# taz.de -- Regierungssystem USA: Vom Gesetzgeber zum Krieger | |
> Die Blockadehaltung der Republikaner hat die USA zum Gespött der Welt | |
> gemacht. Das Grund dafür liegt im dysfunktionalen politischen System. | |
Bild: Im weißen Haus stehen die Ampeln auf rot. Das ist ein chronisches Proble… | |
BERLIN taz | Es könne nicht sein, sagte der Chef des deutschen | |
Außenhandelsverbandes, Anton Börner, am Donnerstag nach dem vorläufigen | |
Ende des Haushaltsstreits, dass 40 US-Abgeordnete die gesamte Welt in | |
Geiselhaft nehmen. „Hoffentlich erleben wir nicht das gleiche Theater im | |
Januar wieder“, fügte Börner hinzu und befand, ein solches Theater sei der | |
größten Volkswirtschaft der Welt unwürdig. | |
Jene republikanischen Abgeordneten, die auf die Idee gekommen waren, zwei | |
Routineabstimmungen über den nächsten Zwischenhaushalt und eine Anhebung | |
der Schuldenobergrenze an die Bedingung zu knüpfen, die verhasste | |
Gesundheitsreform zu stoppen, haben tatsächlich die USA zum Gespött der | |
Welt gemacht – und dem eigenen Land einen wirtschaftlichen Schaden | |
zugefügt, der nach vorläufigen Berechnungen bei rund 24 Milliarden Dollar | |
liegt. | |
Dass diese gewählten Tea-Party-Leute dazu überhaupt die Möglichkeit haben, | |
liegt am politischen System. Das hat inzwischen nicht mehr viel mit dem | |
Anspruch zu tun, eine der ältesten Demokratien zu organisieren, sondern | |
erweist sich immer öfter als dysfunktional. | |
Der US-Kongress ist im doppelten Sinne reformunfähig: Weder ist er in der | |
Lage, die notwendigen Schritte einzuleiten, um die USA ökologisch, | |
wirtschaftlich und infrastrukturell im 21. Jahrhundert ankommen zu lassen, | |
noch vermag er seine eigene Arbeitsweise den modernen Erfordernissen | |
anzupassen. | |
## Statt konstruktiver Kompromisse bloße Handlungsunfähigkeit | |
Das System von Checks and Balances, das die unterschiedlichen im Kongress | |
vertretenen politischen Strömungen zum konstruktiven Kompromiss | |
verpflichten sollte, bedeutet inzwischen bloße Handlungsunfähigkeit. | |
Die Gründe dafür sind vielfältig. Es gibt bekanntermaßen in den USA auf | |
Bundesebene kein Verhältniswahlrecht. Die Stärke der Fraktionen im | |
100-köpfigen Senat und dem 435-köpfigen Repräsentantenhaus ermittelt sich | |
aus der Summe gewonnener Direktkandidaturen. Darauf, wer in einem Wahlkreis | |
kandidiert, haben die Parteiführungen kaum Einfluss – außenstehende | |
Geldgeber aber umso mehr. | |
Da der Präsident direkt gewählt wird, regiert er oft genug gegen eine | |
Mehrheit in einer oder gar beiden Kammern des Kongresses. Und selbst wenn | |
seine eigene Partei die Mehrheit stellt, kann er sich nicht sicher sein, | |
dass seine Vorstellungen auch geteilt werden. Disziplinierungsmöglichkeiten | |
gibt es nicht – das hierzulande gegebenenfalls benutzte Instrument der | |
Vertrauensabstimmung steht ihm nicht zur Verfügung. | |
Dazu kommt: Die Abgeordneten im Repräsentantenhaus werden alle zwei Jahre | |
gewählt. Die extrem kurze Legislaturperiode bringt es mit sich, dass die | |
Abgeordneten eigentlich immer im Wahlkampf sind. Sie verbringen in | |
Washington so wenig Zeit wie nur irgend möglich – und kümmern sich | |
ansonsten um das Auftreiben des dringend benötigten Geldes für den nächsten | |
Wahlkampf. | |
Früher zogen Abgeordnete mit ihren Familien in die Hauptstadt und trafen | |
sich abends auch mal in einer Kneipe mit KollegInnen der anderen Fraktion. | |
Das ist heute undenkbar. Man nutzt die Sitzungswochen für Ausschüsse und | |
Plenarsitzungen, trifft sich mit Lobbyisten – und fliegt so schnell wie | |
möglich wieder weg. Vertrauen und parlamentarische Kollegialität können so | |
nicht entstehen. | |
## Der Kampf wird mit den eigenen Parteigängern geführt | |
Die nach jeder Volkszählung von den Gouverneuren durchgeführte | |
Neuabgrenzung der Wahlbezirke zugunsten deutlicherer Mehrheiten für | |
Republikaner oder Demokraten, das sogenannte Gerrymandering, tut das | |
Übrige: Der eigentliche Kampf wird nicht mehr mit dem politischen Gegner | |
geführt – die Bedrohung für die eigene Wiederwahl liegt in der Vorwahl der | |
eigenen Parteigänger. | |
Für moderate, kompromissbereite Republikaner gab es in den letzten Jahren | |
keine größere Bedrohung als ein gut finanzierter Gegenkandidat der Tea | |
Party, der ihnen anhand ihres Abstimmungsverhaltens Verrat an der Sache | |
vorwirft. Im Ergebnis sind Moderate, die mit der Gegenseite arbeiten | |
konnten, fast völlig aus dem Kongress verschwunden. | |
Mickey Edwards, republikanischer Abgeordneter zwischen 1977 und 1993, sagt, | |
die heutigen Republikaner fühlten sich gar nicht als Gesetzgeber (die | |
Aufgabe des Kongresses), sondern als Krieger für die republikanische Sache. | |
Und das heißt, spätestens seit Newt Gingrichs „konservativer Revolution“ | |
von 1994: Schlag Demokraten und Linksliberale, wo immer du sie findest. | |
Im Parlament bedeutet diese Polarisierung, alle Schutzvorkehrungen für die | |
Minderheitsrechte zur Blockade zu verwenden. Der berühmte „Filibuster“ des | |
Senats etwa: Die Geschäftsordnung sieht vor, dass nur mit mindestens 60 der | |
100 Stimmen beschlossen werden kann, eine Debatte zu beenden und zur | |
Abstimmung zu schreiten. | |
Ergebnis heute: Wer 41 Stimmen hat, bildet eine Sperrminorität und kann | |
verhindern, dass die Mehrheit ein Gesetz verabschiedet. Kam der | |
„Filibuster“ früher nur ausnahmsweise zum Einsatz – ist er heute die Reg… | |
Im Ergebnis heißt das: Jeder kann fast alles blockieren, aber niemand kann | |
etwas durchsetzen. Bedeutsame Reformen waren in den USA schon immer schwer | |
zu erreichen. Inzwischen klappt nicht einmal mehr das Routinegeschäft. | |
Außenhandelsverbandschef Börner hat Recht: Ein unwürdiges Schauspiel. Die | |
mitunter ätzende Suche der deutschen Politik nach stabilen Mehrheiten | |
gewinnt im Vergleich eine ungeahnte Attraktivität. | |
18 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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