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# taz.de -- Der Fotograf Herbert Tobias: Der Entdecker
> Herbert Tobias begann mit dem Fotografieren als 19-Jähriger an der
> Ostfront, wurde in den 50er Jahren zum Starfotografen und starb 1982
> verarmt in Hamburg. Sein Werk im Überblick zeigen derzeit die dortigen
> Deichtorhallen.
Bild: Tobias nannte dieses Foto "… und neues Leben protzt aus den Ruinen …"…
1953 war das Jahr, in dem Konrad Adenauer zum ersten Mal als Bundeskanzler
wiedergewählt wurde. Volkswagen senkte 1953 den Preis für den VW Käfer von
4.400 auf 4.200 D-Mark. Auf Platz Eins der Deutschen Hitparade stand René
Carol mit "Rote Rosen, rote Lippen, roter Wein". Und in Paris kam Samuel
Beckets Theaterstück "Warten auf Godot" zur Uraufführung.
Der Fotograf Herbert Tobias war 1953 in Paris. Er war 28 Jahre alt, hatte
unter anderem Klaus Kinski fotografiert und einige Selbstportraits mit der
Kamera gemacht: Tobias, wie er mit blonder Perücke, geschminkten Augen und
Damenkleidern entrückt ins Nichts blickt. Tobias, wie er auf einer Decke
liegt, mit Tränen auf der Wange, das Gesicht umgeben von Blättern.
Zu sehen sind diese Bilder derzeit in der Herbert Tobias Retrospektive
"Blicke und Begehren" in den Hamburger Deichtorhallen. Das Jahr 1953 taucht
in der Ausstellung nicht explizit, aber immer mal wieder auf: Zu sehen sind
rund 200 Exponate aus der Produktion eines Künstlers, der mit 19 Jahren als
Soldat in Russland anfing zu fotografieren, in den 50er Jahren Modefotograf
wurde und in den 60er Jahren unter anderem Nico entdeckte. Ab 1969 lebte er
in Hamburg, wo er 1982 in Armut starb. Sein Grab auf dem Hauptfriedhof
Hamburg-Altona wurde 2007 vom Hamburger Senat zum Ehrengrab erklärt.
1953 war Herbert Tobias von staatlichen Ehren sehr weit entfernt. Fotos mit
schwuler Ästhetik hatten damals keinen Platz in Deutschland. Der Paragraph
175 des deutschen Strafgesetzbuches stellte sexuelle Handlungen zwischen
Personen männlichen Geschlechts unter Strafe. Bis zu zehn Jahre Zuchthaus
waren in "erschwerten Fällen" möglich. Herbert Tobias war schwul - und er
lebte seine Sexualität offen.
Paris verließ er trotzdem wieder, als seine Karriere als Modefotograf in
Gang kam. 1953 erschienen erste Fotos von Tobias in der Zeitschrift Vogue.
Er ging nach Berlin und machte durch seine unkonventionellen Arbeiten auf
sich aufmerksam. Während andere Modefotografen das Wirtschaftswunder
feierten, konfrontierte er die neue Lust am Wohlstand mit den Wunden des
Krieges. Die 50er Jahren waren finanziell die lukrativste Zeit in Tobias
Berufsleben.
Die künstlerische Qualität seiner Fotos allerdings war dabei nicht an die
Modefotografie gebunden. Es gibt beispielsweise ein Foto von der Ostfront,
auf dem Tobias eine Statue mit weggeprengten Armen so ablichtet, als wäre
sie ein Mensch. Da gibt es Bilder von Kindern, die 1954 auf den Straßen
Berlins vor den Trümmerhaufen des Krieges spielen - Tobias Variante einer
Straßenfotografie, die nicht nur dokumentiert, sondern auch erzählt. Es
gibt auch Bilder, auf denen Trinker am Wirtshaustisch zusammengesackt sind.
Und Bilder, in denen es um Homosexualität geht, die sich in der rigiden
Adenauer-Ära vor allem durch Blicke ausdrückt: Junge Männer sind da
fotografiert, die ihre Erotik in ihren Gesichtsausdruck legen. Immer
tiefgründig. Immer ohne Körpereinsatz.
Die Ausstellung in Hamburg zeigt Tobias Werk nicht chronologisch, sondern
geordnet nach thematischen Sektionen. "Trümmer - Kinder - Mauerbau" heißt
eine, "Blicke" eine andere, dann kommen "Momente des Glücks", "Das Lied von
der sexuellen Hörigkeit" oder auch "Florale Ornamente". Diese Konzeption
lenkt die Aufmerksamkeit auf die jeweiligen Bildideen - und lenkt damit ab
vom Leben des Herbert Tobias. Nicht der Künstler, seine Kunst soll hier im
Mittelpunkt stehen. Seine Kunst gibt das her, keine Frage. Der Künstler
aber hätte es auch hergegeben.
Tobias hört in den 1960ern auf mit der Modefotografie. Geld interessiert
ihn nicht sonderlich, dafür will er "sich selbst so weit verwirklichen als
möglich". Tobias entdeckt die junge Christa Päffgen, die später als Nico
auf dem Debütalbum von Velvet Underground singt. Er hat ein unglückliches
Liebesverhältnis mit Andreas Baader, den er Anfang der 1960er Jahre
vermutlich in einem Schwulenlokal kennen lernt - Baader, schreibt sein
Biograf Klaus Stern, "spielte gern damit, dass Schwule sich in ihn
verliebten, um sie dann mit lässiger Geste ins Leere laufen zu lassen".
Ende der 1960er, nach Jahren des exzessiven Lebens, war Herbert Tobias
krank und pleite. Pali Meller Marcovicz, der bei der Plattenfirma Deutsche
Grammophon arbeitete, holte ihn 1969 nach Hamburg. Er besorgte ihm eine
Wohnung und gab ihm Arbeit als Gestalter von Plattencovern.
Tobias fotografierte in Hamburg in den 1970er Jahren außerdem für die
Schwulenzeitschrift Him Applaus. Er war jemand, der seine Ledermontur auch
anzog, wenn er morgens zum Bäcker ging. Einer, der so leben wollte, wie er
war, radikal in Sachen Selbstverwirklichung, exaltiert, ein "hoch
politischer, strenger, fordernder Mensch", sagt Ingo Taubhorn, Kurator der
aktuellen Ausstellung. Tobias forderte nicht nur viel von seiner
heterosexuellen, sondern auch von seiner homosexuellen Umwelt. In einigen
Hamburger Schwulenbars hatte er Hausverbot.
Tobias starb 1982 im Alter von 57 Jahren in Folge von Aids. Er starb arm
und bekam ein Armengrab auf Hauptfriedhof in Altona. Im Jahr 2007 hätte das
Grab eingeebnet werden sollen, so sehen es die Statuten vor. Aber es gab
eine Initiative um den Autor Bernhard Rosenkranz: Sie alarmierte die
Fotoreferentin der Hamburger Kulturbehörde, Juana Bienenfeld. Die wandte
sich an den Friedhof und dieser an die Senatskanzlei. Tobias Grab wurde
erhalten - und 2007 zum Ehrengrab erklärt.
Herbert Tobias - Blicke und Begehren. Bis 16. August, Hamburg,
Deichtorhallen
17 Jun 2009
## AUTOREN
Klaus Irler
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