklagen wollte.
Lettow-Vorbeck hat seine Popularität selbst gefördert, etwa indem er das
Jugendbuch „Heia Safari“ über seinen Feldzug schrieb.
Er hat sich als ritterlicher Feldherr stilisiert, der auch von seinen
afrikanischen Hilfstruppen, den Askari, verehrt wurde, die ihm treu in den
Busch folgten. Nach der neueren Forschung muss dieses Bild gründlich
hinterfragt werden. Sein Spitzname unter den Askari war „Der Mann, der
unser Leichentuch schneidert“.
Immerhin sind 2.000 Mann bis zum Schluss bei ihm geblieben.
Sie bleiben unter anderem bei ihm, weil erstens drakonische Strafen dem
drohten, der weg wollte und es nicht geschafft hat; zweitens waren Askari
landesfremde Söldner, die in Ostafrika eingesetzt keinen Rückhalt hatten in
der Bevölkerung.
Hat sich der deutsche Kolonialismus von dem der anderen Mächte
grundsätzlich unterschieden?
In Teilen der Gewaltexzesse kaum. Die eine Million Tote, die der Feldzug in
Ostafrika wohl gekostet hat, geht ja nicht allein auf das Konto
Lettow-Vorbecks. Er hatte einen Gegner, der ähnlich brutal zu Werke ging.
Die Unterschiede liegen auf anderem Gebiet.
Wo?
Deutschland kommt als Kolonialmacht zu spät und mit einem
Minderwertigkeitsgefühl gegenüber Großbritannien und will es sehr schnell
sehr viel besser machen als die etablierten Kolonialmächte. Das führt zu
Planungsexzessen, die, wie in Südwestafrika, sogar in Genozid münden. Auch
der Maji-Maji-Krieg, der große Widerstand in Ostafrika, wird ausgelöst
durch den Versuch, dieses Land möglichst schnell für Deutsche
wirtschaftlich lukrativ zu machen.
Wie wichtig war der Kolonialismus für die deutsche Politik?
Ökonomisch war er ein Verlustgeschäft. Keine der Kolonien mit Ausnahme
Togos warf Gewinn ab. Die Bedeutung lag vor allem im Symbolischen. Man
wollte auf gleicher Ebene sein wie Großbritannien. Auf Widerstand reagierte
man so brutal, weil er den Anspruch, der beste Kolonisator der Welt zu
sein, unterlief. Deshalb waren die Deutschen so verletzt, als im
Friedensvertrag von Versailles nicht nur ihre Kriegsschuld festgehalten
wurde, sondern auch ihre Kolonialunfähigkeit. Der „treue Askari“ wird
erfunden, um zu zeigen, dass nicht stimmen kann, was in Versailles gesagt
wurde.
Man hat den Eindruck, dass der deutsche Kolonialismus verstärkt zum Thema
geworden ist. Ist das richtig?
Es gab ein Auseinandersetzung mit dem Kolonialismus Ende der 60er-Jahre.
Seit zehn, zwölf Jahren steigt das Interesse wieder. Zum einen durch den
hundertsten Jahrestag des Genozids an den Herero und Nama mit
entsprechenden Folgewirkungen auf politischem Gebiet: Schädelrückführungen,
Reparationsforderungen. Zum anderen dadurch, dass der Kolonialismus als
Vorgeschichte der Globalisierung wahrgenommen wird. Und drittens verwandelt
sich Deutschland in eine heterogene Gesellschaft, in der viele Menschen
zugezogen sind, die zwar mit Kolonialismus zu tun hatten, aber auf der
Seite der Kolonisierten.
Sind Reparationsforderungen nach 100 Jahren noch sinnvoll?
Gewisse Verbrechen sollten nicht verjähren, sondern zumindest eine
moralische Pflicht begründen, das angerichtete Leid zu lindern. Zumal, wenn
sich die Auswirkungen bis heute zeigen. So wurden etwa in Namibia während
des Genozids alle Herero und Nama enteignet und leiden immer noch unter
dieser direkten Folge des Krieges.
11 Sep 2013
## AUTOREN
Gernot Knoedler
## TAGS
Paul von Lettow-Vorbeck
Namibia
Kolonialismus
Hannover
Deutscher Kolonialismus
Umbenennung
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