# taz.de -- Krise der Piratenpartei: Absagen auf Raten | |
> Auf Hartz IV gehen für die Piraten? Das will Marina Weisband, ehemalige | |
> Hoffnungsträgerin der Partei, nicht. Mit dieser Einstellung ist sie nicht | |
> allein. | |
Bild: Der Messias wird für die Piraten nicht kommen, sagt Marina Weisband. | |
BERLIN taz | Die prominenteste Piratin des Landes schreibt jetzt | |
Initiativbewerbungen. Eine gut bezahlte Halbtagsstelle in der politischen | |
Bildung, das wäre ihr Wunsch. Ersatzweise käme vielleicht auch ein Job als | |
Schulpsychologin in Frage. | |
Vor nicht allzu langer Zeit wurde Marina Weisband als eines der größten | |
politischen Talente dieses Landes gehandelt, namhafte Feuilletonisten | |
umschwärmten sie, nun sucht die Piratin ein Auskommen. Die Partei, mit der | |
sie berühmt wurde, bietet ihr zwar Arbeit ohne Ende – aber kein Geld. | |
Das ist das Problem. Wovon soll sie leben? Marina Weisband, die frühere | |
Politische Geschäftsführerin und ewige Hoffnungsfigur der Piraten, trägt | |
diese Frage seit der Bundestagswahl mit sich herum. Sie hat ihr | |
Psychologiestudium abgeschlossen, wartet nur noch auf das Zeugnis. Nach dem | |
22. September spielte sie öffentlich mit der Idee, ein Comeback zu wagen. | |
Doch gut eine Woche vor dem Bundesparteitag in Bremen fehlt ihr Name in der | |
[1][Onlinekandidatenliste] für die Parteispitze. „Ich kann mir die Arbeit | |
im Bundesvorstand im Moment nicht leisten“, sagt Marina Weisband. Sie wolle | |
nicht auf Hartz IV gehen für die Piraten – „das ist es mir nicht wert“. | |
Dann schiebt sie zaghaft hinterher, natürlich könne immer noch „alles | |
passieren“, es sehe nur „nicht danach aus“. Man darf das wohl als Absage | |
auf Raten verstehen. | |
Die Piraten, für die Marina Weisband ein paar aufregende Monate lang als | |
Politische Geschäftsführerin durch die Talkshows zog, sind zur Zumutung | |
geworden. 2,2 Prozent bei der Bundestagswahl, Rubrik Sonstige. | |
Orientierungslos, missvergnügt, klamm. Als Karrieretrampolin taugt diese | |
Partei nicht mehr. Wer aber soll die Piraten nun aus ihrer existenziellen | |
Krise führen? Und vor allem: Wie? | |
Eine Seitenstraße hinter dem Bahnhof von Münster. Marina Weisband kauert in | |
einem Konditoreisessel, sie hat ihren Schal wie ein Kopftuch umgeschlungen, | |
dreht einen Zimtstern zwischen Daumen und Zeigefinger, legt ihn | |
unangebissen zurück auf die Untertasse. „Viele Piraten warten jetzt auf | |
eine Erlösung“, sagt sie. „Aber der Messias kommt nicht.“ | |
## Schlömer weg, Nerz weg | |
Parteichef Bernd Schlömer wirkt seit Monaten abgemeldet, zermürbt vom | |
Kleinkrieg in seiner Partei, kurz nach der Bundestagswahl hat der | |
Ministerialbeamte seinen Ausstieg angekündigt. Sein Stellvertreter, der | |
Bioinformatiker Sebastian Nerz, will ebenfalls nicht mehr antreten. | |
In die Onlinebewerberliste für den Parteitag haben sich kuriose Gestalten | |
eingetragen, denen man zutraut, die Piraten binnen weniger Tage endgültig | |
zu erledigen. Einer bezeichnet sich als „verhaltensoriginell mit | |
Assistenzbedarf“, ein anderer als „Enfant terrible mit | |
Mediatorfähigkeiten“, ein Dritter postuliert auf seiner Kandidatenseite im | |
Partei-Wiki: „Analoge Welt und digitale Welt sind beide quasi immer online | |
und gehören zu unserem täglichen Leben.“ Mehr kann Satire auch nicht | |
leisten. | |
„Es hat im Moment keiner Lust“, sagt Marina Weisband. Anderen VIP-Piraten | |
wurden vergleichbare Sätze mit Shitstorms gedankt. Die Exgeschäftsführerin | |
setzt gleich noch einen obendrauf. Die Mitarbeit im Bundesvorstand sei zu | |
unattraktiv: Es gebe kein Geld für die Arbeit, wenig Gestaltungsfreiheit | |
oder Prestige. Und: „Man hat keine motivierte Partei, die hinter einem | |
steht, sondern eine in sich zerstrittene und mäkelige.“ | |
Zweifellos war es schon mal glamouröser, Piratenvorstand zu werden. Beim | |
vergangenen Bundesparteitag im Frühjahr wurde die neue Politische | |
Geschäftsführerin Katharina Nocun von der Basis als Hoffnung gefeiert. | |
Jung, klug, emsig – wie Marina Weisband in Osteuropa geboren. Eine | |
fachkompetente Streiterin für Bürgerrechte und Fragen der Netzpolitik – | |
ohne jenes Freakpotenzial, das der Lebenskünstler Johannes Ponader in | |
seinem monatelang transparent ausgetragenen Machtkampf mit anderen | |
Bundesvorständen offenbart hatte. | |
## Erst mal Masterarbeit schreiben | |
Doch auch der Name Nocun fehlt in der Kandidatenliste für die Neuwahl der | |
Parteispitze am übernächsten Wochenende. Es ist kein Versehen, nicht dem | |
Stress des Vorstandsalltags geschuldet. Katharina Nocun, 27 Jahre, hat sich | |
entschieden – gegen eine weitere Runde in der ersten Reihe. Nach sechs | |
Monaten geht sie. Rückkehr ungewiss. Ihre Begründung klingt vertraut. „Ich | |
kann mir die Arbeit im Bundesvorstand unter den aktuellen Umständen leider | |
gerade nicht mehr leisten“, sagt sie. Erst mal müsse sie ihre Masterarbeit | |
an der Uni Hamburg schreiben. | |
Sie bemerkt das fast beiläufig. Neben ihr im Eingangsraum dieses engen | |
Berliner Erdgeschossladens, der als Parteizentrale dient, tippt ein | |
Mitstreiter auf seinem Laptop herum, als müsse ihn das alles nicht | |
befassen. Vor einem halben Jahr bannte Katharina Nocun mit ihrer | |
kämpferischen Antrittsrede eine ganze Festhalle im bayerischen Neumarkt. | |
Jetzt sagt sie abgeklärt: „Wir haben noch andere kompetente Mitglieder.“ | |
Und politisch engagieren könne sie sich ja auch ohne Vorstandsposten. | |
Das Argument mag sympathisch bescheiden klingen, doch es verniedlicht die | |
Lage. Die Piraten sind seit der Bundestagswahl ziemlich egal, wenn nach dem | |
Bundesparteitag nicht mal mehr eine halbwegs interessante Figur an der | |
Parteispitze steht, beschleunigt das ihren Absturz in die | |
Bedeutungslosigkeit. | |
Halb so wild, versichert Marina Weisband. Ohne Medienaufmerksamkeit könnten | |
sich die Piraten sogar leichter berappeln und ihren alten Stärken wieder | |
entdecken. Klingt gut, doch was, wenn das Gegenteil eintritt? | |
## Weg von der Bewegung, hin zur Partei | |
Marina Weisband und Katharina Nocun, die Vordenkerin und die | |
Sachpolitikerin, beide von der ruppigen Basis geachtet – die Piratinnen | |
hätten als Führungsduo mit ihrem Charme und ihrer integrativen Kraft die | |
Partei zu überfälligen Richtungsentscheidungen bewegen können. Doch | |
Qualität gibt’s im Reallife eben seltener gratis als im Netz. | |
Die Ex- und die Noch-Geschäftsführerin appellieren an die Piraten, ihre | |
Bundesvorstände künftig fair zu bezahlen. Ohne ein solches Honorar seien | |
viele kompetente Leute für diese Arbeit ganz einfach nicht zu gewinnen. | |
„Wir müssen uns von einer Bewegung mehr hin zur Partei entwickeln“, sagt | |
Katharina Nocun. Die Piraten brauchten dringend professionelle Strukturen, | |
auch für die Verwaltung, die Buchhaltung, die Pressearbeit und die IT sei | |
mehr bezahltes Personal nötig. | |
Doch dazu fehlt der Partei momentan das Geld. Als eine ihrer letzten | |
Amtshandlungen im Bundesvorstand hat Katharina Nocun deshalb eine | |
Crowdfunding-Fundraising-Kampagne für die Piraten angestoßen. | |
Beim Parteitag in gut einer Woche wird sich das noch nicht auszahlen. | |
Marina Weisband dämpft die Erwartungen an die basisdemokratische | |
Großveranstaltung auf dem Bremer Messegelände: „Wenn wir erfolgreich sind, | |
haben wir am Ende des Tages einen Bundesvorstand, der nicht die gesamte | |
Partei spaltet.“ | |
20 Nov 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.piraten-zur-wahl.de/index.php/wahlkarte/ | |
## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
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