| # taz.de -- Karl-Heinz Dellwo über die Linke und Israel: "Die Idiotie eines po… | |
| > Karl-Heinz Dellwo war früher Terrorist. Heute verlegt er die „Bibliothek | |
| > des Widerstands“. Ein Gespräch über das RAF-Bündnis mit den | |
| > Palästinensern und das schwierige Verhältnis vieler Linker zu Israel. | |
| Bild: Geriet in der Auseinandersetzung um die Blockade des Films "Warum Israel"… | |
| taz: Herr Dellwo, in welchem Zustand fanden Sie die Linke vor, als Sie 1995 | |
| aus der Haft entlassen wurden? | |
| Karl-Heinz Dellwo: Aus meiner Sicht war alles in einem eher trostlosen, | |
| klein dimensionierten Zustand. Wir haben vorher immer auf einer Weltebene | |
| gedacht, sozusagen „den großen Kampf“ – und dann traf ich auf eher kleine | |
| Gruppen. Ich hatte hier und da mal reingeschaut, Gruppen, manchmal fünf | |
| oder sechs Leute, und bin schnell auf große Erwartungen gestoßen. Manchmal | |
| hatte ich das Gefühl, die tragen dir jetzt die Führung ihrer Kleingruppe | |
| an. | |
| Ich wollte aber nicht da ansetzen, wo ich 1973 oder 1974 war. Die | |
| gesellschaftliche Situation war eine ganz andere. Die Aufbruchstimmung war | |
| weg. Für mich hat es überhaupt nicht gepasst. Ich konnte und kann meine | |
| Erfahrungen nicht ignorieren. Wir alle hatten ein Problem: Auch unsere | |
| eigene Sache war gescheitert und beendet. | |
| Ging es damals schon um den Konflikt zwischen den Antideutschen und den | |
| Antiimps? | |
| Habe ich für Mitte der Neunzigerjahre nicht in Erinnerung. In Erinnerung | |
| geblieben ist mir der Konflikt in der Geschlechterfrage, an sich nötig, | |
| dann aber auch überzogen darin, dass jede männliche Unsensibilität zur | |
| Vergewaltigung hochstilisiert wurde. Das waren für mich so | |
| Auseinandersetzungen, wo ich dachte, der alte linke Ansatz ist jetzt ans | |
| Ende angekommen, bestimmend wird das Bedürfnis nach einer Erfahrung, die | |
| ich als reaktionär bezeichnen würde: Suche nach dem Triumph über andere, | |
| also nach einer Psychokrücke. Das Bewegungsfeld war kleiner geworden und | |
| nun stritt man sich über das kleine Territorium, das noch übrig war. | |
| Haben Sie sich denn inhaltlich genauer mit dem Konflikt befasst? | |
| Ich habe die Texte der Gruppen gelesen, aber mich hat das nicht | |
| angesprochen. Ich habe nichts gefunden, was Raum öffnet – aber viel | |
| Knüppelschwingen auf die Anderen. Das ist sowas von sinnlos. Wir waren | |
| früher weiter. | |
| In der Auseinandersetzung um die Blockade von Claude Lanzmanns Film „Warum | |
| Israel“ durch Antiimperialisten sind Sie dennoch zwischen die Fronten | |
| geraten. | |
| Propalästinensische Dogmatiker wollten den Lanzmann-Film verhindern. Das | |
| war unerträglich. Ich kann harte Positionen vertreten, ich kann aber mit | |
| Fanatismus nichts anfangen. Deshalb habe ich mich positioniert, und dann | |
| wurde mir von ihnen ein Seitenwechsel vorgeworfen. Außer Ironie fällt mir | |
| dazu nichts mehr ein. Deswegen habe ich damals gesagt: Das sind Positionen | |
| aus einem linksradikalen Altenheim, überlebtes Äußerliches aus den | |
| 70er-Jahren. | |
| Die haben, indem sie die Filmvorführung verhindert haben, noch mal ihre | |
| Identität bekräftigt. Primär ging es da meiner Meinung nach nicht um eine | |
| politische Position, sondern darum, wie man fragile Identitäten gegen eine | |
| unbegriffene Erosion schützt. | |
| Um den Preis der Zensur … | |
| Ich habe mich im Gefängnis viel mit den 30er-Jahren und dem Stalinismus | |
| beschäftigt, der Abwesenheit jeder gesellschaftlichen Emanzipation; eine | |
| fehlende, unverzichtbare Realität, die durch Dogmen und Hierarchien ersetzt | |
| wurde im Interesse von Führern oder Parteien. Auf Lanzmann bezogen – eine | |
| solche Position unterdrücken zu wollen, das darf man nicht mitmachen. | |
| Danach habe ich mich näher mit den Positionen der Antideutschen | |
| beschäftigt. | |
| Mit welchem Ergebnis? | |
| Dass bei ihnen auch die Stellvertreterrolle vorherrscht. Ich habe damals | |
| einem ihrer Vertreter geschrieben, dass in der Stellvertreterrolle von den | |
| einen die Israelis, von den anderen die Palästinenser nur benutzt sind. Es | |
| sind Kämpfe um ideologische Hegemonien, keine um emanzipatorische | |
| Positionen. Ich habe vor der Roten Flora eine Auftaktveranstaltung gefilmt, | |
| die dann in eine Demonstration zur B 5 überging. Da standen junge Linke mit | |
| Israelfahnen und mir kam das vor wie die Suche nach einer anderen | |
| nationalen Identifikation. Auf dieser Demonstration wurden dann idiotische | |
| Parolen skandiert: „Wir tragen Gucci, wir tragen Prada, Tod der Intifada“. | |
| So ging es zur B 5. | |
| … dem internationalen Zentrum in der Brigittenstraße auf St. Pauli … | |
| Ich stehe da so mit meiner Kamera. Da kommen aus diesem Block der | |
| Antideutschen vier oder fünf Jugendliche und rennen mit einer Israelfahne | |
| in der Hand auf die B 5-Leute zu und schreien „Israel, Israel, Israel“. | |
| Daraufhin geht es wie ein Hundegekläff auf der anderen Seite los: | |
| „Palästina, Palästina, Palästina“. Und du denkst, so, jetzt fangen sie a… | |
| sich zu kloppen, doch nach einem Überraschungsmoment rennt die Polizei | |
| dazwischen. Gott sei dank, großes Lob, muss ich sagen, manchmal auch an die | |
| Hamburger Polizei. | |
| Eine antideutsche Talibangruppe gegen die B 5-Talibans, beide vereint in | |
| dem Glauben, dass die jeweils anderen das Übel der Welt sind. Ich ging dann | |
| zu einem ihrer Sprecher und sagte, naja, das, was ihr hier macht, ist ja | |
| auch nur Provokation. Als Antwort bekam ich: mit provozierten Reaktionen | |
| zeige man an, was die andere Seite ist. Auch nur die Idiotie eines | |
| politischen Zirkelschlusses. | |
| Die RAF war propalästinensisch und antizionistisch. Wie umstritten war | |
| diese Position in der Linken damals? | |
| In meinem Umfeld war sie nicht umstritten. Ich glaube, auch bei keiner der | |
| anderen linksradikalen Strömungen. Propalästinensisch ist schon richtig, | |
| aber was war eigentlich der Hintergrund dieser Identifikation mit den | |
| Palästinensern? Wir haben hier in Deutschland gesessen und wollten einen | |
| revolutionären Kampf machen und wir wollten mit dem Nationalen rein gar | |
| nichts zu tun haben. Die politischen Koordinaten aus 67 und 68 waren | |
| bestimmt vom Antiimperialismus, einem international sich vereinigenden | |
| Befreiungskampf. | |
| Damals sind die USA als stärkste imperialistische Macht im Westen, Krieg | |
| führend gerade in Vietnam und auf Seiten der übelsten Diktatoren in der | |
| Welt, der Hauptfeind gewesen, gegen die wollte man eine Front aufbauen. Und | |
| da hat man geschaut, mit wem kann man das machen. Man darf einfach nicht | |
| vergessen, dass es damals nicht um ein Palästina, sondern um eine | |
| sozialistische Welt ohne Grenzen ging. Alle, die da reingepasst haben, | |
| waren unsere Verbündeten. | |
| War die RAF antisemitisch? | |
| Erst mal müssen wir definieren: Was ist Antisemitismus? Wenn ich die | |
| Zeitschrift konkret über lange Jahre als Maßstab nehme, dann ist jede | |
| Kritik an Israel antisemitisch. Dem folge ich nicht. Ich stelle keinem | |
| Staat und keiner Regierung irgendeine Generalvollmacht aus. Übrigens auch | |
| keiner politischen Gruppe. Antisemitismus ist doch erst mal, dass du dem | |
| Juden vorwirfst, dass er Jude ist. Dass du ihm etwas absprichst, ihn | |
| kränkst, ihm etwas andichtest, nur aufgrund dessen, dass er Jude ist. Was | |
| die RAF betrifft – ich habe den Text von Ulrike Meinhof zum „Schwarzen | |
| September“ gelesen … | |
| Über das Attentat 1972 in München, bei dem Palästinenser elf israelische | |
| Sportler erschlossen. Meinhof schreibt, Israels Regierung habe die Sportler | |
| „verheizt wie die Nazis die Juden“. | |
| Der wird ja heute in bestimmten Kreisen so definiert, als sei Ulrike | |
| Meinhof Antisemitin gewesen. Das sind so die fortdauernden | |
| Abrechnungsbedürfnisse uns, also der RAF gegenüber. Ich finde in dem Text | |
| eine demütige Haltung gegenüber scheinbaren Revolutionären in einem anderen | |
| Teil der Welt, bemüht zu zeigen, dass man nicht im Kontext der herrschenden | |
| Ideologie agiert. Ich habe zu Anfang meiner Isolationshaft intern mal | |
| geschrieben: „Wir sind die neuen Juden.“ Das war falsch und würde ich heute | |
| auch nicht wiederholen. | |
| Das Nazi-Reich lag gerade 25 Jahre hinter uns. Das waren so übermächtige | |
| Verbrechen, die bekam man nicht in den Griff. Auch Texte von Ulrike Meinhof | |
| werden von heute aus gesehen keinen Bestand haben, wie so viele andere. Sie | |
| jetzt als Antisemitin zu bezeichnen, das kann man nur machen, wenn man die | |
| Person schmähen will. | |
| Wann haben Sie gezweifelt, ob das die richtige Position zu Israel ist? | |
| Das sind ja zwei verschiedene Positionen. Das eine ist die Position zu | |
| Israel. Und die andere ist ja, ob man die Palästinenser beziehungsweise | |
| einen Teil von ihnen als Befreiungsbewegung definiert, mit der man was | |
| gemeinsam macht. Meine Position zu Israel war, dass wir gar keine Nation | |
| brauchten. Ich habe mich in Grund und Boden geschämt, wenn ich im Ausland | |
| war und sagen musste, dass ich ein Deutscher bin. Wir wollten aus diesem | |
| Deutschen raus und Internationalisten sein. | |
| Der Gedanke, dass es einen Staat Israel geben muss, den man verteidigen | |
| muss, hängt bei mir mit den Zeitpunkt zusammen, an dem ich wusste, dass wir | |
| es nicht schaffen werden, die Welt zu ändern. Dass wir historisch längst | |
| nicht an dem Punkt sind, eine konkrete Zukunft zu haben, in der die Grenzen | |
| aufgehoben sind und in der Sozialismus in vielen Gebieten in der Welt | |
| eingeführt wird. In dem Moment fängst du natürlich an, dich damit zu | |
| beschäftigen, was die Realitäten sind. Da kommst du zu minderen | |
| Vorstellungen von dem, was wenigstens ein Stück Befreiung, Gerechtigkeit | |
| oder Emanzipation ist. | |
| Wie sieht das Mindere aus? | |
| Heute? Wie kann alles weniger gewalttätig werden. Man muss in Palästina und | |
| zwischen Israel und Palästina Strukturen aufbauen, die den Menschen die | |
| Perspektive geben, ein sinnvolles Leben aufzubauen. Beide müssen ihre | |
| Sicherheiten haben. Ich bin allerdings ziemlich pessimistisch, nicht nur, | |
| was diesen Konflikt betrifft. Denn im globalisierten Kapitalismus zerfällt | |
| gerade für Millionen Menschen die Zukunftshoffnung. Dass die die Israelis | |
| und die Palästinenser es alleine hinbekommen, glaube ich nicht. Zu oft und | |
| zu lange ist da der Hass und die Feindschaft erneuert worden. So was hält | |
| bekanntlich Generationen lang. Eine Lösung, die nicht international | |
| abgesichert ist, teilweise auch international finanziert ist, sehe ich | |
| nicht. | |
| Für was steht denn der Konflikt in der deutschen Linken dann? | |
| Für mich sind das Ersatzidentitäten, zu denen man greift, weil man nicht | |
| weiß oder nicht wissen will, dass man selber keine soziale Perspektive hat | |
| für seinen eigenen gesellschaftlichen Widerspruch und das, was eine | |
| Befreiung sein könnte. Wir hatten davon mal was in der Hand. In Teilen der | |
| Gesellschaft gab es das Gefühl, wir können das alles anders machen – wir | |
| haben es wahrscheinlich alle als Sehnsucht, aber nicht mehr als | |
| handlungsbefähigenden Begriff. Der Kapitalismus hat sich wie ein Zombie | |
| verselbständigt, in dem das Leben unentrinnbar eingekerkert scheint. | |
| 27 Oct 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Lena Kaiser | |
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