| # taz.de -- Architektur in Warschau: Stadt ohne Plan | |
| > In Warschau wuchern Vorstädte und es entstehen immer neue Hochhäuser. Man | |
| > muss kein Architekt sein um zu erkennen: Eine übergeordnete Planung | |
| > fehlt. | |
| Bild: Warschau: hier baut jeder, wie er es möchte. | |
| WARSCHAU taz | Wenn man vom Satelliten auf den blauen Planeten | |
| herunterblickt und nahe genug heranzoomt, kann man es sehen: Am Stadtrand | |
| von Warschau herrscht das Chaos. Dort kaufen Investoren den Bauern ihre | |
| Felder ab, um darauf Wohnsiedlungen zu errichten. Dabei schauen sie weder | |
| nach links noch nach rechts, wo andere Bauherren genauso ignorant agieren: | |
| An den Grundstücksgrenzen, die früher das Rübenfeld vom Weizen trennten, | |
| hört auch das planerische Denken auf. | |
| Man muss kein Architekt sein, um die alten Flurgrenzen auf der | |
| Satellitenaufnahme von Vorstadtbauprojekten zu erkennen, die Tomasz Fudala | |
| im Warschauer Stadtmuseum hat aufhängen lassen. Fudala ist Kurator der | |
| Ausstellungsreihe „Warszawa w budowie“, Warschau im Bau. Ihre in diesem | |
| Jahr stattfindende fünfte Ausgabe, vor zwei Wochen eröffnet, trägt den | |
| Titel „Beruf: Architekt“. | |
| Beim Rundgang durch die Schau wird schnell klar, dass Fudala den | |
| Architekten nicht verkürzt als jemanden denkt, der planlos Wohnsiedlungen | |
| und Solitäre in die Landschaft setzt. Der Architekt, den der junge Kurator | |
| mit den schwarzen Sneakers und der New-Wave-Frisur im Sinn hat, ist eine | |
| Figur, die Stadt als Planungszusammenhang und gesellschaftlichen Raum | |
| begreift. | |
| Die Realität, die Fudala mit seiner Schau kritisch ins Auge fasst, sieht | |
| aber anders aus. In der Warschauer Agglomeration leben 3,7 Millionen | |
| Menschen. An ihrer Peripherie ist ein Flickenteppich von Wohnvierteln | |
| entstanden, auf dem sich außer den Bewohnern wohl niemand zurechtfindet. | |
| Einen übergeordneten Bebauungsplan für die Erschließung der Häuser, der den | |
| räumlichen Zusammenhang der einzelnen Bauprojekte im Blick hat, gibt es in | |
| den Warschauer Vorstädten nicht. | |
| ## Repräsentative Gebäude | |
| Dass „Beruf: Architekt“ im Stadtmuseum installiert ist, das derzeit | |
| komplett umstrukturiert wird, ist schon ein Statement. Unter der Ägide des | |
| Stadtpräsidenten von Warschau, Stefan Starzynski, wurden 1936 die elf | |
| benachbarten Häuser der Nordseite des Rynek, des alten Marktplatzes, | |
| miteinander verbunden, um das Museum aufzunehmen. | |
| Starzynski, der von 1934 bis 1939 amtierte, begriff die Architektur als | |
| wichtigstes Medium der Zweiten Republik, erzählt Tomasz Fudala. Starzynski | |
| wusste um die Bedeutung repräsentativer Häuser und Plätze für den zunehmend | |
| autoritär geführten Staat, und er versuchte, das alte Zentrum der Stadt neu | |
| zu definieren. | |
| Der Stadtpräsident ließ die wild wuchernden Bretterbuden des Fischmarkts | |
| auf dem Rynek abreißen und die alte Stadtmauer freilegen. Er sorgte dafür, | |
| dass russische Bauten und Dekorationen aus der Zeit der polnischen Teilung | |
| aus dem Stadtbild verschwanden und wichtige historische Gebäude instand | |
| gesetzt, renoviert und fotografiert wurden. Die alten | |
| Schwarz-Weiß-Aufnahmen kann man im ersten Raum von „Beruf: Architekt“ | |
| bewundern. Starzynski verlieh der Stadt ein klares Bild, das ihre | |
| Geschichte, aber auch ihre Zukunft im Blick hatte. Unter Starzynski | |
| entstand auch der moderne Warschauer Flughafen. | |
| Stefan Starzynski wurde nach der Besetzung Warschaus durch die Wehrmacht | |
| von der Gestapo verhaftet und 1943 im KZ Dachau ermordet. Ein Jahr später | |
| schossen deutsche Panzer die Warschauer Innenstadt als Vergeltungsmaßnahme | |
| für den Aufstand kaputt. Viele Häuser wurden gesprengt. | |
| ## Neubauten nach dem Krieg wurden Weltkulturerbe | |
| Nach dem Krieg wurde beinahe das gesamte Gebiet des Ghettos, das sich über | |
| die halbe Innenstadt erstreckt hatte, planiert und nach und nach mit | |
| Wohnblöcken bebaut. Die Altstadt dagegen wurde in den Fünfzigern | |
| wiederrichtet, und mit ihr auch das Ensemble von Häusern des Stadtmuseums. | |
| Die Rekonstruktion zählt seit 1980 zum Weltkulturerbe. | |
| Der zweite Raum von „Beruf: Architekt“ behandelt die große Ausstellung, die | |
| Starzynski 1938 von seiner 400 Experten zählenden Planungsabteilung ins | |
| Werk setzen ließ. Schautafeln vermittelten den Bürgern Starzynskis | |
| Leitbild. Er sah die Stadt nicht nur als Zentrale des Landes, sondern als | |
| zukünftiges Finanzzentrum Europas. | |
| „Zentral“ war auch eines der Lieblingsadjektive der sozialistischen | |
| Nachkriegsgesellschaft. Noch heute erfreut es sich etwa in der Namensgebung | |
| des gleichermaßen hippen wie zentral gelegenen „Zentralbuffets“ einer wenn | |
| auch ironisch gemeinten Beliebtheit. Das Restaurant befindet sich als | |
| Zwischennutzung in einer vor Kurzem noch unbelebten Straße der Innenstadt. | |
| Nebenan residiert ein Musikclub mit langer Tradition, der hier Unterschlupf | |
| gefunden hat. So lange, bis der Investor das Haus renovieren oder abreißen | |
| lässt. | |
| Um Platz für neue Großprojekte zu schaffen, müssen im Stadtzentrum | |
| inzwischen auch schon die ersten Bauten aus den postsozialistischen | |
| Neunzigern weichen. In der Innenstadt werden ständig neue Hochhäuser | |
| gebaut. In den vergangenen Jahren sind unter anderem Türme von Daniel | |
| Libeskind und Helmut Jahn entstanden. Letzterer beherbergt Apartments und | |
| unter dem Dach vier Superlofts. | |
| Die neuen Wolkenkratzer machen dem 231 Meter hohen Kulturpalast Konkurrenz, | |
| der wie eine Kreuzung aus moskowitischem Zuckerbäckerturm und einem in die | |
| Breite gegangenen Empire State Building wirkt. Er ist Anfang der 1950er | |
| entstanden und dominiert noch heute das Bild des Stadtzentrums. | |
| ## Urbanistische Initiativen bleiben symbolisch | |
| Der Immobilienbranche gilt Warschau inzwischen als globale Stadt, deren | |
| Entwicklung sich von der polnischen entkoppelt hat. Die Städte werden | |
| zunehmend zu Spekulationsobjekten für Anleger, die angesichts niedriger | |
| Zinsen ihr Kapital lieber in Immobilien investieren, was wiederum die | |
| Prekarisierung vieler Wissens- und Kulturarbeiter beschleunigt, die einen | |
| nicht unwesentlichen Teil zur Attraktivität dieser Städte beitragen. | |
| Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es auch in Warschau die | |
| Kulturszene ist, die zunehmend die Frage nach gesellschaftlicher Planung | |
| stellt. Noch gehen die meisten urbanistischen Initiativen von Künstlern und | |
| Architekten aus, verbleiben aber fürs Erste im Symbolischen. Tomasz Fudala | |
| hat ihnen einen eigenen Raum gewidmet. | |
| Im Rahmen der Ausstellung wurde vor knapp zwei Wochen aber auch diskutiert, | |
| ob man in der Stadt eine Internationale Bauausstellung nach deutschem | |
| Beispiel organisieren sollte, um die verschiedenen Akteure in der Stadt | |
| besser zusammenzubringen. Eine IBA könne die Mobilisierung der Bürger, aber | |
| auch sämtlicher wilder professioneller Intelligenzen provozieren, meint der | |
| Architekturtheoretiker Markus Grob, der von 2002 bis 2010 Mitglied im | |
| Kuratorium der IBA in Sachsen-Anhalt war. | |
| Die Kokuratorin des Projekts, Stefanie Peter, hat Grob als Teil des | |
| umfangreichen Veranstaltungsprogramms zur Ausstellung nach Warschau geholt, | |
| die ihr diskursives Potenzial erst hier so recht entfaltet. Wer Grob bei | |
| seinem unterhaltsamen Vortrag zuhört, der gut zwei Stunden dauert, erfährt, | |
| was die Internationalen Bauausstellungen in Deutschland zu leisten imstande | |
| waren, und was nicht. Und man geht mit dem Gefühl nach Haus, dass | |
| Veränderung jederzeit möglich ist. Man muss sie nur organisieren. | |
| ## Behutsamer Wandel | |
| Warschau hat in jüngerer Zeit immerhin das östliche Weichselufer mit einem | |
| Uferweg ausgestattet, das sich nun von einem blinden Fleck im Stadtgefüge | |
| zum viel besuchten Naherholungsgebiet gewandelt hat. Nach intensiven | |
| Demonstrationen hat die Stadt inzwischen auch angefangen, in sozialen | |
| Wohnungsbau zu investieren. Mehr als ein paar Hundert Wohnungen sind bis | |
| jetzt aber nicht entstanden. | |
| Im Stadtmuseum kann man sehen, wie vor der späten, autoritären Phase der | |
| Zweiten Republik auch sozialistische und kommunistische Architekten ihre | |
| Träume von zentraler Planung für die Warschauer Wohnungsbaugesellschaft | |
| ausleben durften. | |
| Die damals tatsächlich gebauten Wohnblöcke wurden von den Arbeitern, die in | |
| ihnen leben sollten, nicht gut angenommen: Zu minimalistisch war das | |
| Design, zu beängstigend die Aussicht, jeden Monat eine Gasrechnung im | |
| Briefkasten zu haben. Dafür erfreuten sich die modernistischen Häuser bei | |
| der Intelligenzija einiger Beliebtheit. | |
| Nie gebaut wurde die monumentale Vision von einer ganzen Straße voller | |
| Wohnblocks aus Starzynskis Ära, die manchen Warschauern noch heute als | |
| verpasste Chance gilt. Kurator Fudala dagegen erscheint sie mit Blick auf | |
| das in seiner Ausstellung präsentierte Modell als totalitäre Horrorvision: | |
| Die Abwesenheit von Planung ist ein Problem. Planung, die neue Menschen | |
| verlangt, aber auch. | |
| 1 Nov 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Gutmair | |
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