# taz.de -- Irischer Spitzenpolitiker vor Karriereende: Ein politisches Risiko | |
> Der Republikaner Gerry Adams steht in der Kritik, weil er seinen | |
> pädophilen Bruder deckte. Gegner vermuten, dass er noch mehr Leichen im | |
> Keller hat. | |
Bild: Vom Charismatiker zum Störfaktor: Sinn Féin-Präsident Gerry Adams | |
DUBLIN taz | Gerry Adams ist der charismatischste Politiker Irlands. Doch | |
seine Tage an der Sitze der irischen Politik könnten gezählt sein. Der | |
Präsident von Sinn Féin, dem politischen Flügel der inzwischen aufgelösten | |
Irisch-Republikanischen Armee (IRA), ist zu einem Wahlrisiko geworden. Er | |
hat seinen pädophilen Bruder Liam Adams nicht nur Jahrzehnte lang gedeckt, | |
sondern ihm auch zu Jobs mit Jugendlichen verholfen. Und er hat beim | |
Prozess gelogen. | |
In den inoffiziellen Biografien von Adams heißt es, dass er schon mit 23 | |
Jahren Bataillonskommandeur war. Das große Vertrauen, das er bei seinen | |
Leuten genoss, war die Voraussetzung für den Friedensprozess, auf den Adams | |
seit Ende der achtziger Jahre hingearbeitet hatte und der 1998 ins | |
Belfaster Abkommen mit Machtbeteiligung aller großen Parteien mündete. Kein | |
anderer hätte es geschafft, die Organisation trotz zahlreicher Rückschläge | |
zu einen. | |
Die Taten seines Bruders und sein eigenes Verhalten kosten ihn nun wohl die | |
Karriere. Liam Adams hatte 1977 begonnen, seine Tochter Áine zu | |
vergewaltigen. Damals war sie vier. Die Vergewaltigungen hörten erst 1983 | |
auf. Zu der Zeit hatte sich Adams Frau Sally bereits von ihm getrennt, weil | |
er sie wiederholt misshandelt hatte. | |
Áine erzählte ihrer Mutter aber erst 1987 von den Vergewaltigungen, nachdem | |
ihr Vater erneut geheiratet und mit seiner Frau Bronagh eine Tochter | |
bekommen hatte. Sie befürchtete, dass ihr Vater auch dieses Mädchen | |
missbrauchen würde. Die Anzeige bei der Polizei zog sie jedoch schnell | |
wieder zurück, als die Beamten versuchten, sie als Spitzel gegen die eigene | |
Familie anzuwerben. | |
## Statt ihn anzuzeigen, besorgte er ihm einen Job | |
Gerry Adams behauptete im Prozess, er habe den Kontakt zu seinem Bruder | |
abgebrochen und 15 Jahre lang nichts von ihm gehört. Das stellte sich als | |
Lüge heraus: Die Anklage legte Dutzende von Fotos aus diesem Zeitraum vor, | |
auf denen die beiden Brüder in herzlicher Umarmung zu sehen sind. | |
Im Jahr 2000 gestand Liam Adams seinem Bruder schließlich, dass Áine die | |
Wahrheit gesagt hatte. Zu der Zeit war das Belfaster Abkommen | |
unterzeichnet, die Polizeireform hatte längst begonnen, doch statt ihn | |
anzuzeigen, besorgte Gerry Adams seinem Bruder einen Job in Belfast – in | |
einem Jugendclub. Liam Adams ist kein Einzelfall. Laut Aussagen ehemaliger | |
Parteimitglieder hat Sinn Féin 2005 eine interne Untersuchung anberaumt, | |
die mehr als 100 Anschuldigungen von sexuellem Missbrauch gegen Mitglieder | |
der Partei oder der IRA nachging. Gerry Adams soll die Untersuchung | |
geleitet haben. Sinn Féin bestreitet, dass es eine solche Untersuchung | |
gegeben habe. | |
## Soll für Bombenanschläge verantwortlich sein | |
Die junge Garde von Sinn Féin hat mit den alten Kämpfen nichts mehr am Hut, | |
sie will nach den Wahlen 2016 an die Macht, doch dazu muss sie | |
koalitionsfähig sein. Adams ist dabei ein Störfaktor, denn womöglich hat er | |
noch andere Leichen im Keller. Ehemalige Kampfgenossen haben schwere | |
Anschuldigungen vorgebracht. So soll er 1972 für den „Bloody Friday“ | |
verantwortlich sein: An dem Tag explodierten in Belfast 26 Bomben binnen 80 | |
Minuten, 11 Menschen starben, 130 wurden verletzt. Außerdem soll er | |
angeordnet haben, mehrere Menschen, die nach Ansicht der IRA für die | |
britische Armee spioniert hatten, töten und dann verschwinden zu lassen. | |
Manche der Leichen wurden bis heute nicht gefunden. | |
Adams Nichte Áine sagte nach dem Prozess, dass „der Bart“, wie sie ihren | |
Onkel nennt, mehrmals versucht habe, sie davon abzuhalten, mit den Medien | |
zu sprechen. „Er behauptete, er wolle mich schützen“, sagte sie. „In | |
Wirklichkeit ging es ihm nur um seinen eigenen Ruf.“ Áine brach 2009 den | |
Kontakt zu Gerry Adams ab. Ihr Vater wurde im vorigen Monat von den | |
Geschworenen für schuldig befunden. Das Strafmaß steht noch aus. | |
18 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Ralf Sotscheck | |
## TAGS | |
IRA | |
Irland | |
Bombenanschlag | |
Gerry Adams | |
IRA | |
IRA | |
Irland | |
Senat | |
Irland | |
Belfast | |
Protestanten | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Britische Amnestie für IRA-Kämpfer: Geheim begnadigt | |
187 ehemalige IRA-Terroristen wurden in der Amtszeit Tony Blairs begnadigt. | |
Nun droht die Regionalregierung in Belfast daran zu zerbrechen. | |
Zeugen packen im TV aus: Britische Killerkommandos gegen IRA | |
Jahrelang war die britische Spezialtruppe Military Reaction Force in | |
Belfast mit Tötungsauftrag unterwegs. Das bestätigten Ex-Mitglieder des | |
Kommandos der BBC. | |
Pubsterben in Irland: Letzte Runde | |
In Irland klingeln im Schnitt vier Pubs pro Woche zur endgültigen „Last | |
order“. Insbesondere auf dem Land geht die Kneipenkultur verloren. | |
Iren stimmen für Oberhaus: Doch nicht sparen | |
Laut Umfragen wollten zwei Drittel der Iren den Senat abschaffen. In einem | |
Referendum entschieden sie sich jedoch knapp für den Erhalt der machtlosen | |
Kammer. | |
Referendum in Irland: Die zweite Kammer wird eingemottet | |
Die Bürger stimmen über Abschaffung des irischen Senats ab. Die Regierung | |
verkauft das als Möglichkeit, Millionen Euro einzusparen. Das zieht bei den | |
Wählern. | |
Krawall in Nordirland: 56 Polizisten verletzt | |
Es flogen Steine und Flaschen, der Polizeichef sprach von „stumpfsinniger | |
Anarchie“: Pro-britische Demonstranten haben in Belfast randaliert. | |
Unruhen im nordirischen Belfast: Brandbomben auf Polizisten | |
Militante Protestanten haben sich in Belfast zwei Nächte in Folge mit der | |
Polizei Kämpfe geliefert. Auslöser sind die jährlichen Oraniermärsche | |
probritischer Protestanten. |