# taz.de -- 30 Jahre Tempo 30: Die Einführung der Langsamkeit | |
> Happy Birthday, Tempo 30! Die verkehrsberuhigte Zone feiert Geburtstag. | |
> Eingeführt wurde sie zum ersten Mal in Buxtehude. Ein Besuch. | |
Bild: Danke, Buxtehude! | |
BUXTEHUDE taz | Der 14. November 1983 war ein schwerer Tag für Buxtehude. | |
Der „Tag X“, so nannte ihn der Neue Buxtehuder Anzeiger, brachte der Stadt | |
die Langsamkeit und damit die Wut, den Hass, die Verzweiflung. | |
„Am Montag vergangener Woche hat in Buxtehude eine neue Zeitrechnung | |
begonnen“, „Glaubte man sich vor dem Tag X manchmal nur schlecht behandelt, | |
so fühlt man sich derzeit schlicht verarscht“, „Ich kann den Ärger der | |
Autofahrer gut verstehen. Schließlich geht ihnen ein Stück Freiheit | |
verloren“, so steht es in den Leserbriefspalten des Neuen Buxtehuders in | |
den Wochen danach. | |
Ausgerechnet Buxtehude, die Stadt, in der sich Hase und Igel „Gute Nacht“ | |
sagen, verdanken wir, dass die Straßen sicherer geworden sind – eine Ehre, | |
derer sich in der Stadt nur wenige bewusst sind. | |
„Tempo 30? Wie langweilig. Hätten Sie sich nicht ein spannenderes Thema | |
suchen können?“, entgegnet die Telefonistin in der Buxtehuder Taxizentrale | |
auf eine Interviewanfrage der taz. In der Tat denkt heute kaum noch jemand | |
über Tempo 30 nach, schließlich gilt die Geschwindigkeitsbegrenzung | |
mittlerweile in fast jeder deutschen Stadt in so gut wie jedem Wohngebiet. | |
Immerhin: Dass 1980 noch 13.041 Menschen und 2012 nur noch 3.606 Menschen | |
im Straßenverkehr starben, hängt auch mit den Tempo-30-Zonen zusammen. Die | |
Schweiz hat nach deutschem Vorbild sogar die sogenannten Begegnungszonen | |
eingeführt, in denen man maximal 20 fahren darf. Also bitteschön: Danke, | |
Buxtehude! | |
## 200 Pflanzenkübel gegen Raser | |
Das hatte Otto Wicht, damals Stadtbaurat, wohl nicht für möglich gehalten, | |
als er am 14. November 1983 die Tempo-30-Zonen in der Innenstadt und den | |
angrenzenden Wohngebieten eröffnete. 200 Pflanzenkübel verengten von nun an | |
die Straßen, so dass zu Rasen unmöglich wurde. Nicht alle Autofahrer | |
beherrschten den Slalom: Busfahrer ließen empört ihre Busse stehen, die | |
Zahl der Blechschäden bei Autounfällen stieg. Dabei hatte Kübel-Otto, wie | |
die Buxtehuder ihren Stadtbaurat nach dem Tag X nannten, eigentlich nur die | |
Sicherheit der Fahrer im Sinn. | |
Angetrieben von den vielen Verkehrstoten Anfang der 1980er Jahre hatte er | |
verschiedene Verkehrssicherheitskonzepte erarbeitet, darunter auch die | |
Tempo-30-Zonen. Sechs mittlere Städte wurden ausgesucht, um das Konzept zu | |
erproben – Buxtehude, mit seinen 30.000 Einwohnern im Süden von Hamburg, | |
sollte die erste sein. | |
„Böse war das“, erinnert sich Fahrlehrer Karl Bockelmann. Seit 60 Jahren | |
betreibt seine Familie die Fahrschule in der Konopkastraße, wo Tempo 30 | |
erst eingeführt, und nach Bürgerprotesten wieder abgeschafft wurde. Wieso | |
böse? „Weil die Bürger doppelt bezahlt haben: Erst für den Aufbau, dann f�… | |
den Abbau der Kübel.“ Aber wieso denn Abbau? Ist Tempo 30 nicht was Gutes? | |
„Nee! Die haben uns als Modellstadt missbraucht. Damit alle anderen gucken | |
können, ob das funktioniert.“ | |
Und, hat‘s funktioniert? „Wir Fahrschulen mussten bangen, ob das mit uns | |
weitergeht. Hätte ja sein können, dass plötzlich keiner mehr Auto fahren | |
will.“ Wollten die Buxtehuder aber doch. | |
## Sie fahren noch | |
Mehrere wissenschaftliche Berater, Stadt- und Regionalplaner, | |
Verkehrsingenieure, Ökologen, Soziologen, Wirtschaftsforscher untersuchten | |
jede denkbare Facette der Neuerung. Wichtigste Erkenntnisse: Die Buxtehuder | |
fahren weiterhin Auto, nur eben langsamer. | |
Die Zahl der Verkehrsunfälle nimmt zu, die der Verletzten ab. Die Umsätze | |
der Geschäfte in der Innenstadt brechen nicht ein. Die Luft wird besser, | |
die Begegnungsstätte Fußweg gewinnt allerdings nicht an Bedeutung: | |
„Aufenthalte finden meist auf den konventionell gesicherten Gehwegflächen | |
statt“ und sind „überwiegend anlassbezogen“. Schade! Aber es kann ja nic… | |
alles besser werden, wenn Tempo-30 einzieht. | |
Immerhin, ihre Wut haben die Buxtehuder überwunden. Nur einer will sich | |
nicht mit Tempo-30 abfinden. Emilio, sechs Jahre alt, roter Sportwagen, | |
tiefer gelegt. Seine Wunschgeschwindigkeit? „Schneller!“ schreit er und | |
rast auf dem Dreirad davon. | |
14 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Anne Fromm | |
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