# taz.de -- Bundesparteitag der Piraten: Eher ein kumpelhafter Moderator | |
> Ernüchtert und ratlos war die Stimmung beim Parteitag der Piraten. Der | |
> neue Vorsitzende Thorsten Wirth will und muss die Partei einen – wie, | |
> kann er noch nicht sagen. | |
Bild: Wer nichts wird, wird Vorsitzender: Thorsten Wirth nach seiner Wahl. | |
BREMEN taz | Am frühen Nachmittag [1][twittert Bernd Schlömer] nur zwei | |
Worte: „… wieder frei …“ Dahinter setzt er drei Zeichen: "o/" – ein Z… | |
für Jubel. Ein knapper, vielsagender Gruß nach anderthalb Jahren an der | |
Spitze der Piraten. | |
Schlömer hat es überstanden. Viel schien dem Ministerialbeamten aus dem | |
Bundesverteidigungsministerium nicht mehr einzufallen zu dieser Partei, der | |
er seit April 2012 einen guten Teil der Lebenszeit gewidmet hatte. Seinen | |
ehrenamtlichen Einsatz dankten ihm die Piraten am Samstag auf dem Bremer | |
Messegelände nicht einmal mit einem anständigen Applaus. Blümchen? Hatte | |
man wohl vergessen. | |
Nun haben die Piraten nach ihrem desaströsen Abschneiden bei der | |
Bundestagswahl also einen neuen Bundesvorsitzenden gewählt: Thorsten Wirth, | |
45 Jahre, Software-Entwickler und Referent der Piratenfraktion im | |
Frankfurter Stadtrat. Er soll der Partei helfen, im nächsten Frühjahr doch | |
noch ins Europaparlament einzuziehen. Angesichts des Zustands der Partei | |
eine echte Herausforderung, auch wenn die Zugangshürde auf Europa-Ebene nur | |
bei drei Prozent liegt. | |
„Ich werde mein Bestes geben, die Piraten wieder dahin zu führen, wo wir | |
2009 angefangen haben“, versprach der neue Parteichef in einem ersten | |
Statement nach seiner Wahl. Was genau er damit meinte, blieb wie vieles | |
andere ziemlich unklar. Statt sich gegenseitig „kaputtzubashen“, sollten | |
sich die Piraten auf ihre Gemeinsamkeiten besinnen, sagte Wirth. | |
„Motivation ist jetzt das Gebot der Stunde.“ Wie genau die frustrierte | |
Parteibasis wieder zum Mitmachen ermutigt werden könnte, das wusste Wirth | |
allerdings auch nicht sagen. | |
## Verfechter der Kernthemen | |
Schlömers Nachfolger gilt als Verfechter der netzpolitischen Kernthemen der | |
Partei, als persönlich umgänglicher Konsenskandidat, kein großer Redner, | |
kein Charismatiker, eher ein kumpelhafter Moderator. Er müsste immerhin | |
wissen, worauf er sich einlässt: Wirth saß 2009 schon einmal für ein Jahr | |
als Politischer Geschäftsführer im Bundesvorstand und hat den hessischen | |
Landesverband geleitet. | |
Im Vorfeld des Parteitags hatte er an die Piraten appelliert, in dieser | |
vielleicht schwierigsten Phase ihrer Geschichte „cool und gelassen“ zu | |
bleiben und „Durchhaltevermögen“ zu zeigen. Einige Parteipromis warben für | |
seine Wahl an die Parteispitze – darunter auch die frühere Politische | |
Geschäftsführerin Marina Weisband. | |
Hart war die Konkurrenz um den Parteivorsitz der Piraten nicht mehr. Die | |
zwei namhaftesten Piratinnen – Marina Weisband und Katharina Nocun – traten | |
in Bremen erst gar nicht mehr an, sondern ließen ausrichten, sie könnten | |
sich die unbezahlte Arbeit momentan leider finanziell nicht leisten. | |
Zwei der insgesamt sechs Bewerber um den Parteivorsitz schafften es am | |
Samstag nicht einmal, rechtzeitig zu ihrer Bewerbungsrede auf die Bühne in | |
der Messehalle zu kommen. Einer bezeichnete sich selbst als Beweis dafür, | |
„dass der Traum von der Piratenpartei noch existiert“. Ein dritter | |
schwadronierte zitternd von „faschistoiden Zuständen“ und brüllte: „In | |
dieser Partei herrscht Krieg!“ | |
## Das hintere Drittel bleibt leer | |
Statt mehr als 2.000 Mitgliedern im Vorjahr reisten nur noch etwa halb so | |
viele Piraten überhaupt nach Bremen. Alle Tische und Stühle im hinteren | |
Drittel der Messehalle blieben leer, abgesperrt mit rot-weißem | |
Baustellenflatterband. Folkloristische Piraten-Accessoires in der Halle | |
oder, wie auf früheren Parteitagen, ein Bällebad sparten sich die | |
Organisatoren. | |
Es ging mal wilder, spaßiger zu unter Piraten. Die selbsterklärte | |
Mitmachpartei, sie hat inzwischen nicht mehr nur ein | |
Glaubwürdigkeitsproblem. Viele Piraten sind der eigenen Partei überdrüssig. | |
Die Stimmung in Bremen war ernüchtert, ratlos, weitgehend frei von Elan. | |
Parteipromi Christopher Lauer, der seit 2011 für die Piraten im Berliner | |
Abgeordnetenhaus sitzt, hatte seiner Partei bereits vor der | |
Großveranstaltung einen organisatorischen „Burnout“ attestiert. | |
Immerhin, in Sachen Chaospotenzial blieb sich die Partei treu. Weite | |
Strecken ihrer Großveranstaltung widmeten die Piraten den traditionellen | |
Scharmützeln um Tagesordnung, Geschäftsordnung und sonstigen formalen | |
Liebhabereien – so als hätten sie sonst keine Probleme. | |
## Neuer Zuschnitt für den Vorstand | |
Auch an organisatorischen Überraschungen fehlt es nicht. So beschloss der | |
Parteitag gleich zum Auftakt einen neuen Zuschnitt für den Bundesvorstand. | |
Alle Beisitzerposten wurden gestrichen, dafür der neue Posten des | |
Vize-Generalsekretärs hinzugefügt. Damit allerdings passte die im Vorfeld | |
zusammengestellte Kandidatenliste nicht mehr zur Struktur des künftigen | |
Gremiums. Dieser Parteitag sei schon ein „besonderes Erlebnis“, | |
[2][twitterte daraufhin] der Berliner Piratenabgeordnete Martin Delius. | |
Auch der neue Bundesvorstand wird trotz eindringlicher Appelle namhafter | |
Piraten vorerst weiter ehrenamtlich arbeiten. Die Partei lehnte in Bremen | |
alle Anträge auf bezahlte Vorstandsposten ab. Beschlossen wurde stattdessen | |
eine Minimallösung: Hartz-IV-Empfänger im Bundesvorstand können demnächst | |
eine Bezahlung erhalten – damit sie nicht wie der ehemalige | |
Piraten-Geschäftsführer und selbst erklärte Lebenskünstler Johannes Ponader | |
bei Parteifreunden um Spenden in eigener Sache betteln müssen. | |
30 Nov 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://twitter.com/BuBernd/status/406787710356324352 | |
[2] http://twitter.com/martindelius/status/406748520612630528 | |
## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
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