# taz.de -- Afrikabild im Angesicht des Terrors: Plump und arrogant | |
> Die Berichterstattung über Westgate ist von Stereotypen und Herablassung | |
> geprägt. Die Existenz der kenianischen Mittelschicht wird komplett | |
> ausgeblendet. | |
Bild: Man muss sich nur die Bilder derer anschauen, die gerettet wurden: Die me… | |
BERLIN taz | Ein großer Teil der Berichterstattung über die Terrorattacke | |
in Nairobi ist verräterisch – übrigens nicht nur in deutschen Medien. Alte | |
Stereotype schleichen sich ein, die wieder einmal ein Bild von Afrika | |
zeichnen, in dem es nur entweder darbende Slumbewohner oder prassende | |
Eliten gibt. | |
Dieses Bild ist rückwärtsgewandt, es leugnet die Existenz einer breiter | |
werdenden Mittelschicht. Und ist im Kern – wenn auch vermutlich ungewollt – | |
herablassend und arrogant. | |
Wahr ist: „Westgate“ war kein Ort der Armenspeisung. Aber die | |
Standardfomulierung „Shopping-Paradies für reiche Kenianer“ ist schlicht | |
falsch. Der Ort des Terrorangriffs war genau deshalb so perfide klug | |
gewählt, weil das riesige Einkaufszentrum mitten in Westlands, einem | |
Stadtteil von Nairobi mit besonders hoher Bevölkerungsdichte, auch für | |
viele Leute eine Anlaufstelle war, die nur einen schnellen Kaffee trinken, | |
ein paar Lebensmittel kaufen oder mal eben Geld abheben wollten. Das waren | |
im Regelfall keine Multimillionäre mit Konten in der Schweiz. | |
Dieser Anschlag sollte die ganze kenianische Gesellschaft treffen – und so | |
ist er auch verstanden worden. Anders wäre die hohe Zahl der Blutspender | |
nicht zu erklären und auch nicht die spontanen Geldsammlungen, mit denen | |
Verletzten geholfen werden soll, ihre Krankenhausrechnungen zu begleichen. | |
## Weder Prada noch Gucci | |
Man muss sich nur die Bilder derer anschauen, die aus dem Gebäude | |
flüchteten: Die meisten trugen weder Prada noch Gucci, sondern abgetragene | |
Sakkos, T-Shirts und Jeans. Und das unbeholfene Englisch, das viele | |
sprachen, die von ihren schrecklichen Erlebnissen erzählten, zeugte auch | |
nicht davon, dass sich im „Westgate“ nur die Bildungselite versammelt | |
hatte. | |
Ist ein solcher Hinweis angesichts des grauenvollen Blutbads nicht | |
unwichtig? Ist es nicht egal, wer da im Einzelnen ums Leben kam? Nein, im | |
Gegenteil. Es gibt in Kenia eine korrupte, reiche Schicht, denen der Rest | |
des Landes vollständig gleichgültig ist. Manche ihrer Mitglieder sitzen in | |
hohen Posten in Regierung und Verwaltung. | |
Viel Geld, das für die öffentliche Infrastruktur gedacht ist, fließt in | |
private Taschen – was einer der Gründe für die notorisch schlechte | |
Ausstattung von Institutionen wie Polizei und Feuerwehr ist. Und vermutlich | |
auch dafür verantwortlich, dass die Sicherheitskräfte beschämend spät auf | |
den Terrorangriff reagierten und es trotz konkreter Warnungen vor | |
Gewaltaktionen offenkundig keinerlei Notfallplan gegeben hat. | |
Das ist ein Skandal. Eine genaue Untersuchung ist dringend geboten, und | |
vielleicht lässt sich bei der Gelegenheit auch gleich klären, wer | |
eigentlich schuld daran war, dass es kürzlich bei einem Brand im Flughafen | |
von Nairobi kein Löschwasser gab. Es wäre ein wunderbar ermutigendes | |
Zeichen, wenn die Verantwortlichen vor Gericht gestellt würden. | |
## Weniger geteilt als Deutschland | |
Aber das Bild von „Westgate“ als einem Paradies für Reiche wird dadurch | |
nicht weniger falsch – und politisch nicht weniger angreifbar. Es | |
suggeriert eine scharfe Teilung der kenianischen Gesellschaft genau dort, | |
wo sie eben nicht geteilt ist. Vielleicht sogar weniger geteilt als die | |
Gesellschaft in Deutschland – was mit das Beste ist, was sich über Kenia | |
sagen läßt. | |
Nach der Unabhängigkeit gab es in dem ostafrikanischen Land viele Jahre | |
lang eine Preisbindung für beliebte Getränke wie Cola und Limonade, und mit | |
dieser Preisbindung war eine politische Absicht verbunden: Dem Teil der | |
Bevölkerung, dem vorher der Zutritt zu kolonialen Elitelokalen verwehrt | |
war, die Schwellenangst vor „gehobenen Etablissements“ zu nehmen. Alle | |
sollten überall Platz nehmen dürfen – eine sehr demokratische Vorstellung. | |
Die Preisbindung gibt es längst nicht mehr, leider. Aber noch immer ist die | |
Schwellenangst vor Orten, die man sich nicht täglich leisten kann, in Kenia | |
geringer als in vielen anderen Ländern. Wer „Westgate“ jetzt als Enklave | |
der Oberschicht beschreibt, leugnet die Vergangenheit eines Landes mit | |
komplizierter Geschichte – und auch die neuere Entwicklung einer | |
Gesellschaft, die inzwischen viel differenzierter ist als als plumpe | |
Afrikabild zahlreicher westlicher Medien. | |
Vermutlich haben viele der Opfer sowohl Verwandte im Slum als auch im | |
Villenviertel. So ist das in Ländern, die sich im Umbruch befinden. Aber | |
vermutlich wird sich dafür kaum jemand interessieren, wenn die Ereignisse | |
erst einmal aus den Schlagzeilen verschwunden sind. Also in zwei Tagen oder | |
so. | |
24 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Bettina Gaus | |
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