# taz.de -- Debatte Olympia, WM und EM: Die verpasste Chance | |
> Die Vergabe internationaler Sportturniere steht in der Kritik. Jetzt | |
> retten die Deutschen das IOC und Uefa-Chef Platini, statt auf Reformen zu | |
> drängen. | |
Bild: Geht da überhaupt noch was? München soll noch attraktiver werden | |
Michel Platini steckt in der Bredouille. Ein großes, sportlich sinnfreies | |
Dankeschön hatte er seinen Unterstützern bei der Wahl zum Uefa-Präsidenten | |
gemacht: die Aufstockung der Europameisterschaften von 16 auf 24 | |
Teilnehmern. Das bisher leistungsstärkste Fußballturnier der Welt wird | |
damit entwertet. | |
Sogenannte Todesgruppen mit Deutschland, Holland und Portugal schon in der | |
Vorrunde fallen weg. Stattdessen wird es in den ersten Wochen des Turniers | |
(das nächste findet 2016 statt) darum gehen, ob drittklassige Teams aus | |
Österreich oder Rumänien ins Achtelfinale kommen. Platinis Rettungsversuche | |
muten dabei immer irrsinniger an. Neueste Idee: die Teilnahme | |
südamerikanischer und asiatischer Mannschaften ab 2020. | |
Das größte Problem des Uefa-Chefs heißt aber: Wer soll das Turnier im | |
Europa der Eurokrise noch ausrichten? Mehr Spiele bedeuten mehr Stadien, | |
mehr Polizeieinsätze, mehr Infrastruktur. Am besten: alles neu. Die | |
Investitionen, so war es bisher geregelt, übernehmen die Steuerzahler der | |
Länder, die Gewinne durch die TV-Vermarktung steckt der Fußballverband ein. | |
Für die Euro 2016 hat Platini Frankreich gefunden, für 2020 hilft sich der | |
Uefa-Chef mit dem Trick, die Spiele auf dem ganzen Kontinent auszurichten. | |
Und 2024? Da werden ihn zur Not die Deutschen retten. Der Vorsitzende der | |
Deutschen Fußball-Liga (DFL), Christian Seifert, fordert bereits eine | |
deutsche Bewerbung. Das Ziel: die Stadien wieder sanieren zu lassen. 2024 | |
läge die WM schließlich schon 18 Jahre zurück, argumentiert er. | |
## Schon wieder München | |
Ob Olympische Spiele, WM oder EM – die Bedingungen sind gleich: Die | |
internationalen Verbände kassieren, die Ausrichterländer zahlen. Ob | |
langfristig positive Effekte für die Veranstalter bleiben, ist zweifelhaft. | |
Dennoch bewirbt sich auch München erneut, um die Winterspiele 2022. Am 10. | |
November findet eine Volksabstimmung statt, die finanzstarke Kampagne der | |
Befürworter läuft. Sollte die Stadt scheitern, darf man darauf wetten, dass | |
Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit eine Debatte um die | |
Sommerspiele 2024 lostreten wird. | |
Die deutschen Bewerbungen sind ein unsolidarischer Akt: erstens gegenüber | |
den eigenen Bürgern. Für eine Bewerbung der bayerischen Landeshauptstadt | |
etwa lässt sich nicht einmal das übliche Argument ins Feld führen, damit | |
die Attraktivität der Stadt zu fördern. München ist attraktiv genug, nicht | |
nur für Touristen, sondern auch für Führungskräfte. Der einzige Makel der | |
Landeshauptstadt sind die hohen Immobilienpreise. Sie dürften durch Olympia | |
weiter steigen. Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) täte daher gut daran, | |
das in die Spiele investierte Geld in den Wohnungsbau zu stecken oder in | |
den Kauf bisher privater Häuser, um die Mietkosten zu senken oder | |
wenigstens stabil zu halten. | |
## „Weiße Elefanten“ | |
Zweitens sind sie unsolidarisch gegenüber den Bewohnern der | |
Ausrichterstädte vor allem in den Schwellen- und Entwicklungsländern. Noch | |
immer schlagen sich die Veranstalter der letzten EM und WM mit den | |
Folgekosten herum. Zahlreiche Stadien stehen als sogenannte „Weiße | |
Elefanten“ ungenutzt in der Landschaft. In Katar sterben Bauarbeiter. In | |
fast allen Ausrichterstädten werden Arme vertrieben, um das Image der | |
Städte zu verbessern. All das lässt sich nur ändern, wenn die potenziellen | |
Veranstalter im Westen dagegen protestieren, statt zu schweigen, um eigene | |
Bewerbungen nicht zu gefährden. | |
Deutschland hätte jetzt die Chance, die Vergabepolitik zu reformieren. | |
Schließlich steckt nicht nur die Europameisterschaft in der Krise. In | |
Brasilien haben erstmals Hunderttausende gegen Fußball-WM und Olympische | |
Spiele demonstriert. Die WM 2022 in Katar sorgt für Dauerdebatten. Das IOC | |
hat die Sommerspiele 2020 nach Japan vergeben – die Entscheidung gegen | |
Madrid und Istanbul, also gegen Europa, erfolgte auch aus Angst vor der | |
kränkelnden spanischen Wirtschaft und den Demonstranten vom Gezi-Park. Für | |
die Winterspiele 2018 gab es nur drei Bewerber: den Sieger Pyeongchang, | |
Annecy (Frankreich) – und München. | |
Kurz: In den demokratischen Ländern des Nordens gibt es nur noch wenig | |
zahlungsfähige und -willige Bewerber. Bei Ausrichtern wie Russland, Katar | |
und Brasilien müssen die internationalen Sportverbände jahrelange Debatten | |
fürchten. Auf Dauer dürfte dies selbst Verbänden wie Fifa und IOC, die ihre | |
großen Korruptionsskandale bis dato nahezu unbeschadet überstanden haben, | |
Schwierigkeiten bereiten. | |
## Eine schlagkräftige Lobby | |
Statt eine Bewerbung für Winterspiele 2022 einzureichen, sollten Münchens | |
Ude und Berlins Wowereit eine internationale Konferenz möglicher | |
Ausrichterstädte planen. Als Abschluss stünde etwa eine Erklärung mit der | |
Forderung, dass die Veranstalter die Gewinne selbst behalten können – und | |
die Ankündigung, sich ansonsten angesichts der hohen Risiken nicht mehr um | |
große internationale Sportveranstaltungen zu bewerben. | |
Gleichzeitig könnte die Gründung einer Lobbygruppe, die diese Position | |
dauerhaft gegenüber den Sportverbänden vertritt, beschlossen werden. | |
Verbündete sollten sich finden lassen, etwa unter all den früheren | |
Ausrichterstädten, die bis heute unter den Kosten ihrer Spiele ächzen. | |
Erhoffen sollte man das natürlich von Ude und Wowereit nicht. Zu groß ist | |
der Einfluss des sportpolitischen Komplexes aus Verbänden, Politikern, | |
Sponsoren und (vor allem öffentlich-rechtlichen) Medien, dem es | |
selbstverständlich ist, Sportveranstaltungen mit Steuergeldern zu päppeln. | |
Der Komplex müsste daher zum Jagen getragen werden. Auch in der Dopingfrage | |
zwang ja erst eine kritische Öffentlichkeit die Sportverbände, schärfer | |
gegen Doping vorzugehen. | |
Zumindest im Falle der Europameisterschaft müssten auch Fußballfans | |
interessiert sein, Platinis Pläne ins Leere laufen zu lassen und die Uefa | |
zur Rückkehr zum alten Modus zu zwingen. Aber darauf setzen, dass ihnen | |
nicht das innere Deutschlandfähnchen den Kopf vernebelt, kann man leider | |
nicht. Die Chancen, bei einer Heim-EM 2024 Erster zu werden, sind dafür zu | |
groß. | |
18 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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