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# taz.de -- Großdemonstration in Warschau: Alarmglocken gegen Sozialabbau
> Tausende Polen fordern Donald Tusks Rücktritt, höhere Löhne frühere
> Rente. Bei einem Sternmarsch protestierten sie gegen die aktuelle
> Sozialpolitik.
Bild: Blick auf die Demonstration in Warschau.
WARSCHAU taz | Über 100.000 Polen nahmen am Samstag in Warschau an einem
Sternmarsch gegen die Sozialpolitik der liberal-konservativen Regierung
teil. Aus ganz Polen reisten Krankenschwestern, Lehrer, Polizisten, Bahn-
und Post-Bedienstete sowie Kohle-Bergarbeiter an, um gegen die
Heraufsetzung des Rentenalters, die neuen flexiblen Arbeitszeiten und die
Rücknahme der Rentenreform zu protestieren. „Weg mit dieser Regierung!“
skandierten die einen, während die anderen riefen: „Brot! Wir fordern
Brot!“.
Für die drei größten Gewerkschaften im Land war der insgesamt viertägige
Protest in Polens Hauptstadt ein großer Erfolg, denn von der einst 10
Millionen Mitglieder zählenden Solidarnosc ist nun noch ein kleines
Häufchen Aktiver übrig geblieben. Insgesamt sind nur noch rund 5 Prozent
aller Arbeitnehmer in Polen gewerkschaftlich organisiert.
Das hat nicht nur mit der Struktur des Arbeitsmarktes zu tun, sondern auch
mit den häufig politischen Forderungen der Gewerkschaftsführer, die an den
konkreten Interessen der Arbeitnehmer vorbeigehen. Die Gewerkschaften
Polens sind heute zersplittert und schwach.
## Schwache, zersplitterte Gewerkschaften
„Wir fordern Tusks Rücktritt“, rief Marek Lewandowski, Sprecher der einst
mächtigen Gewerkschaft Solidarnosc, den Versammelten zu. Dies sei „die
einzige Möglichkeit, die Sozialpolitik in Polen zu ändern“. Andererseits
beklagte er, dass die Regierung nicht zum Dialog bereit sei und es an
gegenseitigem Vertrauen fehle. Auch Jan Guz, der Chef der Gewerkschaft
OPZZ, hieb in diese Kerbe. Die Kundgebung sei das „letzte Alarmglöckchen“
für die Regierung.
Solidarnosc-Chef Piotr Duda empörte sich lautstark: „Wir haben genug von
der Verachtung der Machthabenden für die Welt der Arbeiter!“ und enthüllte
ein Spott-Denkmal auf Donald Tusk, das ihn in Lenin-Pose mit emporgerecktem
Arm zeigte, einem gehäkelten Peru-Mützchen, einem Geschenk, das Tusk auf
einer Auslandsvisite erhielt, und dem unvermeidlichen Fußball unter dem
Arm.
Donald Tusk amüsierte sich über das gold glänzende Denkmal, antworte aber
lakonisch, dass er nicht wisse, mit wen er das Gespräch aufnehmen solle,
wenn die Bedingung für den Dialog sein eigener und der der Rücktritt seiner
Regierung sein solle.
## Mindestlohn von 450 Euro gefordert
Konkret fordern die Gewerkschaften ein gesetzliches Renteneintrittsalter
von 65 statt 67 Jahren, die Abschaffung der flexiblen Arbeitszeit, die es
Arbeitgebern erlaubt, bei einer Auftragsflaute die Belegschaft auf
Kurzarbeit zu setzen und – wenn die Maschinen wieder laufen – so lange
unbezahlte Überstunden einzufordern, bis das auflaufende Zeitpolster
aufgebraucht ist. Zudem fordern die Gewerkschaften die Heraufsetzung des
Mindestlohnes auf umgerechnet rund 450 Euro. In diesem Jahr beträgt er rund
400 Euro, im Jahr 2014 soll er auf 420 Euro steigen.
Warschau, mit über 1,7 Millionen Einwohnern die größte Stadt Polens, nahm
die Demonstranten freundlich auf – zumal es an den drei vorherigen
Protesttagen fast ununterbrochen geregnet hatte. So schlossen sich etliche
Warschauer am Sonntag sogar dem Sternmarsch zum Schlossplatz an, vorbei am
Sejm, dem polnischen Abgeordnetenhaus, und dem Präsidentenpalast in der
Krakauer Vorstadtstraße. Auf der Abschlusskundgebung rief hier Piotr Duda
zu einer Unterschriftenaktion mit dem Ziel auf, Polens Parlament
aufzulösen.
Ein unrealistisches Ziel, denn auch wenn einige Abgeordnete die
Regierungspartei Bürgerplattform verlassen haben, so hat doch niemand
Interesse daran, zwei Jahre vor den nächsten Parlamentswahlen 2015 sein
Mandat niederzulegen. Nicht einmal Polens Staatspräsent Bronislaw
Komorowski, der sich – mit einem Monatsgehalt von umgerechnet rund 5.000
Euro – ebenfalls zu den Geringverdienern in Europa rechnet, würde den Sejm
auflösen.
15 Sep 2013
## AUTOREN
Gabriele Lesser
## TAGS
Donald Tusk
Solidarnosc
Gewerkschaft
Polen
Warschau
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Polen
Europa
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