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# taz.de -- Diskussion um Prostitution: „Mein Beruf gehört mir!“
> Alice Schwarzer hat eine Art Sexkrieg entfacht. Ist Prostitution eine
> Menschenrechtsverletzung oder ein Spezialberuf? Huren protestieren.
Bild: Verbände von Prostituierten sehen sich von Alice Schwarzer entmündigt.
BERLIN taz | Die junge Hure stürmt das Podium, auf dem Alice Schwarzer ihre
Anti-Prostitutionsthesen schwingt. Sie zieht die Hose herunter, präsentiert
ihr Geschlecht von vorne und von hinten und schreit: „Mein Beruf gehört
mir! Mein Beruf gehört mir!“ Das Publikum johlt. Sie wird heruntergebeten.
Und Alice Schwarzer sagt: „So. Will noch jemand den Po zeigen?“
Erst kommt die rhetorische Aufrüstung, dann der Krieg. Alice Schwarzer
stellt ihr Buch „Prostitution – ein deutscher Skandal“ in Berlin unter
Polizeischutz vor.
Vor dem Veranstaltungsort „Urania“, in der sie mit ihren Gästen sitzt,
stehen Polizisten vor etwa 20 Sex- und Sozialarbeiterinnen. Sie
signalisieren mit roten Regenschirmen internationale Hurensolidarität und
tragen Plakate mit der Aufschrift: „Mein Beruf gehört mir“. Ein Schild wird
etwas expliziter: „Halt die Klappe, Alice“.
Es ist eine Art Prostitutionskrieg im Gange. Auf der einen Seite Alice
Schwarzer, mit ihr verbundene Sozialarbeiterinnen und Ex-Huren, die
Prostitution für ein Verbrechen halten, das die Würde von Männern und
Frauen zerstört. Sie propagieren die Prohibition. Auf der anderen Seite die
Huren, die ihre Arbeit als Dienstleistung begreifen und sich durch die
Verbotsforderungen persönlich stigmatisiert und in ihrer Berufsausübung
gehindert sehen. An diesem Donnerstag prallen sie aufeinander.
Alice Schwarzer moderiert sich selbstverständlich selbst. Das heißt, sie
kann jedem ins Wort fallen, wie es ihr gefällt. Weil sie aber auch eine
Rampensau ist, ist das natürlich auch vergnüglich. „So, Kinder, nun seid
mal kurz ruhig mit euren süßen rosa Schirmchen. Jetzt reden wir erstmal und
dann könnt ihr weiter schreien“, verniedlicht sie die Demonstrantinnen, die
sich im Saal verteilt haben und immer wieder buhen und dazwischenrufen:
„Weiblicher Machismo.“
## Unternehmerinnen oder Opfer?
Beide Seiten nehmen jeweils für sich in Anspruch, für die vielen namenlosen
Prostituierten zu sprechen, die sich nicht outen können, weil illegal, oder
wollen, weil schwarzarbeitend und/oder stigmatisiert. Sind diese Massen
erschöpfte Rumäninnen, die 40 Freier am Tag bedienen müssen, das Geld dem
Zuhälter geben und den permanenten Angriff auf ihre Würde nur mit Drogen
und Alkohol ertragen?
Oder sind sie Unternehmerinnen, die mangels Ausbildung und/oder Arbeit ein
Chance im deutschen Sexbusiness sehen. Eine Chance, Geld für ihre Familien
und Kinder zu verdienen, die Alice Schwarzer ihnen nun nehmen will?
Bräuchten sie lediglich bessere Arbeitsbedingungen und den Schutz vor
Ausbeutung?
Der Krieg ist im Gang. Schwarzer hat einen Appell veröffentlicht, nach dem
Freier „wenn nötig“ bestraft werden sollen, zumindest aber „geächtet“…
unterstützt von einigen Promis. Auch einzelne CDU-Frauen stützen den
Appell. Auf der anderen Seite formieren sich die Sexarbeiterinnen und
Beratungsstellen, von Hydra über Kassandra bis Dona Carmen. Sie gründen
einen „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“,
veröffentlichen einen Gegenappell, in dem sie mehr statt weniger Rechte für
Prostituierte fordern. Sie haben die Opposition auf ihrer Seite, Grüne,
Linke und Piraten stehen hinter ihnen.
## Vergleichszahlen aus Schweden fehlen
Ein Kriegsschauplatz sind die Zahlen. Der Menschenhandel habe zugenommen,
seitdem die Prostitution legalisiert wurde, behauptet die
Schwarzer-Fraktion. Sie beruft sich auf ein Diskussionspapier von der Uni
Göttigen für die EU. Darin wird geschätzt, dass es in Deutschland 62-mal so
viele Menschenhandelsopfer gibt wie in Schweden, obwohl die Bevölkerung
weniger als 10-mal so groß sei. Könnte das auf das Sexkaufverbot in
Schweden und die Legalisierung in Deutschland zurückzuführen sein?
Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht, wendet Dona Carmen in einer
Stellungnahme ein. Denn es gibt aus Schweden keine Vergleichszahlen aus der
Zeit vor dem Sexkaufverbot. Zudem, so heißt es auch in der Studie, gebe es
immer viele Ursachen für Menschenhandel, man kann nicht eine allein
verantwortlich machen. Die offiziellen Zahlen des BKA, das vermutete
Menschenhandelsopfer in Deutschland zählt, die polizeibekannt wurden,
sprechen ebenfalls gegen die These: Nach der Legalisierung im Jahr 2002 ist
diese Zahl um 17 Prozent gesunken.
## Hurenorganisationen sehen sich entmündigt
Um diese große Grauzone wird gerungen. Und ganz unten drunter rumort die
Frage: Kann man Prostituierte sein ohne sich selbst zu schädigen? Alice
Schwarzer ist gut darin, Kronzeuginnen zu sammeln, die sagen: Wir haben
auch behauptet wir seien selbstbestimmt. Aber heute wissen wir es besser.
Die Hurenorganisationen Dona Carmen und der Berufsverband erotische und
sexuelle Dienstleistungen sehen sich dadurch entmündigt und protestieren:
„Nicht nur deutsche Frauen, sondern auch Migrant_innen sind überwiegend
freiwillig und selbstbestimmt in der Sexarbeit tätig. Prostituierte, egal
welcher Herkunft, pauschal zu Opfern zu erklären, ist ein Akt der
Diskriminierung“, postulieren sie in ihrem „Appell für Prostitution“.
Schwarzer diffamiert nun die Organisationen in ihrem Buch, die klagen jetzt
vor Gericht wegen Rufmord.
In seltsamem Kontrast zu diesem Krieg stehen übrigens die Vorhaben der
Großen Koalition. Verbote? Ächtung? Keineswegs. Die Politik versucht
vielmehr, Bordelle etwas stärker zu reglementieren und Menschenhandelsopfer
besserzustellen. In der Politik ist der Prostitutionskrieg bisher nicht
angekommen. Noch nicht.
15 Nov 2013
## AUTOREN
Heide Oestreich
## TAGS
Prostitution
Sexarbeit
Alice Schwarzer
Hurenorganisationen
Missbrauch
Prostitution
Feminismus
Prostitution
Schwerpunkt Frankreich
Prostitution
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