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# taz.de -- Jubiläumsmarathon zur Völkerschlacht: Leipziger Schlachtfestspiele
> Vor 200 Jahren wurde die Völkerschlacht bei Leipzig geschlagen. Die Stadt
> gedenkt pompös – mit der Beliebigkeit bekannter Massenevents.
Bild: So ruhig ging es bei der Völkerschlacht vor 200 Jahren nicht zu.
LEIPZIG taz | Dumpf und düster beherrscht das 91 Meter hohe
Völkerschlachtdenkmal den Leipziger Südosten. Ein Monument der Nekrophilie
und des Verfolgungswahns der Deutschen, die „stets zu Schutz und Trutze“
gegen irgendeinen Feind brüderlich zusammenhalten müssen, wie es im Lied
der Deutschen heißt.
Eisenstarrend erschlägt einen optisch schon am Sockel Soldatenpatron St.
Michael. Der Tod in heldischer Verklärung, jüngst für 30 Millionen Euro
saniert und optisch aufgehellt. „Man sollte es mit Blut besudeln, das
Denkmal, denn nur so würde deutlich, was sie wirklich war, diese
Völkerschlacht“, schreibt das Leipziger Stadtmagazin Kreuzer und spricht
nur vom „Schmerzkoloss“.
Schmerzlos aber werden für den Jubiläumsmarathon am Denkmal gerade
Barrieren und Buden aufgebaut. Die immer gleichen Events und ihre
Vorbereitung sind mit jedem beliebigen Anlass kompatibel. Das
Schlachtfestprogramm, entworfen von einer Steuerungsgruppe gemeinsam mit
der Leipziger Tourismus und Marketing GmbH, spiegelt den postheroischen
Zeitgeist wider.
Ein Leipziger Allerlei aus historischer Peepshow, Kriegsspiel,
Heimatpflege, Sachsentümelei, Personenkult, Nostalgie-Nippes,
Abenteuerwanderungen, echten Informationsangeboten, Ausstellungen,
künstlerisch-kritischen Adaptionen und einigen wenigen pazifistischen
Nachdenklichkeiten. Das Bedürfnis der Bevölkerung nach Vergangenheitskult
will ebenso befriedigt werden wie das kommerzielle Interesse an
touristischen Ködern. Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) äußerte
allerdings, es gebe nichts zu feiern. „Wir sprechen bewusst vom Gedenken
und nicht vom Jubiläum“, wendet auch Stadtsprecher Matthias Hasberg ein.
## Die Völkerschlacht als Volksfest
Sogar der Mitteldeutsche Rundfunk, der mit tausend
Sendeschlachtfernsehminuten selber maximales Kapital aus dem Datum schlägt,
diskutierte die Frage „Die Völkerschlacht als Volksfest?“. Doch das
Leipziger Veranstaltungsprogramm folgt offenbar dem Satz von Altmeister
Goethe, „Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen“. Die Wortwahl von
Volker Rodekamp, Direktor des Stadtgeschichtlichen Museums und Leiter der
Steuerungsgruppe, sagt eigentlich alles. Gegenüber Leipzig Fernsehen
schilderte er die „Highlights“ der seit dem 16. Oktober laufenden
Gedenkwoche.
Ob der „wunderbaren Veranstaltungsdetails“ geriet er ins Schwärmen und
kündigte „begeisternde Atmosphäre, großartige Bilder, spannende
Persönlichkeiten und tolle Reden“ an. Marketingformeln, die ebenso gut zum
Bachfest, zum Weihnachtsmarkt oder einem Fußballspiel von RB Leipzig
passen. Immerhin will Rodekamp auch „nach Botschaften dieses furchtbaren
Ereignisses Ausschau halten“.
Mit dem „furchtbaren Ereignis“ sind nicht die Schlachtfestspiele 2013
gemeint, sondern das viertägige Gemetzel von 16. bis 19. Oktober 1813. Nach
„Highlights“ wird den 30.000 Leipziger Einwohnern damals gewiss nicht der
Sinn gestanden haben, als sich um die Stadt mehr als eine halbe Million
Soldaten sammelten. Napoleon hatte fast die gesamte Grande Armée in
Russland verloren. Bei Rückzugsgefechten in Sachsen siegte er noch,
vermeintlich sogar bei Leipzig, als er am 17. Oktober die Siegesglocken
läuten ließ.
Doch die Verbündeten waren in der Übermacht, kesselten seine Truppen ein
und zwangen den Empereur zur Flucht Richtung Westen. Die Sachsen, die
wieder einmal nicht wussten, wo sie hingehörten, liefen in letzter Minute
zu den Alliierten über. Auf beiden Seiten kämpfte ein verwirrendes Gemisch
von Söldnern und Völkerschaften, ungefähr so wie heute im Weltfußball. Die
später so genannte Völkerschlacht forderte mindestens 92.000 Tote,
hinterließ 40.000 Verwundete und in der Umgebung 63 zerstörte Dörfer.
## 30.000 wollen das Gemetzel sehen
Am kommenden Sonntag werden 6.000 Hobbyschlächter aus mehreren Ländern das
Gemetzel zwischen Markkleeberg und Wachau nachstellen. Detailgetreu und
militärhistorisch geprüft. Krieg spielen heißt im nettisierten Neusprech
jetzt „Reenactment“ und ist bei Weitem nicht nur eine deutsche Tugend.
Michél Kothe, Schlachtenlenker vom Verband Jahrfeier Völkerschlacht bei
Leipzig 1813 e. V., verteidigt diese besonders für junge Leute attraktive
Form der Geschichtsvermittlung: „Im Nacherleben erfährt man, was die
Soldaten damals durchgemacht haben.“ Wer zahlt, muss sich als Voyeur
solchen Strapazen gar nicht unterziehen. Sämtliche 30.000 Plätze des
Spektakels sind ausverkauft.
Zur Generalprobe kam schon mal ein Trupp des „Grenadierbataillons von
Spiegel e. V.“ aus dem erzgebirgischen Wolkenstein 100 Kilometer im
Gleichschritt anmarschiert. Begleitet von einem Kamerateam des MDR, der
gleich vier Sendefolgen daraus machte.
Selbst geschneiderte Uniformen, selbst gedrehte Patronen, echtes
Schwarzpulver, aufgepflanzte Bajonette. Der MDR bedient den archaischen
Drang zum Kräftemessen, handwerklich geschickt, wenn er vier Tage lang im
„Brennpunkt“-Stil Kriegsberichterstattung simuliert. Ingo Zamperoni im
Studio, Reporter am Schlachtfeld, Korrespondenten, Experten und ein
Liveticker sorgen für perfektes Infotainment. Nur: Auf solche Bilder
reagieren wir so abgestumpft, als kämen sie aus Syrien oder Afghanistan.
Ist eben nur Fernsehen.
## „Und das alles wegen ein paar Verrückter“
Gleichwohl ist nicht alles schlecht, was zum Gedenken geschieht.
Anerkennung verdienen ästhetisierte Auseinandersetzungen mit den
Kriegsgräueln durch verschiedene Künstler. Sehr viel unmittelbarer als die
ganze Schlachtfeierei wirkt das Leipzig jener Tage etwa im Panometer des
Künstlers Yadegar Asisi in seiner Installation in unmittelbarer
Denkmal-Sichtweite. Der Spezialist, der in mehreren alten Gasometern
bereits riesige Panoramadarstellungen entworfen hat, demonstriert bewusst
das Leid des Krieges.
„Und das alles wegen ein paar Verrückter“, kommentiert ein älterer Besuch…
spontan und erschüttert. Freilich, Asisi ist nicht Otto Dix, und an die
weitaus drastischer klingenden Augenzeugenberichte über offene
Feldschlachten ohne Deckung, das Grauen in den Feldlazaretten oder den
Kannibalismus unter den Soldaten kommt sein Werk nicht heran.
Mit gleicher empathischer Intention, aber mit dem sicheren Instinkt für den
Publikumsgeschmack wiederum hat Histörchenschreiberin Sabine Ebert mit
„1813“ einen neuen Bestseller verfasst. Andere Künstler wie Elia van
Scirouvsky und Freunde wollten sich mit der Theaterperformance „Nahe der
Schlacht“ bewusst „vom Kriegs(nach)spielen abgrenzen“. Auch „Traumwelte…
des Theaters Titanick an diesem Sonnabend erhebt sich über triviale
Landserromantik.
Und das Völkerschlachtdenkmal, das nach der Renovierung nun mit viel
Promi-Getöse praktisch ein zweites Mal „eingeweiht“ werden soll? Die
Schlachtenepigonen von heute kamen auf die krause Idee, es als Europäisches
Friedensdenkmal mit einem lächelnden Etikett zu versehen. Da lohnt es, an
jene Gegenveranstaltung zur Weihe vor 100 Jahren zu erinnern, die am
hessischen Hohen Meißner stattfand.
Das erste „Freideutsche Jugendtreffen“ vereinigte Wandervögel, die
akademischen Abstinenzler und andere Exoten, aber es setzte bewusst ein
Zeichen gegen Militarismus. Das tut seit Jahren auch das Leipziger
soziokulturelle Zentrum naTo mit seinen sommerlichen Badewannenrennen im
großen Becken vor dem Denkmal. Sprengmeister Alfred Linden indes wollte den
Koloss im Roman „Völkerschlachtdenkmal“ von Erich Loest einfach in die Luft
jagen. Warum nicht!
17 Oct 2013
## AUTOREN
Michael Bartsch
## TAGS
Leipzig
Geschichte
Wandervogel
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Theater
Asyl
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