# taz.de -- Proteste vor, Tumulte im Gericht: Testfall für die Justiz der Gene… | |
> Mohammed Mursi fordert zum Prozessauftakt lautstark die Beendigung der | |
> Verhandlung. Nach kurzer Unterbrechung vertagt sie der Richter ins | |
> nächste Jahr. | |
Bild: Mursi-Anhänger demonstrieren vor der stark gesicherten Polizeiakademie i… | |
KAIRO taz | „Ich bin Mohammed Mursi, der rechtmäßige Präsident Ägyptens, | |
und ich wurde zwangsweise durch einen Militärputsch an diesen Ort | |
gebracht.“ | |
Das waren die ersten trotzigen öffentlichen Worte des vom Militär vom Amt | |
entfernten einstigen Staatsoberhauptes im Nilland, die auf Deutsch in etwa | |
einem unverblümten „Ihr könnt mich mal!“ entsprechen. Mursi ist angeklagt, | |
bei Auseinandersetzungen vor dem Präsidentenpalast im Dezember vergangenen | |
Jahres für den Tod von mindestens acht Demonstranten mitverantwortlich zu | |
sein. | |
Kurz danach geriet die Lage im Gerichtssaal vollends aus Kontrolle. „Nieder | |
mit der Militärherrschaft!“, riefen die Angeklagten aus ihrem Käfig. | |
„Exekutiert Mursi“, konterten einige der anwesenden Journalisten und | |
Anwälte. Der Richter unterbrach die Sitzung, die mit zwei Stunden | |
Verspätung begonnen hatte, weil sich Mursi geweigert hatte, den in Ägypten | |
üblichen weißen Angeklagten-Overall anzuziehen. | |
Der Prozess wurde auf den 8. Januar vertagt – auch um der Verteidigung Zeit | |
zu geben, sich in die Anklage einzuarbeiten. Mursi wurde in ein Gefängnis | |
westlich von Alexandria überführt. Ursprünglich war vom Tora-Gefängnis in | |
Kairo die Rede, doch der Plan wurde verworfen, da die Anhänger des | |
Gestürzten in der Hauptstadt zu leicht Massen mobilisieren können. | |
Vor dem Gericht, wo sich mehrere hundert Mursi-Anhänger versammelt hatten, | |
war die Lage angespannt. Einige Demonstranten gingen auf Journalisten los | |
und beschimpften sie, „Lügner und Söldner“ des Militärchefs Sisi zu sein. | |
Trotzdem blieb es weitgehend friedlich. | |
„Ich gehöre nicht den Muslimbrüdern an, sondern sehe mich als liberal – | |
aber dieses Verfahren gegen einen gewählten Präsidenten ist eine Farce“, | |
sagt Iman Ibrahim, die sich als eine der Gründerinnen der ägyptischen | |
Antiputschbewegung vorstellt und auf Nachrichten aus dem Gerichtssaal | |
wartet. Awad Maqlad wollte eigentlich dem Prozess als Verteidiger | |
beiwohnen. „Aber das Gericht hat nur fünf Verteidiger zugelassen, während | |
auf der Gegenseite mehrere Dutzend zugelassen wurden“, beschwert sich der | |
Jurist bitter. | |
## Nicht live im Fernsehen | |
Anders als beim Prozess gegen Exdiktator Husni Mubarak wurde der Auftakt | |
des Mursi-Verfahrens nicht live vom ägyptischen Fernsehen übertragen. Man | |
fürchtete wohl, Mursi damit eine Plattform zu geben. Im Gerichtssaal durfte | |
einzig das staatliche Fernsehen filmen, um dann seine Version | |
zusammenzuschneiden und sie dem Rest der Welt als einziges bewegtes Bild zu | |
präsentieren. Zu sehen ist Mursi bei seiner Ankunft und später im schwarzen | |
Anzug schweigend im Anklagekäfig, von wo aus er scheinbar teilnahmslos die | |
tumultartigen Szenen im Gerichtssaal beobachtet. | |
Der Vergleich zwischen dem Prozess gegen Mursi und dem gegen Mubarak ist | |
naheliegend: Die Verfahren werden jetzt parallel laufen - und sie sind der | |
Testfall, in dem sich zeigen wird, ob die ägyptische Justiz mit zweierlei | |
Maß misst. Die Juristin Hoda Nasrallah ist bei beiden Verfahren beteiligt: | |
Im Prozess gegen Mubarak repräsentiert sie einige der Familien der 840 | |
Menschen, die während des Arabischen Frühlings umgekommen sind. | |
Im Verfahren gegen Mursi vertritt Nasrallah die Opfer der | |
Auseinandersetzungen vor dem Präsidentenpalast, bei denen im Dezember 2012 | |
acht Menschen getötet und zahlreiche verletzt wurden. | |
Beides Mal geht es um Mittäterschaft, nicht um eine direkte Tatbeteiligung, | |
erklärt Nasrallah in einem Interview mit dieser Zeitung. Es werde versucht | |
nachzuweisen, dass Mubarak seiner Polizei den Befehl gegeben hat zu | |
schießen. Und im Falle Mursi geht es um die Frage, ob er die Anhänger der | |
Muslimbrüder aufgehetzt hat, mit Gewalt gegen die Demonstranten vorzugehen, | |
die vor dem Präsidentenpalast ein Anti-Mursi-Protestlager aufgeschlagen | |
hatten. | |
## Im Höchstfall Todesstrafe | |
Die Crux, erklärt Nasrallah, ist, den genauen Nachweis der Mittäterschaft | |
zu führen. Im Falle Mubaraks haben die Sicherheitsbehörden de facto die | |
Zusammenarbeit mit dem Gericht verweigert und sogar Beweise verschwinden | |
lassen. Im Fall Mursi darf sich das Gericht der Kooperation der staatlichen | |
Behörden sicher sein, zumal Polizei und Militär keine Rolle in dem | |
Verfahren spielen. Aber die Richter können nur aufgrund der Beweislage | |
urteilen, und die ist im Falle Mubarak äußerst dünn, während sie im Fall | |
Mursi wohl wesentlich stichhaltiger sein dürfte. | |
Das ist der Grund, meint Nasrallah, warum Mubarak womöglich „mangels | |
Beweisen“ freigesprochen wird – während Mursi lebenslänglich ins Gefängn… | |
wandern könnte. Im Höchstfall könnte ihm sogar die Todesstrafe drohen. Und | |
das, obwohl Mubarak der Tod von 840 und Mursi der von 8 Demonstranten | |
vorgeworfen wird. Politisch freilich wäre das eine desaströse Botschaft: | |
Das alte Regimes ginge straffrei aus, während dessen politische Gegner von | |
der Justiz ausgeschaltet würden. | |
4 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Karim Gawhary | |
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