# taz.de -- Manifest des Papstes: Schafft der Oberhirte sich ab? | |
> Franziskus will den Katholizismus reformieren. Vieles klingt gut: Der | |
> Papst bevorzugt schlanke Hierarchien und mag lieber offene als | |
> verschlossene Türen. | |
Bild: Reformen, Reformen, Reformen – verändern will der Papst vieles | |
Das als revolutionär gefeierte „Evangelii Gaudium“ macht Eindruck. Und zwar | |
den, der Verfasser habe der Lektüre des strukturalistischen Philosophen | |
Gilles Deleuze mehr abgewinnen können als dem Lesen in der Bibel. Wird man | |
Papst Franziskus irgendwann mal den Verkünder der Rhizom-Theologie nennen? | |
Wird er der Papst sein, der den Baum des Wissens fällte, der so lange im | |
Garten Eden rumstand, dessen Früchte zu genießen so lange verboten war und | |
der das Prinzip autoritärer Hierarchie und fester Ordnungssysteme | |
repräsentierte? Wird er der Papst sein, der an die Stelle dieses heiligen | |
Baumes die Rhizome, also Wurzelgeflechte, einsetzt und damit das | |
Erkenntnismodell von Gilles Deleuze und Felix Guattari in die Kirche holt, | |
um die versteinerte Machtinstitution, die verkommenen Moral- und | |
Wertvorstellungen zu untergraben? Wird er also der Papst sein, der die | |
Unterwerfung unter des Papstes Wort und Wille zur Todsünde erklärt und | |
damit sich selbst abschafft? | |
Man könnte in Verzückung geraten, wenn der Oberhirte davon spricht, lieber | |
Gnade walten zu lassen als kontrollieren zu wollen, lieber schlanke als | |
aufgeblähte Hierarchien zu bevorzugen, lieber „kreative Methoden“ als | |
„langweilige Schablonen“, lieber offene als verschlossene Türen und lieber | |
mehr als weniger Frauen in der Kirche mag, den Zustand „permanenter | |
Mission“ dem der „individualistischen Traurigkeit“ vorzieht und eine | |
„verbeulte“, „verletzte“ und „verschmutzte“ Kirche mehr mag als ein… | |
sich an Sicherheiten klammert. | |
Dass Franziskus die Unfehlbarkeit des Papstes ein ganz klein wenig infrage | |
stellt, indem er erklärt, von ihm seien keine „endgültigen oder | |
vollständigen Aussage zu allen Fragen“ zu erwarten, mag Hoffnung machen. Im | |
Kern erkennt er damit nur an, was mit der Beichte immer schon angelegt war: | |
die Bedingung der Möglichkeit, Mensch sein zu können. Und ein solcher macht | |
und hat Fehler. | |
## Das Revolutionspathos löst Unbehagen aus | |
Wenn Franziskus von einer „heilsamen Dezentralisierung“ spricht, also | |
davon, den Bischöfen mehr Eigenverantwortung zu überlassen, muss er dabei | |
nicht unbedingt an eine gerechtere Kirchenordnung gedacht haben. Auch der | |
Papst hat das Recht auf den Gedanken, dass weniger arbeiten auch nicht | |
schlecht ist und er sich ja nicht mit jeder Provinzposse beschäftigen muss. | |
Und wenn er so dächte, dann wäre das doch sympathisch und nicht zuletzt: | |
schwer katholisch. | |
Auch wenn Spielverderber sein keinen Spaß macht, etwas an all dem | |
Revolutions- und Umsturzpathos des Papstes löst ein Unbehagen aus. Ja, der | |
Papst attackiert zahlreiche Grundfesten der katholischen Kirche. Aber ist | |
das nicht alles ein bisschen viel auf einmal? Und ist es nicht so, dass, | |
wer keine Vision hat, eine Reform ankündigt? Und dann noch eine und noch | |
eine, bis am Ende niemand mehr weiß, in welchem Reformstau man gerade | |
steht, worum es da eigentlich grade geht? | |
## Ist das schon Reform oder noch Ratzinger? | |
Dass Franziskus einen Tebartz van Elst in den Urlaub schickt, anstatt ihn | |
zu feuern, und dass er in seinem neuen Manifest „Obdachlose, | |
Drogenabhängige, Flüchtlinge, eingeborene Bevölkerungen, immer mehr | |
vereinsamte und verlassene alte Menschen“ nennt, Homosexuelle, Frauen, die | |
abgetrieben haben, und wiederverheiratete Geschiedene aber nicht – ist das | |
schon Reform oder noch Ratzinger? | |
Der Philosoph Gilles Deleuze sagte mal: „Wenn du weder Begriff noch Problem | |
hast, bleibst du dumm und das war’s“. Franziskus hat definitiv ein Problem. | |
Aber ob er auch einen Begriff davon hat? Und ob er den Baum der Erkenntnis | |
am Ende doch nicht fällt, sondern einfach nur umtopft? | |
27 Nov 2013 | |
## AUTOREN | |
Doris Akrap | |
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