| # taz.de -- Debatte um Prostitution: Der unsichtbare Freier | |
| > In der Prostitutionsdebatte werden alle Bereiche durchleuchtet: Huren, | |
| > Bordelle, Gesetze. Nur die Männer nicht, die für Sex zahlen. | |
| Bild: „Die Freier sind nicht die Bösen“: Mann betritt Bordell. | |
| Hendrik T. hört die Tür hinter sich ins Schloss fallen und steht wieder auf | |
| der Straße. Keiner der vorbeihastenden Passanten bemerkt, wo er gerade | |
| herkommt. Er mischt sich in die Menge und beginnt zu weinen, ohne genau zu | |
| wissen, warum: Hendrik hat gerade zum ersten Mal für Sex bezahlt – so | |
| erinnert er sich. | |
| „Wir fordern: Prostitution abschaffen!“, sagen Alice Schwarzer und [1][die | |
| Zeitschrift Emma in einer Petition]. Unterschrieben haben auch zahlreiche | |
| Prominente und PolitikerInnen. Der „Berufsverband erotische und sexuelle | |
| Dienstleistungen“ reagierte unmittelbar mit einem [2][Gegenappell für | |
| Prostitution]. Nun diskutiert die Gesellschaft wieder über die Prostitution | |
| und was denn nun das angeblich Beste für die Sexarbeiterinnen ist. Nur die | |
| Freier, Männer wie Hendrik T., kommen kaum zu Wort. | |
| „Durch die momentane Berichterstattung fühle ich mich weder repräsentiert | |
| noch angesprochen“, sagt Hendrik T. „Das liegt wohl zum einen an dem sehr | |
| undifferenzierten Bild von Freiern innerhalb der Debatte. Zum anderen habe | |
| ich das Ganze vollkommen heimlich gemacht, wodurch ich es besser verdrängen | |
| und diesen schambesetzten Teil gut von mir lostrennen konnte.“ | |
| Hendrik T. ist 29 Jahre alt und Referendar an einer Berufsschule. Und er | |
| hatte in der Vergangenheit Sex mit Prostituierten. Offen und selbstbewusst | |
| darüber zu reden fällt ihm immer noch schwer. Wenn Hendrik T. über sich als | |
| Freier spricht, versteckt er sich hinter umständlichen Sätzen. Es klingt, | |
| als sei nicht er, sondern ein anderer Mann ins Bordell gegangen. | |
| Diskutieren Leute im Fernsehen oder in den Zeitungen über Prostitution, | |
| interessiert es Hendrik T. nur politisch, wie er sagt, als habe es mit ihm | |
| selbst nichts zu tun. „Wie der Syrienkonflikt.“ | |
| Dann zögert Hendrik T. lange und blickt konzentriert auf seine Hände. Als | |
| er wieder aufsieht, sagt er: „Wenn hingegen Menschen, die mir nahestehen, | |
| sich abfällig über Bordellbesucher äußern, greift mich das an, und ich | |
| fühle mich schuldig, voller Scham. Dann denke ich, dass ich einer von denen | |
| sein sollte, die sich für die Rechte von Prostituierten einsetzen und | |
| gleichzeitig respektvoll über Freier sprechen. Ohne selbst einer zu sein.“ | |
| ## Freier sind keine Täter, Huren keine Opfer | |
| Alexa Müller, Mitarbeiterin des Vereins Hydra und selbst Sexarbeiterin, | |
| nennt mehrere Gründe, warum Erfahrungen von Freiern in der aktuellen | |
| Debatte keine Rolle spielen: „Es gibt kaum Freier, die sich öffentlich | |
| outen wollen. Viele schämen sich außerhalb der Bordelle in dieser | |
| moralgeschwängerten Kultur schon genug“, erklärt sie. Müller glaubt auch, | |
| dass Politik und Gesellschaft kein Interesse daran hätten, sich ausführlich | |
| mit den Freiern zu befassen, weil es das öffentliche Bild ins Wanken | |
| bringen könnte: „Kämen nette, respektvolle Klienten haufenweise zu Wort, | |
| würden das Täterbild des Freiers und somit auch das Opferbild der Hure | |
| nicht mehr stimmen. Diese Bilder sind bewusst von Medien und Politik für | |
| ihre Zwecke instrumentalisiert.“ | |
| Müller erwähnt, dass auch Frauen Kundinnen von ihr seien. Zum Beispiel weil | |
| sie Schwierigkeiten mit dem Orgasmus hätten und etwas lernen wollten, wie | |
| auch einige Männer. „Sind das dann auch Täterinnen?“, fragt sie. Falle der | |
| Täter auf einmal weg und der Freier sei Kunde, würde das den | |
| „gesellschaftlichen Schein von Anständigkeit und Moral“ erschüttern, meint | |
| Müller. „Stattdessen wird eine sexfeindliche Kultur zementiert, in der | |
| verschwiegen werden kann, wo die meiste sexuelle Gewalt stattfindet: in der | |
| Ehe und unter Menschen, die sich kennen.“ | |
| Wenn der Freier nicht länger als Täter gesehen würde, wer wäre dann für die | |
| Missstände im Bereich der Prostitution verantwortlich? Susanne K. arbeitete | |
| früher als Sexarbeiterin und ist heute Geschäftsführerin mehrerer Berliner | |
| Bordelle. „Die Freier sind nicht die Bösen“, sagt sie. „Es gibt auch | |
| Arschlöcher darunter. Aber in der Regel bezahlen sie, bekommen ihren Sex | |
| und gehen. Die Politiker hingegen nehmen nur und geben nichts.“ Sie meint | |
| damit die deutsche Steuerpolitik. | |
| Die pauschalisierten Steuererhebungen, die gemäß dem Düsseldorfer Verfahren | |
| vorab über das Bordell abgerechnet werden müssen, erschweren die legale | |
| Prostitution für die Sexarbeiterin. Solange eine Sexarbeiterin gemeldet | |
| ist, verdiene der Staat an ihr, unabhängig davon, ob sie sich aus freiem | |
| Willen oder mangels einer Alternative prostituiere. Gleichzeitig blieben | |
| vielen durch Regelungen in der Asyl- und Sozialpolitik Alternativen zur | |
| Prostitution verwehrt: „Der Strich ist dann für viele Frauen doch besser | |
| als die Abschiebung oder kein Einkommen.“ | |
| ## Der erste ist „das Gesicht der Freier“ | |
| Christiane Howe, Sozialwissenschaftlerin an der Humboldt-Universität, hat | |
| viel im Bereich der Prostitution geforscht und dabei besonders auch die | |
| Rolle des Freiers untersucht. Zur Abwesenheit des Freiers in der Debatte | |
| sagt sie: „Es ist immer eine große Hürde, der Erste zu sein, der sich | |
| outet. Dann ist man das Gesicht der Freier per se, und das haftet einem an. | |
| Man braucht ein ganz dickes Fell dazu.“ Howe findet es problematisch, dass | |
| in Forschung und Medien nur wenig über Freier bekannt ist: „Bis heute | |
| bestehen die hartnäckigsten Vorurteile: Freier sind allesamt fett, | |
| unattraktiv, einsam oder stehen mindestens unter einem enormen sexuellen | |
| oder wie auch immer gearteten Druck.“ | |
| Aus den wenigen vorliegenden Studien gehe jedoch hervor, dass die Gruppe | |
| der Freier in jeder Hinsicht heterogen sei. Um die Sexarbeiterinnen zu | |
| unterstützen, müssen Verhalten, Gefühle, Erfahrungen und Motive der Freier | |
| besser erforscht und verstanden werden. | |
| Hendrik T. geht 2006 während seiner Studienzeit in Hamburg zu | |
| Sexarbeiterinnen. Prostitution ist zu diesem Zeitpunkt bereits legal – | |
| entsprechend der rot-grünen Gesetzesreform, die zum Ziel hatte, die | |
| Situation der Sexarbeiterinnen zu verbessern. „Die Gesetzeslage, aber auch | |
| die offene Verfügbarkeit haben die Besuche bei Prostituierten für mich | |
| leichter gemacht“, sagt Hendrik T. Als er das erste Mal ein Bordell | |
| aufsucht, muss er in keine zwielichtige Ecke schleichen, sondern findet | |
| Prostitution dort, wo er auch sonst häufig mit seinen Freunden unterwegs | |
| ist: auf der Hamburger Reeperbahn. | |
| Er geht durch die bunt beleuchteten Straßen und ist unsicher und aufgeregt, | |
| aber nicht allein. „Die hohe Frequenz, mit der überall um mich rum Männer | |
| aus dem Treiben der Straße in Stripklubs und Bordelle abbogen, hat es | |
| leichter gemacht“, erinnert er sich. „Hätte ich befürchten müssen, dass … | |
| Polizei an der nächsten Ecke wartet und ich eine peinliche Anzeige bekomme, | |
| wäre die Hemmschwelle deutlich höher gewesen.“ Für ihn sei die Legalität | |
| wichtig gewesen, sagt Hendrik T., verallgemeinern lasse sich das aber | |
| nicht: „Wäre ich regelmäßiger zu Prostituierten gegangen, kann ich mir | |
| vorstellen, dass ich auf eine Weise abhängig geworden wäre. Dann wäre es | |
| vielleicht nebensächlich, ob Prostitution legal ist oder illegal, ich hätte | |
| es so oder so gemacht.“ | |
| ## Sehnsucht nach einem „positiven Gefühl“ | |
| Hendrik T. ist nur einer von vielen. Ist er als Freier verantwortlich für | |
| die Missstände im Bereich der Prostitution? Oder ist es vielmehr eine | |
| fragwürdige Politik, die nicht imstande ist, freiwillig als Sexarbeiterin | |
| tätige Frauen anzuerkennen und unfreiwillig oder alternativlos arbeitende | |
| zu schützen? | |
| Heute glaubt Hendrik T., dass ihn Unzufriedenheit und Einsamkeit dazu | |
| gebracht haben, ins Bordell zu gehen. „Ich hatte Sehnsucht nach einem | |
| diffusen positiven Gefühl“, erinnert er sich. „Nachdem sich das Gefühl au… | |
| nach wiederholten Besuchen nie eingestellt hat, bin ich irgendwann nicht | |
| wieder hingegangen.“ | |
| 30 Nov 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.emma.de/unterzeichnen-der-appell-gegen-prostitution-311923 | |
| [2] http://www.sexwork-deutschland.de/Prostituierten-Vereinigung/Aktuelles/Eint… | |
| ## AUTOREN | |
| Helene Hille | |
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