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# taz.de -- Polens Regierungspartei in der Krise: Tusks Bastion bröckelt
> Der Bürgerplattform des Premiers kommen drei prominente Mitglieder
> abhanden. Damit schrumpft die Parlamentsmehrheit auf zwei Mandate.
Bild: Sah schon mal besser aus: Polens Regierungschef Donald Tusk.
WARSCHAU taz | Bislang war es eine Erfolgsgeschichte sondergleichen: Polens
Wirtschaft wuchs und gedieh trotz weltweiter Finanz- und Wirtschaftskrise.
Donald Tusk, der polnische Premier, führte 2011 sein liberal-konservative
Partei, die Bürgerplattform PO, zum zweiten Mal zum Wahlsieg. Das hatte es
in der Geschichte der jungen Demokratie Polens noch nicht gegeben.
Doch seit Beginn der zweiten Amtszeit scheint Polens Regierungsmannschaft
allen Elan verloren zu haben. Parteiaustritte können nun sogar zu
vorgezogenen Wahlen in Polen führen.
Jacek Zalek genoss den Augenblick sichtlich. Minutenlang wartete er, bis es
im Saal mucksmäuschenstill war. Dann sagte er: „Meine Damen und Herren, ich
trete hiermit aus der Bürgerplattform aus. Bitte stellen Sie Ihre Fragen!“
Zalek ist der dritte der sogenannten „drei Musketiere“, einer Gruppe von
sehr wertkonservativen Abgeordneten, die inzwischen der Regierungspartei PO
den Rücken gekehrt haben. In der Vergangenheit hatten sie immer wieder die
Parteidisziplin gebrochen und gegen Gesetzesprojekte der eigenen Partei im
Sejm, dem Polnischen Abgeordnetenhaus, gestimmt.
Als erstes verkündete John Godson Ende August seinen Austritt, ein
schwarzer Abgeordneter mit polnischer Staatsbürgerschaft, der in der
Gesellschaft eine großen Vertrauensvorschuss genoss und überaus beliebt
war. Doch mit den Zielen der PO schien er sich kaum identifizieren zu
können. Nachdem er zum wiederholten Mal die Parteidisziplin im Sejm
verletzt und mit der rechten Opposition gestimmt hatte, sagte er: „Ich bin
vor allem meinem Gewissen verpflichtet. Und mit dem Gewissen diskutiert man
nicht. Da gibt es keine Kompromisse.“ Schließlich drohte der
Parteiausschluss. Er kam ihm wohl nur um wenige Tage zuvor.
## Rechtsaussen mit Narrenfreiheit
Noch dramatischer war die Situation im Fall von Jaroslaw Gowin, der sogar
Justizminister in der Tusk-Regierung war. Als Rechtsaußen in der Partei
genoss er allerdings von vornherein eine gewisse Narrenfreiheit. Er sollte
die Bürgerplattform auch für rechtsnational eingestellte Polen akzeptabel
machen, die ihre Wählerstimme auch der rechten Oppositionspartei Recht und
Gerechtigkeit PiS geben konnten.
Doch das große Reformwerk Gowins stieß in der Bevölkerung auf nur mäßige
Begeisterung. Der studierte Philosoph aus Krakau war der Meinung, dass
Arbeitssuchende viel leichter einen Job finden könnten, wenn sie keine
offizielle Berufsqualifizierung mehr nachweisen müssten. Also schaffte
Gowin bisher anerkannte Ausbildungen und Berufsabschlüsse für
Immobilienmakler, Gerichtsvollzieher, Taxifahrer, Bibliothekare,
Sporttrainer, wissenschaftliche Dokumentare und etliche Handwerksberufe ab.
Anders als von Gowin erwartet, bieten nun aber die Berufsgenossenschaften
private Ausbildungen und Prüfungen an, die genauso anerkannt sein sollen
wie die bisher staatlichen Abschlüsse.
## Kein Tränen
Nach dieser nur mühsam verdeckten Reform-Pleite trat Gowin auf dem
PO-Parteitag gegen Donald Tuska an, verlor die Wahlen zum
Parteivorsitzenden mit 20 gegen 80 Prozent der Stimmen, gab aber die
innerparteiliche Opposition nicht auf - bis auch ihm der Rauswurf drohte.
Gowin verließ die PO und will nun eine neue Partei gründen, denn die rechte
Opposition rund um Jaroslaw Kaczynski erkläre dem bisher umgarnten Gowin,
dass „leider“ in der PiS kein Platz für ihn sei.
Den Parteiaustritt von Jacek Zalek kommentierte Adam Szejnfeld von der PO
mit einem erleichterten „Wir weinen ihm nicht nach!¡. Die Stimmenmehrheit
der Regierungskoalition – die PO regiert mit der gemäßígten Bauernpartei
PSL – läge zwar bei nur mehr zwei Stimmen, aber dies sei ein rein
rechnerisches Modell. Vier „Abgeordnete der „Dialog-Initiative“
unterstützen uns regelmäßig sowie der Abgeordnete der Deutschen
Minderheit“, so Szejnfeld. „Wir machen uns bisher keine großen Sorgen.“
Politische Beobachter gehen aber davon aus, dass möglicherweise weitere
rechte Abgeordnete die PO verlassen könnten. Aktuellen Umfragen zufolge
würde die Partei die Wahlen mit gerade mal 25 Prozent Zustimmung kein
drittes Mal in Folge gewinnen.
13 Sep 2013
## AUTOREN
Gabriele Lesser
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