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# taz.de -- Neuer Chef der IG-Metall: Der Erneuerer
> Mehr Mitglieder, neue Strategien – schon als Vize hat Detlef Wetzel die
> IG Metall umgekrempelt. Jetzt ist er ihr Vorsitzender.
Bild: Der neue Mann an der Spitze der IG Metall: Detlef Wetzel.
BERLIN taz | Detlef Wetzel kann Dinge sagen, die für Gewerkschafter eher
ungewöhnlich klingen. „Einen Mindestlohn fordern, das kann jeder Depp“ war
so ein Satz, den der Vize der IG Metall auf einer Veranstaltung mal wütend
herausgehauen hat. Damit hat er sich bei den Dienstleistungsgewerkschaften,
die die meisten Niedriglohnbranchen organisieren, nicht gerade Freunde
gemacht.
Er will das erklären, an diesem Tag in seinem Büro in der
IG-Metall-Zentrale in Frankfurt, durch die Fenster ein imposanter Blick auf
das grünbraune Band des Mains und die Skyline der Banken und
Versicherungstürme. „Natürlich bin ich für einen Mindestlohn. Aber starke
Gewerkschaften und handlungsfähige Arbeitgeberverbände brauchen für solche
Fragen eigentlich keinen Staat. Dass sie es brauchen, ist Ausdruck davon,
dass die Sozialpartnerschaft erodiert ist. Ich sage, lasst uns uns
anstrengen, dass wir aus eigener Kraft in den Belegschaften verankert sind
und stärker Druck machen können, um die Arbeitgeber zu vernünftigen Löhnen
zu zwingen.“
Die IG Metall stärken, das kann er wohl künftig in noch prominenterer
Position anpacken. An diesem Montag wurde Wetzel an die Spitze der
mächtigsten Gewerkschaft Deutschlands gewählt und wird Berthold Huber
beerben. Huber tritt nach sechs Jahren vorzeitig zurück. Er hat es lange
angekündigt, sein Schritt ist Teil eines Verjüngungsprozesses im gesamten
Vorstand.
Nicht alle können mit Wetzel, dem schlanken Mann mit den ergrauten Haaren
und dem rollenden „r“ in der Aussprache, Hinweis auf seine Siegerländer
Herkunft. Es rumort nicht zuletzt im mächtigen Bezirk Baden-Württemberg,
aus dem auch Huber stammt. Dort würden sie gerne früher als später ihren
Mann an der Spitze sehen, Bezirksleiter Jörg Hofmann, der jetzt erst einmal
als Wetzels Vize in die Zentrale am Main einziehen soll.
## Wetzels Arbeitspensum ist gefürchtet
Wetzel ist kein flammender Redner oder Kumpeltyp, er hat etwas Kühles,
Nüchternes an sich. Doch die IG Metall hat ihm einiges zu verdanken. Der
60-Jährige hat der behäbigen Gewerkschaft eine dringend benötigte
Frischzellenkur verpasst. Er hat die Gewinnung neuer Mitglieder ins Zentrum
gestellt und die Losung ausgegeben, die Organisation müsse ihren
Beitragszahlern mehr Service bieten und sie mehr mitreden lassen. Er pocht
auf Zielvorgaben und nachweisbare Erfolge. Sein Arbeitspensum ist
gefürchtet. So hat er die IG Metall auf Erfolgskurs getrimmt. Seit 2011
wächst die Industriegewerkschaft wieder, derzeit zählt sie über 2,2
Millionen Mitglieder.
Wetzel hat dafür an alten Gewohnheiten gerüttelt. Er hat die Zentrale in
Frankfurt verkleinert und Gelder für Projekte vor Ort in die Regionen und
Bezirke verteilt. Er hat dafür gekämpft, dass sich die IG Metall auf einige
wenige Kampagnen konzentriert, „nicht auf 35, da kann ja nichts bei
herauskommen“, sagt er.
Und er hat seine Gewerkschaft gezwungen, sich mit der Leiharbeit
auseinanderzusetzen. Das ist nicht nur den Arbeitgebern gehörig
aufgestoßen, sondern auch einigen Betriebsratsfürsten, die diesen Konflikt
scheuten. Bildeten die Leiharbeiter, die in der Krise 2009 zu Zehntausenden
entlassen wurden, doch einen willkommenen Schutz für die
Stammbelegschaften.
Doch Wetzel will Leiharbeit nur in Ausnahmefällen und mit gleicher
Bezahlung wie für die Stammbeschäftigte. „Der Konflikt, wie wir damit
umgehen, war auch in der Gewerkschaft kein Stühlchenkreis“, erinnert er
sich. Er hat ihn trotzdem geführt und man sieht ihm an, wie stolz er darauf
ist.
## Ein Kind der Willy-Brandt-Zeit
Die Kampagne, 2008 angestoßen, trägt Früchte. Die IG Metall konnte
Verbesserungen wie Lohnzuschläge erstreiten, und rund 60.000 Leiharbeiter
sind der Gewerkschaft beigetreten. Das Image der Leiharbeit hat in der
Öffentlichkeit stark gelitten. Und jetzt, sagt Wetzel, „sind die
ausufernden Werkverträge dran. Das wird noch ein harter Kampf“.
Wetzel kann konstruktiv mit Arbeitgebern zusammenarbeiten – aber er scheut
auch keine Konflikte. „Wenn es sein muss und es gibt keinen Kompromiss, bin
ich radikal“, sagt er über sich. Er ist ein Kind der Willy-Brandt-Zeit,
groß geworden mit dem Versprechen, dass sich Leistung lohnt, dass jeder die
Möglichkeit zum Aufstieg hat. Dieses Versprechen existiere schon lange
nicht mehr, resümiert er mit gewisser Bitterkeit in seinem autobiografisch
gefärbten Buch „Mehr Gerechtigkeit wagen“. Zu viele Arbeitgeber hätten si…
aus der Sozialpartnerschaft verabschiedet. Er will dahin zurück. Obwohl
auch er weiß, dass die Tage des rheinischen Kapitalismus nicht einfach
wiederkommen.
Bei ihm funktionierte es noch, das Versprechen auf eine bessere Zukunft.
Der Vater war Hufschmied, die Mutter Fabrikarbeiterin. Wetzel wurde
Werkzeugmacher, studierte später Sozialarbeit. Er trat bereits als Azubi in
die IG Metall ein und hat jahrelang an der Basis gearbeitet, als Sekretär
und später erster Bevollmächtigter in Siegen. Dort war er so erfolgreich,
dass er 2004 Leiter des IG-Metall-Bezirks NRW wurde.
Im krisengeschüttelten Siegerland, dort, wo er bis heute ein Haus hat,
Familie und Freunde wohnen und Wetzel in seiner seltenen Freizeit Bienen
züchtet, hat er den Unternehmen immer wieder angeboten, gemeinsam aus
wirtschaftlich schwierigen Situationen zu finden. Beschäftigte und
Gewerkschaft erarbeiteten Konzepte, als seien sie die Fabrikeigentümer.
Sozialpartnerschaft in guten wie in schlechten Zeiten. Aber wenn sie das
auf der anderen Seite nicht verstanden, scheute er auch keinen Häuserkampf.
„Da können wir uns nur auf unsere eigene Stärke verlassen“, ist so ein
typischer Wetzel-Satz.
## Wetzel kann auch mit Merkel
Auch bei der IG Metall gibt es diese Stärke längst nicht mehr überall, wie
man beispielsweise an den Arbeitsbedingungen in der Windenergiebranche
sieht. Wetzel setzt dagegen auf Organizing. Rein in die Betriebe, hören,
was die Leute wollen, sie ermächtigen und ermutigen, wieder selbst
Konflikte zu führen, statt aus der Zentrale Stellvertreterpolitik zu
betreiben. So gewinnt man Auseinandersetzungen und neue Mitglieder. So wird
man stark in den Betrieben – und das hat für Wetzel Priorität.
Manche werfen ihm vor, er verenge darüber den Blick,
gesellschaftspolitische Themen fielen hintenherunter. „Es gibt nichts
Politischeres als die Mitgliederfrage“, kontert er dann, „wenn die deutsche
Gewerkschaftsbewegung zu Agendazeiten jedes Jahr ein paar zehntausend
Mitglieder gewonnen hätte, hätte Schröder sich die Agenda 2010 nie
getraut“.
Er hat manchmal etwas Schroffes an sich, er kann aufbrausend sein. Er ist
nicht so geschmeidig wie ein Berthold Huber, den die Aura des
Intellektuellen der IG Metall umgibt und der mit vielen gut kann. Auch mit
der Bundeskanzlerin, die ihm zum 60. Geburtstag ein Essen im Kanzleramt
ausrichtete. Fragt man Wetzel, ob die Gewerkschaftsgranden bisweilen zu
viel öffentliche Nähe mit Politikern zelebrieren, die etwas ganz anderes
wollen, sagt er diplomatisch, man müsse immer anschlussfähig bleiben. Doch
recht bald fällt auch die Bemerkung, manche Nähe werde zum süßen Gift. Und
vor der müsse man sich hüten.
Leicht werden es die anderen nicht mit ihm haben. Auch nicht die Genossen.
Das Band zur Sozialdemokratie, lange Zeit zerrissen, ist heute höchstens
notdürftig geflickt. Wetzel ist immer noch Parteimitglied. Aber aus seinem
Buch, 2012 erschienen, spricht eine tiefe Enttäuschung über die neoliberale
Wende der SPD unter Gerhard Schröder.
## Ver.di vergrätzt
„Jeder Gewerkschafter war damals ein Idiot, dem man meinte die Welt
erklären zu müssen. Ich habe das am eigenen Leib erfahren, auch von
Sozialdemokraten“, erinnert er sich. Ihn interessieren heute Ergebnisse,
keine sentimentalen Bande. „Für mich zählt nur, ob die Parteien die Themen,
die für die Menschen wichtig sind, wirklich umsetzen.“
Doch auch mit den eigentlichen Verbündeten knirscht es. Statt eines
Schulterschlusses mit den Dienstleistungsgewerkschaften, der für beide
Seiten von Vorteil wäre, hat Wetzel Ver.di mit seiner Aussage vergrätzt,
die IG Metall allein wolle die industrienahen Dienstleistungen
organisieren, für die sich auch die zweitgrößte Gewerkschaft im Land
zuständig fühlt. Man darf gespannt sein, wie er damit umgeht, wenn er an
die Spitze der IG Metall rückt.
25 Nov 2013
## AUTOREN
Eva Völpel
## TAGS
Gewerkschaft
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