# taz.de -- Experte über deutsche Salafisten in Syrien: „Nicht sich selbst �… | |
> Der Bürgerkrieg in Syrien zieht deutsche Salafisten an. Der Staat muss | |
> auf diese Radikalisierung reagieren und Rückkehrern helfen, sagt Experte | |
> Michael Kiefer. | |
Bild: Salafismus mit friedlichem Anlitz: betende Anhänger des Predigers Pierre… | |
taz: Herr Kiefer, mehr als 200 deutsche Islamisten sollen derzeit in Syrien | |
sein, um im Bürgerkrieg gegen Machthaber Assad zu kämpfen, sagt der | |
Verfassungsschutz. Werden diese Kämpfer hier gezielt rekrutiert, oder | |
fahren die aus eigenem Antrieb dahin? | |
Michael Kiefer: Das wissen, wenn überhaupt, nur die Geheimdienste. Aber wir | |
können davon ausgehen, dass diese jungen Leute aus salafistischen Gruppen | |
stammen und sich dort dann relativ rasch radikalisiert haben. Diese Gruppen | |
sind aber nicht in festen Moscheegemeinden organisiert. | |
Handelt es sich dabei nur um Salafisten? | |
Es gibt in Westeuropa derzeit eine Vielzahl von islamistischen Gruppen, die | |
Hilfe für Syrien organisieren. Das reicht von humanitärer Hilfe und | |
Medikamenten bis zum Geld sammeln, um Waffen für Kombattanten zu kaufen. | |
Aber in der salafistischen Szene ist Syrien derzeit das zentrale Thema und | |
ein großer Mobilisierungsfaktor, wie man an den einschlägigen | |
YouTube-Videos im Internet ablesen kann. | |
Salafisten erkennt man rein äußerlich an ihren Bärten und ihren langen | |
Gewändern, die Frauen tragen Ganzkörperschleier. Was unterscheidet sie aber | |
ideologisch von anderen Islamisten wie den Muslimbrüdern? | |
In Ägypten konnte man sehen, dass die Muslimbruderschaft dort als | |
politische Organisation aufgetreten ist und sich Wahlen gestellt hat. Bei | |
den Salafisten war es bis vor Kurzem noch anders: Sie vertreten ein Konzept | |
von Souveränität, hakkimiya, das alleine Gott zusteht und nicht dem | |
Menschen. Deswegen hat man sich lange nicht an Wahlen beteiligt, sondern | |
auf individuelle und demonstrative Frömmigkeit gesetzt. Da gibt es aber | |
inzwischen ein Umdenken, wie etwa die Gründung der Partei an-Nur in Ägypten | |
gezeigt hat. | |
Wo liegen die ideologischen Wurzeln des Salafismus? | |
Das Spektrum ist außerordentlich vielfältig. Manche Gruppen orientieren | |
sich an Scheich Nasiruddin Al-Albani (1914-1999), der einen Islam fernab | |
von der Politik predigte. Und es gibt hochpolitisierte Salafisten, die sehr | |
radikale Vorstellungen bis hin zum bewaffneten Kampf vertreten. Der | |
Wahhabismus, also die Staatsideologie Saudi-Arabiens, spielt aber eine | |
zentrale Rolle. | |
Wie modern ist diese Ideologie, die sich in den Gewändern der Vergangenheit | |
kleidet? | |
Der Wahhabismus kann auf eine Geschichte von 200 Jahren zurückblicken. Ein | |
Massenphänomen ist der Salafismus aber erst seit den 1970er-Jahren | |
geworden, als sich die Bewegung weltweit ausgebreitet hat. | |
Was macht den Salafismus für deutsche Jugendliche attraktiv? In der Szene | |
finden sich auffällig viele Konvertiten. | |
Sicher sind persönliche Faktoren wie Lebenskrisen ein Grund, sich der | |
salafistischen Ideologie zuzuwenden. Dann ist es sehr wichtig, wer wen wann | |
getroffen hat. Meist sind aber mehrere Faktoren im Spiel, man muss jeden | |
Einzelfall betrachten. Man kann nicht sagen, bildungsferne Jugendliche oder | |
Deutschtürken wären besonders gefährdet. Es gibt auch junge Konvertiten aus | |
christlichen oder russlanddeutschen Familien. | |
Die Bundesregierung hat salafistische Hassprediger ausgewiesen und Vereine | |
verboten. Müsste sie nicht mal in Saudi-Arabien vorsprechen, um den | |
Propaganda-Import von dort zu unterbinden? | |
Würde das etwas nutzen? In der Tat sind die saudischen Bemühungen | |
erheblich, da fließt unheimlich viel Geld. Aber im Internet ist eine | |
Vielzahl von salafistischen Angeboten zu finden. Mit Verboten kann man | |
dieser Bewegung deshalb nicht beikommen. Präventionsmaßnahmen bringen da | |
mehr. Leider ist dieser Bereich in Deutschland noch unterentwickelt. | |
Auch wenn sie nicht zur Gewalt aufrufen, steht ihre ultraorthodoxe | |
Auslegung des Islam doch im Widerspruch zu demokratischen Werten und der | |
Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wie soll sich die deutsche | |
Gesellschaft zu den Salafisten verhalten? | |
Sofern sich Salafisten in ihren Predigten und Aktivitäten an gültiges Recht | |
halten, fällt das unter die Religionsfreiheit, da hat der Staat keine | |
Handhabe. Er muss solche Bewegungen schlicht und einfach zulassen, auch | |
wenn es ihm missfällt. Problematisch wird es dort, wo Freiheitsrechte | |
anderer Menschen eingeschränkt werden. | |
Ist die Gewalt in der salafistischen Ideologie angelegt? | |
Grundsätzlich ist der Salafismus in diese Richtung anschlussfähig. Aber | |
deswegen können wir nicht die ganze Bewegung verbieten. Es gibt auch | |
moderate Salafisten, deren Moscheegemeinden friedfertig sind und die eine | |
Jugendarbeit machen, die Jugendliche von Gewalt abhält. Da kann man nicht | |
sagen, denen muss man Einhalt gebieten. | |
Muss man mit moderaten Salafisten wie dem Leipziger Imam Hassan Dabbagh | |
einen Dialog führen? Ist es richtig, ihn in Talkshows einzuladen, wie es | |
Sandra Maischberger schon mal gemacht hat? | |
Ich würde diesen Leuten keine Plattform bieten, auf der sie ihre Ideologie | |
verbreiten können. Die Salafisten wissen, sich in Szene zu setzen. Mit | |
ihrer Koran-Verteil-Aktion haben sie gezeigt, wie man mit einem relativ | |
geringen Aufwand ein sehr großes Medienecho erreichen kann. Die öffentliche | |
Empörung hat ihnen noch in die Hände gespielt. | |
Wie kann man der Radikalisierung von Jugendlichen vorbeugen, die über den | |
Salafismus in die Militanz abgleiten? | |
Das Spektrum der möglichen Maßnahmen reicht von der primären Prävention, | |
die nicht zielgruppenspezifisch ist, bis hin zu indizierten Maßnahmen, die | |
sich gezielt an Menschen richten, die schon straffällig geworden sind, wie | |
bei der Arbeit mit Gefangenen. Für alle Maßnahmen braucht man aber andere | |
Akteure. | |
Bei der primären Prävention geht es darum zu verhindern, dass Jugendliche | |
in salafistische Kreise geraten - und bei der sekundären Prävention darum, | |
dass sie von dort in die Militanz abgleiten? | |
Genau. In der Regel bekommt es das direkte Umfeld - also die Lehrer, die | |
Leute im Jugendzentrum oder die Mitglieder der Peer Group - ja mit, wenn | |
sich jemand radikalisiert. Da gibt es bei allen Menschen ein Fenster, indem | |
sie sich zugänglich zeigen – das muss nur jemand machen. Denn irgendwann | |
ist es zu spät. Wenn sie in relativ abgeschottete Gruppen abdriften, die | |
ihre eigenen Diskurse führen, dann ist es schwierig, noch an sie | |
ranzukommen. In Großbritannien gibt es weitreichende Präventionsprogramme. | |
Ein Blick nach dort könnte uns Impulse geben, was sich hier noch verbessern | |
lässt. | |
Was sollte denn mit denen passieren, die aus dem Bürgerkrieg in Syrien nach | |
Deutschland zurückkehren? | |
Derzeit betrachten wir sie nur als Gefährder und lassen sie durch die | |
Verfassungsschutzbehörden beobachten. Wichtiger wäre es aber zu schauen: In | |
welchem Zustand kommt der Mensch zurück? Wenn jemand als gestählter Kader | |
aus dem Bürgerkrieg zurück kommt und terroristische Absichten hegt, dann | |
ist er ein Fall für die Sicherheitsbehörden. Ist er aber traumatisiert und | |
zurückgekehrt, weil er die Grausamkeit nicht mehr ausgehalten hat, dann | |
muss man ihm helfen. Das wäre eine Aufgabe für die Jugendhilfe, die Stadt | |
oder die Kommune. Auf jeden Fall kann man die Leute nicht sich selbst | |
überlassen. | |
23 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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