| # taz.de -- Eine Besichtigung linker Scharmützel: Wie hältst du’s mit dem D… | |
| > Anlässe, sich über den Nahen Osten zu streiten, gibt es im Norden genug – | |
| > der nächste ist der Besuch des israelischen Israelkritikers Moshe | |
| > Zuckermann in Kiel. | |
| Bild: Stets ein Anlass für Zwistigkeiten: Flagge des Staates Israel. | |
| HAMBURG taz | Hamburg, Schanzenviertel. Die Rote Flora ist nur ein paar | |
| Hausnummern weiter, dazwischen hat mancher Autonome sein Sparkassenkonto, | |
| isst morgens sein Croissant aus lokaler Fertigung. Ein Stück die Straße | |
| runter, das Schulterblatt, saß lange das Freie Sender Kombinat, Hamburgs | |
| als links sich verstehendes Lokalradio. | |
| Zwei Bücher auf dem Grabbeltisch vor dem Schanzenbuchladen, auch so einer | |
| linken, manche würden sagen: altlinken Institution im Viertel: Henryk M. | |
| Broders „Der ewige Antisemit“ und „Israel – Palästina. Die Hintergrün… | |
| eines unendlichen Konflikts“ von Alain Gresh. | |
| Einerseits eine polemische Streitschrift wider den Antizionismus, als der | |
| sich – dem Ex-Linken Broder zufolge – ein spezifisch linker Antisemitismus | |
| bemäntele, und das nicht erst 1985, als das Buch erstmals erschien. | |
| Andererseits eine betont an Junge gerichtete, dadurch in ihren Auslassungen | |
| und Unschärfen nur teilweise zu erklärende Darstellung des Nahostkonflikts, | |
| verfasst vom langjährigen Chefredakteur der Le Monde diplomatique. | |
| Gerade mal eine Handbreit entfernt voneinander finden sich da also zwei | |
| Sichtweisen auf einen politischen Konflikt, der sich am anderen Ende des | |
| Mittelmeers zutragen mag – aber wie kein zweiter linke Debatten befeuert. | |
| ## Akteure im innerlinken Konflikt | |
| „Die Gaza-Hilfsflottille, Antisemitismusvorwürfe gegen die Partei DIE | |
| LINKE, aufgebrachte Reaktionen auf Günter Grass’ Gedicht ’Was gesagt werden | |
| muss‘ – in schöner Regelmäßigkeit finden sich Anlässe, zu denen in der | |
| Bundesrepublik auch und gerade die politische Linke mit aller Vehemenz über | |
| den Nahostkonflikt sowie das Verhältnis zu Israel und den | |
| Palästinenser/innen streitet“, schreibt auch Peter Ullrich in seinem soeben | |
| erschienenen Buch „Deutsche, Linke und der Nahostkonflikt“ (Wallstein | |
| Verlag, Göttingen, 207 S., 19,90 Euro). | |
| Akteure in diesem innerlinken Konflikt – einer Art Farce, zu der ja ein | |
| sehr reales, Opfer forderndes Original die Tragödie liefert – waren und | |
| sind zwei kaum miteinander zu versöhnende Fraktionen der Linken, | |
| insbesondere der radikalen. Auf der einen Seite stehen, verkürzt und | |
| vergröbert: die Antiimperialisten. | |
| Dieser Seite gilt Israel als Produkt des Kolonialismus und Vorposten des | |
| Westens. Die zionistische Idee einer Heimstatt für die Juden fällt da in | |
| eins mit der Vertreibung der angestammten dort sich aufhaltenden arabischen | |
| Bevölkerung, mit Landnahme und Besatzung. | |
| Diese Sicht der Dinge, wonach die Palästinenser wie andere nationale | |
| Befreiungsbewegungen zu unterstützen seien, darf seit 1967 als maßgeblich | |
| innerhalb der europäischen, der deutschen Linken gelten: Mit dem | |
| Sechs-Tage-Krieg verlor Israel sozusagen seine Unschuld, wurde zum | |
| Aggressor; parallel dazu entdeckte spätestens 1967 ein nennenswerter Teil | |
| der deutschen Konservativen ihr Herz für Israel: Vormalige | |
| Wehrmachtsangehörige nahmen anerkennend wahr – diese Juden können ja | |
| Blitzkrieg! | |
| ## Einzig zulässige Konsequenz | |
| Auf der anderen Seite findet sich, was zumeist die „antideutsche“ Position | |
| genannt wird: eine vergleichsweise junge Strömung innerhalb der Linken, | |
| entstanden um die Zeit der deutschen Wiedervereinigung und des Irak-Kriegs. | |
| Ihren Vertretern gilt die Gründung Israels als zwingende Konsequenz aus der | |
| Ermordung von Millionen Juden durch das nationalsozialistische Deutsche | |
| Reich. | |
| Eine logische, ja: die einzig zulässige Konsequenz aus der deutschen | |
| Geschichte ist demnach die unbedingte Solidarität mit Israel, dessen | |
| muslimische Nachbarn das von den Deutschen begonnene Menschheitsverbrechen | |
| zu vollenden trachteten – wenn man sie machen ließe. | |
| „Die am lautesten wahrnehmbaren Stimmen kennen oftmals nur ein | |
| Entweder-oder“, heißt es bei Ullrich: „Sie verfügen über unverbrüchliche | |
| Identifizierungen mit einer der Konfliktseiten, bekämpfen sich gegenseitig | |
| auf Basis fest gefügter Feindbilder, äußern – obwohl Zweifel doch so oft | |
| angebracht wäre – mit äußerst geringer Selbstreflexion verbundene rigide | |
| Antisemitismusvorwürfe oder weisen – das andere Extrem – solche mit schon | |
| fast verblüffender Leichtigkeit reflexhaft zurück.“ | |
| „Was soll der Quatsch?“, wendet, von hinten links, ein altgedienter | |
| taz-Kollege ein, im Rote-Flora-Umfeld so souverän unterwegs wie einst unter | |
| streikenden Werftarbeitern. Will wissen, ob’s wirklich nichts Wichtigeres | |
| gibt, als wieder „Antiimps“ und „Antideutsche“ aufeinander zu hetzen. Z… | |
| jetzt, wo man doch wieder gemeinsam für die Lampedusa-Flüchtlinge kämpft | |
| und der niedersausende Polizeiknüppel keine Unterschiede macht? | |
| Sicher: Die Verfeindeten tragen ihre Scharmützel derzeit nicht mit | |
| Dachlatten aus. Nicht alle Wunden aber, die man einander schlug, sind | |
| verheilt. Und es muss den Blick nicht weit über den Hamburger Tellerrand | |
| hinaus richten, wer wieder darauf stoßen will: auf alt bekannte Motive, | |
| Gemengelagen und Akteure. | |
| So wurde zu Beginn dieser Woche erst in Göttingen eine Handvoll | |
| Protestierender des Theatersaals verwiesen, in dem der Journalist und | |
| Buchautor Jakob Augstein lesen sollte. Verantwortlich für den Protest: ein | |
| Arbeitskreis „Ohne Zweifel antisemitisch“. Der Chef der Wochenzeitung | |
| Freitag, im eigenen Verständnis ein Linker, ist wiederholt wegen | |
| israelkritischer Aussagen zum Nahostkonflikt in die Kritik geraten und fand | |
| sich Ende des vergangenen Jahres in einem Antisemiten-Ranking des Simon | |
| Wiesenthal Center wieder. | |
| ## „Ideologische Waffe“ | |
| Oder Bremen: Da eskalierte im Juni ein Streit im Linkspartei-Kreisverband | |
| „Links der Weser“ derart, dass der Vorstand ausgewechselt wurde. Anlass war | |
| eine von der Linken ausgerichtete Veranstaltung mit der Hamburger | |
| Publizistin Susann Witt-Stahl – Thema: der Antisemitismusvorwurf gegen | |
| Linke als „ideologische Waffe“ von Neo-Konservativen und Kriegstreibern. | |
| Was die Sache besonders machte: Zwei jüdischen Gästen wurde an jenem Abend | |
| der Zutritt verwehrt, ob der Saal wirklich zu voll war, ist umstritten. Im | |
| Nachgang distanzierte sich der Linken-Kreis-Sprecher Michael Horn von der | |
| Veranstaltung, sagte sogar, er „schäme“ sich. Im zwischenzeitlich neu | |
| gewählten Kreis-Vorstand sitzt er nicht mehr. | |
| Oder Kiel: Da trat im Mai der norwegische Friedensforscher Johan Galtung | |
| auf. Im dritten Anlauf und auch nicht, wie es anfangs geplant gewesen war, | |
| in Räumen der dortigen Universität. In den Worten der Veranstalter – die | |
| örtliche Gliederung der „Internationalen Ärztinnen und Ärzte für die | |
| Verhütung des Atomkrieges“ in Zusammenarbeit mit der | |
| schleswig-holsteinischen Landeszentrale für Politische Bildung und der | |
| Heinrich Böll Stiftung – waren die früheren Versuche, Galtung sprechen zu | |
| lassen, durch „den sog. ’Antideutschen‘ zumindest nahe stehende“ Akteure | |
| verhindert worden, – „mit teilweise faschistoiden Methoden“. Diese | |
| bestanden, durchaus paradox, in einer „üblen Unterstellung“ – Galtung sei | |
| Antisemit. | |
| In der Tat: Im vergangenen Dezember, da hatte man den zweiten Anlauf | |
| genommen, dem 82-Jährigen ein Podium zu bieten, waren die | |
| Ankündigungsplakate von Unbekannten überklebt worden: „Abgesagt wegen | |
| Antisemitismus“ stand da. Auch im Mai nun war etwa beim örtlichen Blog | |
| „KielKontrovers“ – unter der Überschrift „Beschämend: Galtung in Kiel… | |
| die Rede vom „bekennenden Antisemiten“, der da aufgetreten sei. | |
| Wie gerechtfertigt das ist, darüber herrscht nach der Veranstaltung so | |
| wenig Einigkeit wie zuvor. Der Sozialwissenschaftler und Mathematiker hat | |
| in der Vergangenheit die nachweislich von US-amerikanischen | |
| Rechtsextremisten in Umlauf gebrachte These weiterverbreitet, die dortigen | |
| Medien würden zu 96 Prozent von Juden kontrolliert. Zuvor hatte er es | |
| zumindest für möglich gehalten, dass der israelische Geheimdienst Mossad | |
| und der norwegische Massenmörder Anders Breivik in Verbindung standen. | |
| Auch jetzt in Kiel äußerte er mindestens Zweierlei, das die Bezeichnung | |
| „Antisemit“ nicht als bloße Unterstellung erscheinen lässt: Mit Blick auf | |
| die Weimarer Republik sprach er von angeblichen Unterlegenheitsgefühlen der | |
| „deutschen“ Mehrheit gegenüber einer Minderheit, den Juden, die mit | |
| ökonomischer und kultureller Macht ausgestattet gewesen seien, aber nicht | |
| mit politisch-militärischer. | |
| ## Rezept gegen Antisemitismus | |
| Und dann Galtungs Rezept gegen Antisemitismus: „Finde heraus, welche | |
| Vorurteile es gibt. Wenn du sie bestätigst, sei nicht verblüfft, dass es | |
| diese Vorurteile gibt.“ Folgerichtig empfahl er einer Bank wie Goldman | |
| Sachs – „mit jüdischem Namen“ –, als erste keine dubiosen Anlageproduk… | |
| mehr anzubieten, wie sie zur weltweiten Finanzkrise geführt hätten. | |
| Schon im Mai kündigten die Veranstalter an, sich weiter der Frage widmen zu | |
| wollen, inwieweit der Anwurf „Antisemit“ ein politisches Instrument sei. | |
| Für den 4. November nun haben sie den israelkritischen Tel Aviver | |
| Soziologen, Historiker und Philosophen Moshe Zuckermann eingeladen. Er | |
| spricht über den „Krisenherd Naher Osten – historische und aktuelle Aspekte | |
| im Kräftefeld des Umgangs mit Schuld, Antisemitismus und deren | |
| Instrumentalisierung“. Und das – voraussichtlich – auch an der Universit�… | |
| Um „die unheimliche Popularität der ’Israelkritik‘ und das unstillbare | |
| Verlangen nach jüdischen Kronzeugen“ geht es schon am 28. Oktober an | |
| gleicher Stelle, der Alten Mensa. Es referiert der Publizist Alex | |
| Feuerherdt. Die Debatte also geht weiter. In Kiel, wie es scheint, derzeit | |
| ohne Nazi-Methoden. Sondern ganz zivil. | |
| Den kompletten Themenschwerpunkt "Linker Antisemitismus" finden Sie in | |
| unserer gedruckten Wochenendausgabe am Kiosk oder [1][hier] | |
| 25 Oct 2013 | |
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| Alexander Diehl | |
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