# taz.de -- Guy Bourdin-Ausstellung in Hamburg: Verloren in Pink | |
> Der Modefotograf Guy Bourdin hat in den 1970er und 1980er Jahren eine | |
> Bildästhetik entwickelt, die noch heute anschlussfähig ist. | |
Bild: Lange her: So warb Guy Bourdin im Frühjahr 1979 für den Schuhherstelle… | |
HAMBURG taz | Eine der schönsten Geschichten über den französischen | |
Modefotografen Guy Bourdin ist die vom Meer, das ihm nicht blau genug war. | |
Es war in den 1970er Jahren in England, Bourdin wollte für die englische | |
Vogue ein nacktes Model beim Schwimmen fotografieren. Mit großer Entourage | |
rückte er an der Küste an, und als er das Meer sah, war es ihm zu blass. | |
Also gab er die Anweisung, das Wasser blau zu färben. | |
Der Plan ging nicht auf. „Jedes Mal, wenn das Meer blau genug war, kam eine | |
Welle und wusch die Farbe aus“, erzählt die damalige Vogue-Redakteurin | |
Grace Coddington. Bourdin beschloss daraufhin, das Model über dem Wasser | |
fliegen zu lassen. Er ließ ein Gerüst bauen, an dem das Model hängen | |
sollte. Das Gerüst aber wurde von der Ebbe fortgespült. „Wir mussten das | |
Shooting canceln“, sagt Coddington. „Es hat uns viel Geld gekostet.“ | |
Die Anekdote zeigt nicht nur den Perfektionismus, mit dem der 1991 | |
verstorbene Bourdin am Werk war. Sie erzählt auch von den damaligen | |
Arbeitsbedingungen in der Modefotografie, die mit denen von heute nicht | |
vergleichbar sind: Es gab keine Möglichkeit einer digitalen | |
Nachbearbeitung, alles musste inszeniert werden. Dafür gab es Geld, Zeit | |
und viel Raum für Wahnsinn. | |
In der großen Retrospektive, die die Hamburger [1][Deichtorhallen] dem Werk | |
von Guy Bourdin widmen, ist die Opulenz auf verschiedenen Ebenen Thema. Die | |
Ausstellung zeigt original Fotostrecken aus der französischen Vogue, die in | |
den 1970er Jahren über 20 Doppelseiten gingen und wechselweise von Guy | |
Bourdin und Helmut Newton bespielt wurden. Und sie zeigt großformatige | |
Abzüge der Fotos von Guy Bourdin, deren zentrale kunstgeschichtliche | |
Referenz der Surrealismus ist. Der inszenatorische Aufwand dieser Arbeiten | |
war enorm. | |
Bourdin ist berühmt geworden für Fotos, die wirken, als seien sie einem | |
Film entnommen. Da steht zum Beispiel ein Auto in der Dunkelheit und auf | |
dem Gehsteig davor ist mit Kreide die Silhouette eines Menschen gezeichnet. | |
Um die Kreidezeichnung herum liegen zwei verlorene Schuhe in Pink. Viele | |
Fotos zeigen nackte oder halbnackte Frauen, die auf Sofas oder Sesseln | |
liegen. Die Frauen sind stark geschminkt und umgeben von einer Aura aus | |
Verbrechen, Party, Drogen und Sex. Es sind Fotos, die die Frage nach dem | |
Vorher und dem Nachher aufwerfen. Bourdin blieb diesem Prinzip auch in den | |
1980er Jahren treu. | |
## Isolierte Wesen | |
In die Geschichte der Modefotografie eingegangen ist Bourdin als der erste | |
Fotograf, der nicht mehr das Produkt in den Mittelpunkt stellt, sondern | |
eine Inszenierung, die das Interesse und die Sehnsucht der Käufer wecken | |
soll. Die Frauen in seinen Szenerien sind isolierte Wesen, die nicht als | |
Individuen, sondern als Idee erscheinen. Sie sind gleichermaßen entblößt | |
und entrückt. Oft ist der Tod Teil der Inszenierung, und nie wird gelacht. | |
Dafür ist von der Schminke bis zum Licht alles makellos: Der Tod steht | |
diesen Frauen gut. | |
Die Hamburger Ausstellung zeigt, wie Bourdin zu seinen Motiven gekommen | |
ist. Seine ersten Fotografien präsentierte er 1952 mit 24 Jahren in einer | |
Pariser Galerie. Auf einem Schwarz-Weiß-Bild aus dem Jahr 1950 liegt ein | |
Kind wie tot umgefallen auf einem Sandhügel, das Gesicht nach oben und in | |
den Händen jeweils einen kleinen Blumenstrauß. Ein Foto von 1954 zeigt drei | |
junge Mädchen in einer Szenerie aus Holzhütte und landwirtschaftlichem | |
Wasserbecken. Zwei der Mädchen schauen bedeutungschwanger ernst in die | |
Kamera. Das dritte grinst aus Versehen. | |
Sehr gut lässt sich anhand dieser Bilder nachvollziehen, wie Bourdin sein | |
visuelles Vokabular entwickelt hat. Ebenso zeigt die Ausstellung Bourdins | |
Versuche, seine Bildideen zu malen: Bourdin wollte eigentlich Maler werden, | |
ist daran aber gescheitert. „Ich glaube, es war für ihn der größte Schock | |
seines Lebens, als er merkte, dass er nie mehr als ein Fotograf sein | |
würde“, sagte die Schriftstellerin Edmonde Charles-Roux. „Seine Fotos waren | |
auf gewisse Weise auch von Hass erfüllt. Mit den Jahren wurde das | |
schlimmer.“ | |
Nie hat Bourdin seine Fotos ausgestellt oder in einem Buch veröffentlicht. | |
Dafür hat er bei seinen Inszenierung mit eingeplant, dass sie vom Falz der | |
Magazine vertikal geteilt werden würden. Handwerklich sind die Fotos so | |
perfekt, dass man auf den ersten Blick meinen könnte, Bourdin habe das | |
Mittel der digitalen Nachbearbeitung bereits zur Verfügung gehabt. | |
Der Modefotografie wird eine besondere Beziehung zum Zeitgeist attestiert. | |
„Kein Genre der Fotografie ist so mit der jeweiligen Zeit verbunden wie die | |
Modefotografie“, sagt etwa der Sammler und Fotograf F. C. Gundlach. Die | |
Hamburger Ausstellung zeigt, dass Bourdin hier eine Ausnahme ist: Mit | |
seinen surrealen Sex-and-Crime-Geschichten und seiner handwerklichen | |
Perfektion hat er eine Ästhetik gefunden, die auch für den heutigen | |
Betrachter anschlussfähig ist. | |
## ■ Guy Bourdin Retrospektive: bis 26. Januar, Deichtorhallen, Hamburg | |
12 Nov 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.deichtorhallen.de/ | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
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