# taz.de -- Pubsterben in Irland: Letzte Runde | |
> In Irland klingeln im Schnitt vier Pubs pro Woche zur endgültigen „Last | |
> order“. Insbesondere auf dem Land geht die Kneipenkultur verloren. | |
Bild: Publeben in Dublin. In den Städten findet sich noch eher Kundschaft als … | |
BALLYVAUGHAN taz | Man kann die kleine Kneipe leicht übersehen. Dabei | |
gehört sie zu den schönsten an der irischen Westküste. „O’Loclainn“ in | |
Ballyvaughan liegt in einem Reihenhaus an der Küstenstraße, tagsüber ist | |
die grüne Tür geschlossen. Lediglich die Whiskeyflaschen im Schaufenster | |
und ein handgemaltes Schild in keltischen Buchstaben weisen auf ein | |
Wirtshaus hin. | |
Es ist ein ziemlich kleines Wirtshaus. Dabei ist es 1998 bereits einmal | |
erweitert worden. Damals bauten Peter O’Loclainn und seine Frau Margaret | |
ein kleines Hinterzimmer an, und Toiletten bekam das Pub auch. Bis dahin | |
gingen die Männer auf die Wiese gegenüber. Für Frauen war es schwieriger. | |
Wenn Peters Vater MacNeill, der das Pub damals führte, sie mochte, durften | |
sie die private Toilette in der Wohnung im ersten Stock benutzen. | |
Peter führt das Pub in fünfter Generation. Der 65-Jährige sammelt Whiskeys, | |
er hat 400 Sorten, für seine Gäste hält er eine Auswahl von 30 bis 40 | |
bereit. „Aber wenn wir von dem Laden leben müssten, hätten wir ihn längst | |
dichtgemacht“, sagt er. | |
Peter ist im Hauptberuf Bauer, Margaret ist Lehrerin. Deshalb machen sie | |
das Pub erst abends um acht Uhr auf. „Wenn du kein Essen anbietest, kommt | |
tagsüber sowieso niemand“, meint Peter. Vor ein paar Jahren wollte er | |
nebenan ein Restaurant aufmachen, denn seine Frau ist auch ausgebildete | |
Köchin. Doch die Behörde lehnte den Antrag ab. „Wir führen das Pub in | |
Gedenken an meinen Vater weiter“, sagt Peter. „Geld wirft es schon lange | |
nicht mehr ab.“ | |
Die Leute haben wegen der Rezession kein Geld, sagt er. Die Auswanderung | |
spiele ebenfalls eine Rolle. Seit 2009 haben mehr als 300.000 Menschen, | |
meist junge Leute, die Insel verlassen. Noch mehr Einfluss auf den Rückgang | |
der Kundschaft habe aber die Schließung der kleinen Polizeireviere auf dem | |
Land. Seit vorigem Jahr haben weit über 100 Reviere dichtgemacht. Abgesehen | |
davon, dass vor allem ältere Menschen nun in Angst leben – die Kriminalität | |
steigt nicht nur in den Städten, sondern auch auf dem Land –, hat das auch | |
Folgen für die Pubs. | |
## Man trinkt lieber zuhause | |
„Bis vor kurzem hatten wir in Ballyvaughan ein Revier mit zwei Polizisten | |
und einem Sergeant“, sagt Peter. „Die kannten ihre Pappenheimer. Die Gäste | |
kamen aus der Umgebung, im Radius von fünf, sechs Kilometern. Die | |
Polizisten drückten meist ein Auge zu, und wenn jemand zu betrunken war, | |
fuhren sie ihn nach Hause.“ | |
Heutzutage gibt es mobile Truppen, die von Ennis, der Hauptstadt der | |
Grafschaft, aus die ganze Gegend überwachen. „Die sind gnadenlos, und | |
deshalb bleiben die Menschen zu Hause“, sagt Peter. „Das Pub ist ja nicht | |
nur ein Ort, um Alkohol zu trinken, sondern man tauscht Geschichten aus und | |
bleibt in Kontakt mit Menschen. | |
Seit das immer schwieriger wird, vereinsamen vor allem alte Menschen auf | |
dem Land, das belegt auch die gestiegene Suizidrate.“ Aber davon, fügt er | |
hinzu, hätten die Herren in Leinster House, dem Parlamentsgebäude in | |
Dublin, keine Ahnung. | |
Irlands Pubs kämpfen um ihre Existenz. Seit 2005 ist der Umsatz um ein | |
Drittel zurückgegangen. Im selben Zeitraum haben elf Prozent der Pubs für | |
immer geschlossen – das sind vier pro Woche. Gewinner sind die Supermärkte. | |
Wurden vor zehn Jahren 80 Prozent aller alkoholischen Getränke in | |
Gaststätten ausgeschenkt, ist es mittlerweile nicht mal mehr die Hälfte. | |
Der Gastwirtsverband erklärte, dass seit 2007 im Gastgewerbe 15.000 Jobs | |
verlorengegangen seien. | |
Falls die Regierung dem Druck der Troika aus Europäischer Zentralbank, | |
Internationalem Währungsfond und EU-Kommission nachgebe und im nächsten | |
Haushaltsplan erneut die Alkoholsteuer erhöhe, werde sich das Pubsterben | |
beschleunigen, warnt der Verband. Ein Pint, 0,56 Liter, kostet zwischen | |
vier und fünf Euro. Das können sich viele bei der hohen ländlichen | |
Arbeitslosigkeit nicht mehr leisten. | |
## Touristen bringen Umsatz | |
„Ohne die Touristen sähe es noch schlechter aus“, sagt Peter O’Loclainn.… | |
Prozent der Kundschaft sind Besucher aus dem Ausland. „Wir liegen am | |
nördlichen Ende des Burren“, sagt Peter. Das Naturschutzgebiet sieht auf | |
den ersten Blick wie eine Mondlandschaft aus. Doch auf den 500 | |
Quadratkilometern wachsen Pflanzen aus dem Mittelmeerraum, aus den Alpen | |
und der Arktis einträchtig nebeneinander – ein Paradies für Wanderer und | |
Botaniker. | |
Im Sommer ist in Ballyvaughan deshalb einiges los, auch wenn der | |
Fremdenverkehr in den letzten Jahren ebenfalls zurückgegangen ist. Aber die | |
Saison ist kurz, und im Winter ist man auf die Einheimischen angewiesen. | |
Vor wenigen Jahren gab es 10.000 Pubs auf der Insel, heute sind es noch | |
7.400. Und die haben zusammen mehr als zwei Milliarden Euro Schulden. Das | |
sind im Durchschnitt rund 270.000 Euro pro Wirtshaus. Bei den Banken können | |
sie nicht auf Verständnis hoffen. Vielen ist der Kreditrahmen gekürzt oder | |
ganz gestrichen worden. Gleichzeitig stiegen die Gebühren. „Hoffentlich | |
haben die Banken kein Interesse daran, selbst Pubs zu führen“, sagt Padraig | |
Cribben, der Geschäftsführer des Gastwirtsverbandes. „Denn dann müssen sie | |
gemeinsam mit den Gastwirten eine Lösung finden.“ | |
Vor zwei Jahren haben Hunderte von Gastwirten vor dem Parlament in Dublin | |
protestiert. Sie verlangten mehr Unterstützung, zum Beispiel eine Senkung | |
der Alkoholsteuer sowie die Aufhebung der Mehrwertsteuer für Kleinbusse, | |
weil viele Pub-Besitzer ihre Kunden nach dem Zapfenstreich nach Hause | |
fahren. Die Regierung ging auf die Forderungen nicht ein: Im Haushaltsplan | |
2012 wurde die Mehrwertsteuer auf Druck der Troika sogar um zwei Prozent | |
erhöht. | |
## Die Städte sind besser dran | |
Etwas besser sieht es in den Städten aus. Erstens gibt es dort mehr junge | |
Leute, die abends gerne weggehen, und zweitens kann man den öffentlichen | |
Nahverkehr benutzen. In Dublin haben zum Beispiel seit 2007 nur 50 Kneipen | |
schließen müssen, 730 sind noch übrig. „Wir werden überleben“, sagt Mic… | |
Hedigan, der Eigentümer des Pubs „The Brian Boru“, im Nord-Dubliner | |
Stadtteil Phibsborough. „Natürlich ist auch unser Umsatz zurückgegangen, | |
denn von Auswanderung und Rezession sind wir ebenfalls betroffen.“ Aber | |
wenigstens hat man vor der Tür eine Bushaltestelle, und nachts muss man nie | |
länger als zwei Minuten auf ein Taxi warten. | |
„Die Konkurrenz ist in unserer Gegend recht groß“, sagt Hedigan. „Im | |
Umkreis von ein paar hundert Metern gibt es neun Pubs.“ Das „Brian Boru“ | |
hat einige Pluspunkte: einen Biergarten, warme Mahlzeiten kann man bis in | |
den Abend hinein bestellen, es gibt Räumlichkeiten mit eigener Bar im | |
ersten Stock für Privatpartys oder Musikveranstaltungen, eine Großleinwand | |
für Sportübertragungen, einen Wintergarten und kleine Alkoven, in die man | |
sich zurückziehen kann. | |
„Und der größte Friedhof Irlands liegt gleich um die Ecke“, sagt Hedigan. | |
„So haben wir oft Trauergesellschaften zu Gast.“ James Joyce erwähnt das | |
Pub in seinem „Ulysses“, als seine Hauptfigur Leopold Bloom ein Begräbnis | |
besucht. | |
„Der größte Fehler, den die Regierung gemacht hat, war die Aufhebung des | |
Verbots, Alkohol unter dem Einkaufspreis zu verkaufen“, sagt Hedigan. | |
„Seitdem ist das Bier im Supermarkt billiger als Cola.“ Das wirke sich | |
mittlerweile auch auf die Spirituosengeschäfte aus. „Die jungen Leute | |
glühen heutzutage erst mal zu Hause mit Supermarktgetränken vor, bevor sie | |
ausgehen“, sagt Hedigan. Das fördere das unkontrollierte Trinken. | |
„Das gilt noch stärker für die ländliche Bevölkerung“, sagt er. „Frü… | |
gingen die Männer in das Pub, um sich zu unterhalten oder Karten zu | |
spielen. Dabei tranken sie vielleicht zwei oder drei Pints. Heute sitzen | |
sie mit einer Flasche Whiskey zu Hause.“ | |
## Erzählkultur verschwindet | |
Mit den Pubs verschwindet auch die irische Gabe der Erzählkunst, glaubt | |
Peter O’Loclainn. Viele Wirtshäuser machen, wie das „O’Loclainn“, erst | |
abends auf, weil die Besitzer Tagesjobs haben. „Was sollen Touristen | |
machen“, fragt Peter, „die durchs Land fahren und unterwegs mal ein | |
Sandwich essen und eine Tasse Tee trinken wollen? Die Pubs stehen ganz oben | |
auf der Liste, wenn man Touristen fragt, was sie an Irland attraktiv | |
finden. Das ländliche Irland geht vor die Hunde.“ | |
7 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
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