# taz.de -- Die letzte Ruhestätte: Von kleinen Händen gehämmert | |
> Grabsteine aus indischen Steinbrüchen, in denen Kinder schuften. Auf | |
> deutschen Friedhöfen stehen sie zuhauf. Die Kommunen zögern mit | |
> Verbotsregelungen. | |
Bild: Es werde versucht, weltpolitische Probleme auf kommunaler Ebene zu lösen… | |
STUTTGART dpa | „Wollen Sie, dass Ihre Großmutter unter dem Blut indischer | |
Kinder begraben wird?“ Ganz so krass wie Ex-Sozialminister Norbert Blüm | |
(CDU) möchte Benjamin Pütter seinen Appell für Grabsteine ohne Kinderarbeit | |
nicht formulieren. | |
In moderaterer Wortwahl mahnt der Kinderarbeitsexperte zu Allerheiligen, | |
dem Tag der Totenehrung, die Verbraucher: „Sie können mit Ihrer | |
Entscheidung dazu beitragen, dass die Kinder mehr Entwicklungsmöglichkeiten | |
haben, als dass der Hammer größer wird.“ Pütter setzt sich dafür ein, dass | |
in den Steinbrüchen Indiens keine Kinder ausgebeutet werden. | |
Nach Schätzung des Naturwerkstein-Verbands kommen bis zu 50 Prozent der | |
Grabsteine in Deutschland aus Indien, andere Experten sprechen sogar von 80 | |
Prozent. Der Vorteil dieser Steine: ihr Preis. Sie sind bis zu einem | |
Drittel günstiger. | |
Deutsche Kommunen können im Kampf gegen Kinderarbeit helfen, indem sie | |
solche Grabsteine per Friedhofssatzung verbieten. Das geht allerdings nur | |
auf Basis entsprechender Normen in den Bestattungsgesetzen der Länder. | |
Baden-Württemberg ist nach dem Saarland und Bremen das dritte Bundesland | |
und das erste große Flächenland, das per Gesetzesnovelle den Kommunen einen | |
Ausschluss von Grabsteinen aus Kinderarbeit ermöglicht hat. | |
Nordrhein-Westfalen will im kommenden Jahr nachziehen. | |
## Mangelnde Transparenz bei Zertifizierern | |
Auch Bayern könnte nach einem aufsehenerregenden Urteil des | |
Bundesverwaltungsgerichts aktiv werden. Die Leipziger Richter hatten jüngst | |
das Verbot von Grabsteinen mit Kinderarbeit in Nürnberg gekippt. Geklagt | |
hatte ein Steinmetz. Begründung (BVerwG 8 CN 1.12): Ihm könne nicht der | |
Nachweis zugemutet werden, dass die Grabmale in der gesamten | |
Wertschöpfungskette ohne Kinderarbeit produziert wurden. | |
Der Beschluss stärkt die Position des Handwerks, das sich zwar gegen | |
Kinderarbeit ausspricht, aber Schwierigkeiten beim Umsetzen des Verbots | |
beklagt. Es werde versucht, weltpolitische Probleme auf kommunaler Ebene zu | |
lösen, gibt der Verband Deutscher Steinmetze zu bedenken. | |
Bundesinnungsmeister Gustav Treulieb aus Stuttgart vermisst vor allem | |
Transparenz im Wust unterschiedlicher Zertifizierer. „Die Kontrolle der | |
Kontrolleure ist das Problem. Da lässt uns die Politik allein.“ Vorschläge, | |
sich mit Vertretern der Organisationen und Politik an einen Tisch zu | |
setzen, seien im Sande verlaufen. Und das, obwohl immer mehr Kunden nach | |
fair produziertem Material fragten. | |
Die Kommunen gehen das Thema nur zögerlich an: Eineinhalb Jahre nach | |
Inkrafttreten der baden-württembergischen Gesetzesnovelle verbieten im | |
Südwesten nun ein gutes Dutzend Gemeinden Grabsteine aus Steinbrüchen, in | |
denen Kinder schuften. Diese vom Dachverband Entwicklungspolitik erhobene | |
Zahl entspricht gerade einmal gut einem Prozent aller Kommunen im Land. | |
## Vorzeitig Altern durch Steinstaub | |
Die Gemeinden fordern von den Angehörigen des Toten einen Nachweis über die | |
Herkunft des Steins und ein Zertifikat über faire Produktion, wenn er aus | |
einem Nicht-EU-Land kommt. In der Praxis erfüllt allerdings der Steinmetz | |
diese Aufgabe. Zertifikate für Steine aus Nicht-EU-Ländern stellt etwa die | |
Organisation Xertifix aus, deren Kontrolleure die der Organisation | |
angeschlossenen hundert Steinbruch-Standorte in Indien mindestens einmal im | |
Jahr unangekündigt unter die Lupe nehmen. | |
Das Bekenntnis einer Kommune zu fair produzierten Grabsteinen öffne den | |
Kinderarbeitern ein Stück weit das Tor zu Bildung und einer besseren | |
Zukunft, ist Pütter überzeugt. Die unerträglichen Zustände in den | |
Steinbrüchen, vor allem der allgegenwärtige Steinstaub, lassen sie | |
vorzeitig altern. Ihre Lebenserwartung liegt bei 30 bis 40 Jahren. | |
Pütter, der auch zum Xertifix-Vorstand gehört, berichtet: „Die Kinder in | |
diesen Steinbrüchen führen ein Leben im Zeitraffer, werden schon mit 15 | |
verheiratet und bekommen Kinder. Denn da ist ja schon die Hälfte ihres | |
Lebens vorbei.“ | |
29 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Julia Giertz | |
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