| # taz.de -- Erneuerbare Ressourcen: Energie aus dem Meer | |
| > Das Energiepotenzial der Meere reicht aus, um den Strombedarf der | |
| > Weltbevölkerung zu decken. Doch von einer effektiven Nutzung sind wir | |
| > weit entfernt. | |
| Bild: Das erste kommerziell genutzte Wellenkraftwerk bei Mutriku in Nordspanien. | |
| Vor den Britischen Inseln liegt Europas größtes Testgebiet für | |
| Meeresenergie. Die raue See und der starke Wind bieten ideale Bedingungen | |
| für die maritime Stromerzeugung. Wellen peitschen mit bis zu 15 Meter hoch | |
| an die Steilküste, und die Meeresströmung erreicht Spitzengeschwindigkeiten | |
| von 5 Metern pro Sekunde. „Die Energie, die wir durch Strömungen und die | |
| Wellen erzeugen können, ist vom Wetter unabhängiger und besser planbar als | |
| Wind und Sonne“, erklärt Jochen Bard vom Fraunhofer-Institut für | |
| Windenergie und Energiesystemtechnik (Iwes) in Kassel. | |
| Wie der Strom erzeugt werden soll, wissen die Forscher genau. Ein Ansatz | |
| ist die Nutzung der Gezeitenströmungen, also der periodischen | |
| Ozeanbewegungen aus Ebbe und Flut. Diese Strömung treibt unter Wasser | |
| Rotorblätter an, mit Hilfe von Turbinen und Generatoren werden die | |
| Bewegungen in Strom umgewandelt. | |
| Getestet werden derzeit verschiedene Prototypen solcher | |
| Meeresströmungskraftwerke. Der „Openhydro“ ist beispielsweise eine mittig | |
| geöffnete Turbine auf dem Meeresboden mit dem Aussehen eines | |
| Flugzeugtriebwerks und der Größe eines Einfamilienhauses. | |
| Der Konkurrent „SeaGen“ erinnert dagegen eher an ein Windrad. Die beiden an | |
| einem Metallturm befestigten Rotorblätter haben einen Durchmesser von 16 | |
| Metern. In ihrer Leistung gleichen sich die beiden Systeme. Die Anlagen | |
| sind aber für unterschiedliche Tiefen und Standorte geeignet. | |
| „Mittelfristig könnten Farmen aus 20 bis 30 Strömungskraftwerken in einer | |
| Tiefe von bis zu 40 Meter auf den Meeresgrund aufgestellt werden“, erklärt | |
| Bard. Die Energie, die man aus einer Strömung gewinnen kann, ist allerdings | |
| begrenzt. | |
| Stellt man zu viele Räder auf, nimmt man zu viel Energie aus dem System und | |
| die Strömung verebbt. Trotz dieser Limitierung ist die erzeugte Strommenge | |
| mit der von ähnlich großen Offshore-Windparks vergleichbar, so die Prognose | |
| der Experten. | |
| ## Seeschlange und Auster | |
| Die Kraft der Meere machen sich auch Wellenenergie-Anlagen zunutze. Die | |
| Seeschlange Pelamis ist beispielsweise ein fast 200 Meter langes Band aus | |
| Hydraulikzylindern, das auf See mit Ankerleinen befestigt wird. Durch den | |
| Wellengang werden die Zylinder gegeneinander bewegt und damit Generatoren | |
| im Inneren angetrieben. Der erzeugte Strom gelangt über ein | |
| Unterwasserkabel an Land. | |
| Ein eher küstennahes Modell ist die Auster. Sie wird durch die Wellen auf- | |
| und zugeklappt, diese Bewegungen erzeugen ebenfalls Strom. | |
| ## Ein weiter Weg | |
| So vielversprechend die Tests sein mögen, von einer effektiven Nutzung der | |
| Meeresenergie ist man weit entfernt. „Der Anteil an der weltweiten | |
| Stromversorgung liegt bei null“, sagt Albert Ruprecht vom Institut für | |
| Strömungsmechanik und hydraulische Strömungsmaschinen der Uni Stuttgart. | |
| Von der Entwicklung her sei man auf dem Stand der Windkraft vor 25 Jahren, | |
| so seine Einschätzung. Fast alle derzeitigen Anlagen sind kaum über den | |
| Prototypstatus hinaus, auch an eine kommerzielle Tragfähigkeit ist nicht zu | |
| denken. | |
| Hürden für den Ausbau der Meeresenergie gibt es einige. „Die Investitions- | |
| und Wartungskosten sind hoch“, sagt Ruprecht. Besonders kostenintensiv sind | |
| neben der Installation der Anlagen auf dem Meeresgrund auch das Verlegen | |
| der Unterseekabel und der Betrieb der Montageschiffe. Die Umweltbedingungen | |
| stellen ebenfalls eine Herausforderung dar. | |
| Orte mit hohem Energiepotenzial sind geprägt von starker Strömung und | |
| Wellen. Diese Belastungen müssen die Verankerungen aushalten. Anlagen | |
| unterhalb des Meeresspiegels sind außerdem Salzwasser, Muschelbewuchs und | |
| Algen ausgesetzt. Trotzdem müssen sie wartungsarm und sauber laufen. So | |
| würden schon kleine Mengen austretenden Schmiermittels für einen | |
| ökologischen Skandal sorgen. | |
| ## Hoher Investitionsbedarf | |
| Auch ökonomisch ist der Durchbruch der Technologie nicht ohne Hürden. „Ohne | |
| Big Player mit entsprechendem Kapital im Hintergrund ist der Aufbau solcher | |
| Anlagen kaum möglich“, erklärt Bard. | |
| Doch für internationale Konzerne müssen die Investitionsbedingungen | |
| stimmen, immerhin stecken sie ihre Millionen nicht aus Umweltfreundlichkeit | |
| in die Meeresenergie, sondern mit dem Wunsch langfristiger Renditen. In | |
| Großbritannien hat man das genau erkannt und will durch gezielte Anreize | |
| das wirtschaftliche Engagement fördern. | |
| Besonders Schottland geht dabei mutig voran. Bis 2020 soll der Strombedarf | |
| mit erneuerbarer Energie gedeckt werden, neben Offshore-Windparks und | |
| Solaranlagen ist die Meeresenergie fest eingeplant. | |
| Ein Prestigeprojekt entsteht in der Meerenge zwischen schottischem Festland | |
| und Orkney. Das größte Meereskraftwerk Europas soll ab 2020 mehr als 42.000 | |
| Haushalte mit Strom versorgen. Um Investitionen in ähnliche Vorhaben | |
| attraktiv zu machen, setzt man auf einen Mix aus günstigen Darlehen, guten | |
| Einspeisekonditionen und der Bereitstellung von Testgebieten vor der Küste. | |
| „Diese Subventionen sind aus meiner Sicht sinnvoll, denn wenn große | |
| Unternehmen bereit sind zu investieren, kann sich die Entwicklung | |
| beschleunigen“, sagt Ruprecht. | |
| ## Ein Zukunftsmarkt | |
| Hier wird die Meeresenergie auch für deutsche Unternehmen interessant. An | |
| der deutschen Küste von Nord- und Ostsee ist die Strömung so gemütlich wie | |
| die Menschen. Deutsche Unternehmen sind trotzdem an zahlreichen Projekten | |
| beteiligt, darunter Energiekonzerne wie RWE oder Eon oder | |
| Technologieunternehmen wie Siemens und der Maschinenbauer Voith. | |
| Sie liefern technisches Know-how und wollen sich so früh wie möglich eine | |
| gute Ausgangsposition auf einem möglichen Zukunftsmarkt sichern. Immerhin | |
| liegt das technische Potenzial für die Strömungen und Wellen bei | |
| vorsichtiger Schätzung im Bereich von 1.000 Terrawatt-Stunden, also rund | |
| ein Drittel des heutigen Strombedarfs der EU. | |
| „Bei einer positiven Entwicklung könnte ich mir gut eine Deckung des | |
| weltweiten Energiebedarfs in einer Dimension von 5 bis 10 Prozent | |
| vorstellen. Allerdings sehe ich das eher in einem langfristigen Zeitraum, | |
| vielleicht bis 2050“, so das Urteil von Ruprecht. | |
| 6 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Birk Grüling | |
| ## TAGS | |
| Energie | |
| Kraftwerk | |
| Meer | |
| Erneuerbare Energien | |
| Strom | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Saubere Energie: Algen sollen Öl ersetzen | |
| Deutsche Forscher wollen mit einer Pilotanlage Energie aus Algen | |
| herstellen. Der Rohstoff kann auch als Flugzeugtreibstoff verwendet werden. | |
| Neue Art der Stromerzeugung: Süßwasser + Salzwasser = Strom | |
| An einem norwegischem Fjord entsteht das erste Salzkraftwerk der Welt. Die | |
| Technik funktioniert überall dort, wo Süßwasser ins Meer fließt. | |
| Großbritannien plant Gezeitenkraftwerk: "Russisches Roulette" für Fische | |
| Bis zu fünf Prozent der Elektrizität Großbritanniens könnten spätestens ab | |
| 2022 aus einem großen Gezeitenkraftwerk in der Mündung des Severn kommen. | |
| Ökoverbände sind dagegen. | |
| Neue Energiemodelle: Strom aus Wellen | |
| Vor der spanischen Küste erprobt ein Energieversorger derzeit das erste | |
| Wellenkraftwerk Europas. | |
| Neue Energiequellen: Briten scharf auf Wind und Wellen | |
| Großbritannien entdeckt die erneuerbaren Energien. Dabei setzt das Land auf | |
| gigantische Projekte: Neben Wind- und Wellenkraftwerken soll es auch ein | |
| Gezeitenkraftwerk geben. | |
| Regenerative Energien: Norwegen baut Osmose-Kraftwerk | |
| Der unterschiedliche Salzgehalt von Fluss- und Meerwasser kann genutzt | |
| werden, um Strom zu erzeugen. Die Pilotanlage soll nächstes Jahr fertig | |
| sein. | |
| Wellenkraft: Energie aus dem Tunnel | |
| Auf den Faröer-Inseln sprengen Ingenieure Tunnel in die Felsküsten. Wellen | |
| erzeugen darin Luftströme - und treiben so Turbinen an. Die Frage ist nur, | |
| ob der Strom bezahlbar ist. |