# taz.de -- Sozialwissenschaftlerin über Prostitution: "Menschenhandel ist ger… | |
> Aufklärungsarbeit anstatt schärferer Prostitutionsgesetze fordert die | |
> Sozialwissenschaftlerin Emilija Mitrovic. | |
Bild: "Die Tendenz, alle SexarbeiterInnen zu Opfern zu erklären, ist absolut k… | |
taz: Frau Mitrovic, Alice Schwarzer fordert in der neuen Emma wieder einmal | |
ein Verbot der Prostitution. Ihr „Appell“ vertritt eine These, die sich | |
zurzeit zu etablieren scheint: Die liberalen Prostitutionsgesetze in | |
Deutschland fördern den Menschenhandel. | |
Emilija Mitrovic: Ich weiß gar nicht, ob diese These sich wirklich | |
etabliert hat oder gewisse Protagonisten sich einfach sehr gut in Szene | |
setzen können. Menschenhandel ist gerade ein ziemlicher Hype. Da gibt es | |
Gelder, und viele Beratungsstellen, die früher ziemlich überzeugt waren, | |
dass die Frauen freiwillig hier sind, sehen plötzlich überall Ausbeutung | |
und Menschenhandel. Ich war kürzlich auf einem EU-Forum gegen | |
Menschenhandel in Vilnius. Dort wurde auch wieder betont, dass es in | |
Deutschland kaum Fälle gibt: Laut BKA kann man mit Sicherheit nur von 640 | |
mutmaßlichen Opfern in Deutschland im Jahr 2011 sprechen. Alles andere sind | |
Schätzungen, die jeder wissenschaftlichen Grundlage entbehren. | |
Das Ziel der Prostitutionsgesetze war eine Verbesserung der Lage der | |
Frauen, indem Prostitution entstigmatisiert und als normaler Beruf | |
anerkannt wird. | |
Nicht unbedingt als normaler Beruf. Wir als Gewerkschaft haben schon immer | |
deutlich gesagt: Prostitution ist kein Beruf wie jeder andere, weil es sich | |
durchaus um eine Branche handelt, in der es viel Gewalt und Verstecken | |
gibt. Der Appell für die Stärkung der SexarbeiterInnen propagiert auch | |
nicht, dass Prostitution sich ausbreiten soll, sondern möchte eine | |
Akzeptanz und möglichst normale Verhältnisse. Wir erkennen Sexarbeit als | |
Arbeit an, in der die Prostituierten die gleichen Rechte haben müssen wie | |
jedeR andere ArbeitnehmerIn. Das wird durch das Prostitutionsgesetz | |
möglich. Ich finde es entwürdigend für die Frauen in der Sexarbeit, von | |
Frau Schwarzer pauschal zu Opfern stilisiert und in ihrer | |
Selbstbestimmtheit entmündigt zu werden. Im Grunde genommen ist sie es, die | |
die Frauen zu Objekten macht. | |
Auf der anderen Seite fällt es schwer, Phänomene wie Flatrate-Bordelle | |
nicht als entwürdigend zu empfinden. | |
Meiner Meinung nach war das ein Werbegag, der von der männlichen | |
Selbstüberschätzung profitiert, ihre Libido würde für ein gesamtes Bordell | |
ausreichen. Das erste Flatrate-Bordell wurde in Stuttgart von einer Frau | |
gegründet, die dafür von zwei Konkurrenten aus dem Milieu stark angegriffen | |
wurde. Mit dieser vermeintlich feministischen Öffentlichkeitsarbeit wollten | |
sie ihre eigenen Bordelle besser vermarkten. Nach Aussagen der Frauen, die | |
dort gearbeitet haben, lief es da nicht viel anders ab als in anderen | |
Bordellen auch. | |
Die selbstbestimmte Sexarbeiterin gilt unter Prostitutionsgegnern als | |
intellektuelles Konstrukt, das an der Realität völlig vorbeigeht. | |
Natürlich gibt es die selbstbestimmten Sexarbeiterinnen, sie haben gerade | |
im Oktober den „Berufsverband erotische und sexuelle Dienstleistungen“ | |
gegründet. Das sind sehr toughe und kluge Frauen, die die | |
gesellschaftlichen Verhältnisse durchschauen und sich dort selbstbewusst | |
positionieren. | |
Prostitutionsgegner argumentieren mit der minderjährigen osteuropäischen | |
Zwangsprostituierten, Prostitutionsbefürworter mit der mittelständischen | |
SM-Studio-Besitzerin aus Leidenschaft. Gehen nicht beide Positionen an der | |
Situation des Großteils der SexarbeiterInnen vorbei? | |
Natürlich ist weder die Elends- noch die Edelprostitution die Regel. Es ist | |
eine sehr facettenreiche Tätigkeit. Ich wohne seit 30 Jahren in Hamburg-St. | |
Georg, und auch hier gibt es nicht nur Armuts- und Drogenprostitution. Es | |
gibt Edelpuffs wie das Relax, Hausfrauen aus Itzehoe, die zwei Tage pro | |
Woche ihr Taschengeld aufbessern, und circa 800 männliche Prostituierte, | |
über die fast gar nicht gesprochen wird. Die Elendsprostitution macht eher | |
den kleineren Teil aus. Im Übrigen ist es auch ein Klischee, dass die | |
osteuropäischen Prostituierten alle Opfer von Ausbeutung sind. | |
Laut Angaben von SozialarbeiterInnen hat der Anstieg der Armutsprostitution | |
in St. Georg dazu geführt, dass dort ungeschützter Geschlechtsverkehr für | |
30 Euro angeboten wird. | |
Ich glaube, das ist eine temporäre Erscheinung und auch nicht der | |
Regelfall. Die Frauen aus Südosteuropa, die meistens bewusst hierher | |
kommen, um als Prostituierte zu arbeiten, kennen die Sprache und die | |
Verhältnisse nicht und wissen vielleicht auch gar nicht, dass sie 50 Euro | |
verlangen können. Sobald die sich hier etablieren, werden sich viele von | |
ihnen auch emanzipieren. | |
Würden Sie so weit gehen wie Juanita Henning vom Prostituiertenverein Doña | |
Carmen, die Armutsprostitution als „Völkerverständigung von unten“ | |
bezeichnet? | |
Das würde eine Idealisierung der Prostitution bedeuten, die ich nicht | |
teile. Das Hauptmotiv für Frauen, in der Prostitution zu arbeiten, ist | |
meiner Meinung nach nicht der Spaß an der Arbeit, sondern weil sie das Geld | |
brauchen und woanders keine besseren Chancen haben. Natürlich gibt es | |
schlimme Fälle von Armutsprostitution, und auch schlimme Fälle von | |
Menschenhandel. Norbert Cyrus spricht in seiner Studie über Menschenhandel | |
in Arbeitsausbeutung von einer Pyramide, die man auch auf die Sexarbeit | |
übertragen kann: Die Spitze des Eisberges ist der Menschenhandel, und das | |
ist auch das, was medial wahrgenommen wird. Alles andere hat Elemente von | |
normalen Abhängigkeitsstrukturen, wie sie dem Kapitalismus inhärent sind. | |
Und dann gibt es noch einen Satz selbstbestimmt arbeitender Frauen. | |
Sie sagen also: Die Lage der Straßenprostituierten in St. Georg ist nicht | |
so elend, wie behauptet wird. | |
Straßenprostitution ist nicht per se elend. Viele Frauen arbeiten lieber | |
auf der Straße, weil sie sich dort sicherer fühlen als in einer Wohnung. | |
Sie können einen Freier im persönlichen Kontakt besser einschätzen als über | |
das Internet. Außerdem ist der gegenseitige Schutz größer: Auf der Straße | |
sehen die anderen Frauen, wer mit wem mitgeht und ob die Kollegin | |
rechtzeitig wieder aus dem Zimmer herauskommt. Die Lage der | |
SexarbeiterInnen in St. Georg hat sich aber tatsächlich entschieden | |
verschlechtert, und zwar durch die im Januar 2012 eingeführte | |
Kontaktverbotsverordnung, die sowohl die SexarbeiterInnen als auch die | |
Freier kriminalisiert. Dort kann man sehr gut sehen, wohin repressive | |
Verordnungen führen: Die Frauen müssen sich versteckt halten und sind damit | |
ganz anderen Gefahren ausgesetzt. Das führt auch dazu, dass sie eher Schutz | |
bei einem Zuhälter suchen. Übrigens entspricht das auch der Entwicklung in | |
Schweden, das ja so häufig als Vorzeigemodell angeführt wird. Dort wird | |
zwar nicht die Prostituierte kriminalisiert, sondern „nur“ der Freier – w… | |
aber eben dazu führt, dass die Frauen von der Straße in die Dunkelecke | |
gedrängt werden. Verringert hat sich die Zahl der Prostituierten in | |
Schweden nicht wesentlich, sie sind nur nicht mehr sichtbar. | |
In St. Pauli, dem zweiten großen Rotlichtmilieu Hamburgs, ist Prostitution | |
als Touristenmagnet durchaus sichtbar. Allerdings können sich | |
SexarbeiterInnen ohne Zuhälter dort überhaupt nicht in die Laufhäuser und | |
Modellwohnungen einmieten. | |
Dieses friedliche Arrangement zwischen Polizei und Zuhältern in St. Pauli | |
wundert mich allerdings auch. In St. Georg werden Unmengen von Bußgeldern | |
verteilt, und auf dem Kiez, wo alles von zwei oder drei Gruppen | |
durchorganisiert ist, wird nichts getan. Ich vermute, durch die Regelung, | |
zwischen acht Uhr abends und sechs Uhr morgens die Sperrbezirksverordnung | |
aufzuheben, ist Prostitution dort sozial verträglicher. | |
Wie selbstbestimmt kann Prostitution sein, wenn der Zuhälter 50 bis 70 | |
Prozent der Einnahmen bekommt und dafür im Prinzip keine Gegenleistung | |
erbringt? Die Security ist zumeist schon in der Miete für das Laufhaus oder | |
die Modellwohnung enthalten. | |
Mit diesen Zahlen wäre ich vorsichtig. Nicht jede Frau hat einen Zuhälter, | |
und nicht jeder Zuhälter ist ein Ausbeuter. Es gibt viele Frauen, die ihren | |
Freund gerne mitfinanzieren, ohne dass der Zwang besteht, ihre Einnahmen | |
abzugeben. Manche Frauen ziehen auch ihren Dealer mit durch. Das sind zum | |
Teil durchaus schwierige Verhältnisse, aber das Bild des Zuhälters, der die | |
Frau ständig brutal schlägt und ausbeutet, stimmt so sicher nicht. | |
Die Polizei und SozialarbeiterInnen klagen, dass sie gewalttätige Zuhälter | |
nicht belangen können, weil die Frau aus Angst oder Liebe nicht aussagt. | |
Natürlich, aber das ist dasselbe wie in anderen Gewaltverhältnissen, zum | |
Beispiel in der Ehe. Wenn die Frau nicht aussagt, wird der Mann nicht | |
belangt. Die Ausbeutungsstrukturen in der Prostitution gründen sich nicht | |
unbedingt auf der persönlichen, sondern vor allem auf der ökonomischen | |
Ebene. Das fängt bei den Mieten an. Zum Teil zahlen die Frauen über 100 | |
Euro Miete pro Nacht für ein Zimmer im Bordell. | |
In Frankreich kann ein Mann wegen Zuhälterei verurteilt werden, wenn er | |
nicht nachweisen kann, dass sein Lebensstandard seinem Einkommen | |
entspricht. Halten Sie das für sinnvoll? | |
In Schweden gibt es diese Regelung auch, und das ist eine furchtbare Sache. | |
Eine schwedische Prostituierte, mit der ich gesprochen habe, lebt mit ihrem | |
Vater in einer Wohnung und versorgt ihn. Der kam dann in den Verruf, | |
Zuhälter zu sein. Dort und in Frankreich muss im Prinzip sogar der | |
18-jährige Sohn nachweisen, dass er kein Zuhälter ist, wenn er in der | |
Wohnung seiner Mutter lebt. | |
Was könnte juristisch getan werden, um Ausbeutungsstrukturen beizukommen, | |
ohne Prostitution zu kriminalisieren? | |
Die rechtliche Ebene ist nicht das Problem, sondern die gesellschaftliche | |
Akzeptanz. Es muss mehr Forschung und mehr Öffentlichkeitsarbeit geben. | |
Wenn Frauen selbstbewusster auftreten und sich weniger stigmatisiert | |
fühlen, können sie sich auch besser gegen Ausbeutungsverhältnisse wehren. | |
Die Tendenz, alle SexarbeiterInnen zu Opfern zu erklären, ist hingegen | |
absolut kontraproduktiv. | |
Den kompletten Schwerpunkt "Prostitution" lesen Sie in der taz.am | |
Wochenende oder [1][hier] | |
8 Nov 2013 | |
## LINKS | |
[1] /e-kiosk/!114771/ | |
## AUTOREN | |
Hanna Klimpe | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Polizeikontrollen in Hamburg | |
Prostituierte | |
Alice Schwarzer | |
Prostitution | |
Prostitution | |
Prostitution | |
Prostitution | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Militarisierung der Polizei: Task Force löst kein Drogenproblem | |
Die Polizei gibt den Druck nach unten weiter: An die mutmaßlichen Dealer, | |
die sich nicht wehren können, weil sie als Illegalisierte keine Stimme | |
haben. | |
Betriebsführung im Puff: Einmal wickeln 150 Euro | |
Sexarbeiterinnen machen Öffentlichkeitsarbeit für ihre Sache. Das Interesse | |
an ausgefallenen Dienstleistungen der Branche ist groß. | |
Kommentar Alice Schwarzer: Schmerzhaft peinlich | |
Alice Schwarzer ist eine Täterin, die ihre Eigeninteressen maximiert hat. | |
Und dennoch versucht sie sich als ein von der Gesellschaft verfolgtes Opfer | |
reinzuwaschen. | |
Sexarbeit in Saarbrücken: Gefährlicher Grenzverkehr | |
Prostitution soll verboten werden – das will auch die Bürgermeisterin von | |
Saarbrücken. In ihrer Stadt boomt der Sextourismus. | |
Diskussion um Prostitution: „Mein Beruf gehört mir!“ | |
Alice Schwarzer hat eine Art Sexkrieg entfacht. Ist Prostitution eine | |
Menschenrechtsverletzung oder ein Spezialberuf? Huren protestieren. | |
Alice Schwarzers Buch über Prostitution: Motiv Selbstzerstörung | |
Alice Schwarzer veröffentlicht das Buch zur Kampagne für ein Sexkaufverbot. | |
Ihre Position ist nicht gut belegt, aber eindeutig: Prostitution ist ein | |
Verbrechen. | |
Dubiose Hilfsorganisation: Vom Strich in die Christensekte | |
Der Verein „Mission Freedom“ will Frauen aus der Zwangsprostitution retten. | |
Behörden und Beratungsstellen halten den Verein für problematisch. | |
Disput über Menschenhandel: Prostitution verbieten? | |
Die Frauenzeitschrift „Emma“ hat einen Aufruf gegen Prostitution gestartet. | |
Deutschland sei zur Drehscheibe von Menschenhandel und Zwangsprostitution | |
geworden, sagt Herausgeberin Alice Schwarzer. Doch kann ein Verbot die | |
Lösung sein? |